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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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geschwächt worden sei, indem es nach dieser Verminderung noch volle 400,000 Mann
unter den Fahnen behalte, und ein Staat mit einer solchen Armee unmöglich als
ein entwaffneter angesehen werden könne. Dem gegenüber will ich an einige That¬
sachen erinnern. Es ist in der Zeit, in welcher man noch dem hoffnungsvollen
Glauben nachhing, Oestreich werde dereinst gemeinsame Sache mit den Mächten
machen, welche im Orient das gute Recht gegen die Uebergriffe der brutalen Ge¬
walt verfechten, oft "ut in eingehender Weise entwickelt worden, wie der Kaiserstaat
etwa 400,000 Mann gegen Nußland werde ausstellen und davon etwa 300,000 Mann
zum directen Angriff verwenden können. Es ist einleuchtend, daß das, was Oest¬
reich von seiner Armee jetzt entlassen hat, von jener Masse in Abzug zu bringen
ist. Oestreich kann darnach Nußland heute nur noch mit 120,000 Mann bedrohen,
die auf einer Linie von Siebenbürgen bis Krakau auseinandergezogen stehen und
von denen kaum 60,000 Mann zu einer compacten Masse zu vereinigen sein
würden. Wem eine derartige Demonstration noch verdächtig erscheint, möge es mit
den wiener Berichterstattern glauben. Der Ihrige ist anderer Meinung.

Die sechzig Millionen Gulden, welche Oestreich durch die Maßregel des Herrn
von Brück ersparen wird, werden leider wahrlich den Einfluß nicht aufwiegen --
den seine Diplomatie hier und insbesondere -- Nußland gegenüber verliert!
Aber den Beweis kann nur die nächste Zeitepoche geben. Schon beginnt ein großer
Rückschlag sich fühlbar zu machen.

Gestern*) Nachmittag verkündete das Zusammenlaufen von
Volk im Stadttheile von Top Hane auf den Straßen, daß irgendetwas Außerordent¬
liches vorgefallen sein mußte. Mitten im Bosporus, den Batterien des Artillerie-
Palais gegenüber, lag ein eben aus dem schwarzen Meere eingelaufener Steamer.
Er hatte ein Boot ans Land gesendet, welches auf dem sogenannten Place d'armes