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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Nach dem ältesten Chronographen, dem von 35t, ist ein Presbyter
Hippolytus in Rom gleichzeitig mit dem Bischof von Rom Ponticmus im
Jahr 230 in die Bergwerke Sardiniens deportirt und ebenso an demselben
Tage mit diesem Ponticmus beigesetzt worden, dieser nur auf dem Friedhof des
Callistus, jener an der Via Tiburtina. Durch die sonstige Kirchenkunde aber
wird auch nichts hell; der "Bischof und Märtyrer" ist darin ein großer Er¬
klärer des alten Testaments, Verfasser eines Osterkanonö (einer Art hundert¬
jährigen Kalenders), einer Zeitgeschichte, mehrer Streit- und Vertheidigungs¬
schriften, so auch für das Evangelium nach Johannes und die Offenbarung
Johannis. Aber bald gilt er als ein Haupt der Orthodoxie, bald ist er ein
halber Ketzer und dann wieder der entgegengesetztesten Art, ein kirchlicher Reak¬
tionär, wie man sie später nicht mochte (Montanist, Novatianer), bald ein radi¬
kaler Dualist (Valentinianer).

So ist der Heilige der alten Kirche ein wahrer Ueberall und Nirgends,
Bald zu Rom, bald zu Ostia, zu Portus, zu Antiochia, zu Bostra. Bald ge¬
viertheilt, bald in eine Grube oder in das Meer gestürzt, bald zu Tode ge¬
peitscht, bald blos deportirt. Bald allein zu Tode gebracht, bald in Verbin¬
dung mit dem heiligen Laurentius, oder mit der heiligen Aurea, oder der heili¬
gen Paulina, oder heiligen Pelagia, dann wieder mit einem römischen Bischof,
obendrein an den verschiedensten Orten gleicherweise begraben. Endlich bald
ein Bischof, bald ein Presbyter, ja was einem ganz den Athem nimmt, auch
erst kurz vor seinem Tod Christ geworden und ein Offizier! Bald ein gefeierter
Vater der rechten Kirchenlehre, ein Bestreiter "aller Ketzereien" und dann doch
selbst ein Ketzer, ein halber Montanist, ein ganzer, nun endlich noch bekehrter
Novatianer, aber auch das grade Gegentheil davon, ein Valentinianer, ein
gnostischer Dualist!

Auch die unter dem Namen des Hippolyt aus uns gekommenen Schriften
helfen hier nicht weiter; größtentheils sind es Fragmente und was das Schlimmste
ist, die meisten davon sind dringend als weit spätere Provucte verdächtig, die
nur mit dem glänzenden Namen geschmückt sind. Von einigen ist dies sogar
evident, wenn Bunsen auch keinen Anstoß daran genommen hat.

Wie hat sich nun die Wissenschaft aus diesem Wirrwarr der frühern
Kirchenkunde über Hippolytus Wesen und Wirken, Leben und Ende heraus¬
gefunden?

Es war im Jahre 1351 als man bei Rom beim Graben auf einem alten
christlichen Friedhof an der Via Tiburtina eine gutgearbeitete Statue aus
Marmor fand, die einen Kirchenmann darstellt, der auf seiner Kathedra thront;
an den Seiten und der Rückwand ist diese mit Inschriften bedeckt. Es ist
Zwar kein Name angegeben, aber deutlicher als Namen sprechen hier diese In¬
schriften. Es ist ein Osterkanon vom ersten Jahr deö Alexander Severus be-


Nach dem ältesten Chronographen, dem von 35t, ist ein Presbyter
Hippolytus in Rom gleichzeitig mit dem Bischof von Rom Ponticmus im
Jahr 230 in die Bergwerke Sardiniens deportirt und ebenso an demselben
Tage mit diesem Ponticmus beigesetzt worden, dieser nur auf dem Friedhof des
Callistus, jener an der Via Tiburtina. Durch die sonstige Kirchenkunde aber
wird auch nichts hell; der „Bischof und Märtyrer" ist darin ein großer Er¬
klärer des alten Testaments, Verfasser eines Osterkanonö (einer Art hundert¬
jährigen Kalenders), einer Zeitgeschichte, mehrer Streit- und Vertheidigungs¬
schriften, so auch für das Evangelium nach Johannes und die Offenbarung
Johannis. Aber bald gilt er als ein Haupt der Orthodoxie, bald ist er ein
halber Ketzer und dann wieder der entgegengesetztesten Art, ein kirchlicher Reak¬
tionär, wie man sie später nicht mochte (Montanist, Novatianer), bald ein radi¬
kaler Dualist (Valentinianer).

So ist der Heilige der alten Kirche ein wahrer Ueberall und Nirgends,
Bald zu Rom, bald zu Ostia, zu Portus, zu Antiochia, zu Bostra. Bald ge¬
viertheilt, bald in eine Grube oder in das Meer gestürzt, bald zu Tode ge¬
peitscht, bald blos deportirt. Bald allein zu Tode gebracht, bald in Verbin¬
dung mit dem heiligen Laurentius, oder mit der heiligen Aurea, oder der heili¬
gen Paulina, oder heiligen Pelagia, dann wieder mit einem römischen Bischof,
obendrein an den verschiedensten Orten gleicherweise begraben. Endlich bald
ein Bischof, bald ein Presbyter, ja was einem ganz den Athem nimmt, auch
erst kurz vor seinem Tod Christ geworden und ein Offizier! Bald ein gefeierter
Vater der rechten Kirchenlehre, ein Bestreiter „aller Ketzereien" und dann doch
selbst ein Ketzer, ein halber Montanist, ein ganzer, nun endlich noch bekehrter
Novatianer, aber auch das grade Gegentheil davon, ein Valentinianer, ein
gnostischer Dualist!

Auch die unter dem Namen des Hippolyt aus uns gekommenen Schriften
helfen hier nicht weiter; größtentheils sind es Fragmente und was das Schlimmste
ist, die meisten davon sind dringend als weit spätere Provucte verdächtig, die
nur mit dem glänzenden Namen geschmückt sind. Von einigen ist dies sogar
evident, wenn Bunsen auch keinen Anstoß daran genommen hat.

Wie hat sich nun die Wissenschaft aus diesem Wirrwarr der frühern
Kirchenkunde über Hippolytus Wesen und Wirken, Leben und Ende heraus¬
gefunden?

Es war im Jahre 1351 als man bei Rom beim Graben auf einem alten
christlichen Friedhof an der Via Tiburtina eine gutgearbeitete Statue aus
Marmor fand, die einen Kirchenmann darstellt, der auf seiner Kathedra thront;
an den Seiten und der Rückwand ist diese mit Inschriften bedeckt. Es ist
Zwar kein Name angegeben, aber deutlicher als Namen sprechen hier diese In¬
schriften. Es ist ein Osterkanon vom ersten Jahr deö Alexander Severus be-


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[0253] Nach dem ältesten Chronographen, dem von 35t, ist ein Presbyter Hippolytus in Rom gleichzeitig mit dem Bischof von Rom Ponticmus im Jahr 230 in die Bergwerke Sardiniens deportirt und ebenso an demselben Tage mit diesem Ponticmus beigesetzt worden, dieser nur auf dem Friedhof des Callistus, jener an der Via Tiburtina. Durch die sonstige Kirchenkunde aber wird auch nichts hell; der „Bischof und Märtyrer" ist darin ein großer Er¬ klärer des alten Testaments, Verfasser eines Osterkanonö (einer Art hundert¬ jährigen Kalenders), einer Zeitgeschichte, mehrer Streit- und Vertheidigungs¬ schriften, so auch für das Evangelium nach Johannes und die Offenbarung Johannis. Aber bald gilt er als ein Haupt der Orthodoxie, bald ist er ein halber Ketzer und dann wieder der entgegengesetztesten Art, ein kirchlicher Reak¬ tionär, wie man sie später nicht mochte (Montanist, Novatianer), bald ein radi¬ kaler Dualist (Valentinianer). So ist der Heilige der alten Kirche ein wahrer Ueberall und Nirgends, Bald zu Rom, bald zu Ostia, zu Portus, zu Antiochia, zu Bostra. Bald ge¬ viertheilt, bald in eine Grube oder in das Meer gestürzt, bald zu Tode ge¬ peitscht, bald blos deportirt. Bald allein zu Tode gebracht, bald in Verbin¬ dung mit dem heiligen Laurentius, oder mit der heiligen Aurea, oder der heili¬ gen Paulina, oder heiligen Pelagia, dann wieder mit einem römischen Bischof, obendrein an den verschiedensten Orten gleicherweise begraben. Endlich bald ein Bischof, bald ein Presbyter, ja was einem ganz den Athem nimmt, auch erst kurz vor seinem Tod Christ geworden und ein Offizier! Bald ein gefeierter Vater der rechten Kirchenlehre, ein Bestreiter „aller Ketzereien" und dann doch selbst ein Ketzer, ein halber Montanist, ein ganzer, nun endlich noch bekehrter Novatianer, aber auch das grade Gegentheil davon, ein Valentinianer, ein gnostischer Dualist! Auch die unter dem Namen des Hippolyt aus uns gekommenen Schriften helfen hier nicht weiter; größtentheils sind es Fragmente und was das Schlimmste ist, die meisten davon sind dringend als weit spätere Provucte verdächtig, die nur mit dem glänzenden Namen geschmückt sind. Von einigen ist dies sogar evident, wenn Bunsen auch keinen Anstoß daran genommen hat. Wie hat sich nun die Wissenschaft aus diesem Wirrwarr der frühern Kirchenkunde über Hippolytus Wesen und Wirken, Leben und Ende heraus¬ gefunden? Es war im Jahre 1351 als man bei Rom beim Graben auf einem alten christlichen Friedhof an der Via Tiburtina eine gutgearbeitete Statue aus Marmor fand, die einen Kirchenmann darstellt, der auf seiner Kathedra thront; an den Seiten und der Rückwand ist diese mit Inschriften bedeckt. Es ist Zwar kein Name angegeben, aber deutlicher als Namen sprechen hier diese In¬ schriften. Es ist ein Osterkanon vom ersten Jahr deö Alexander Severus be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/253>, abgerufen am 22.07.2024.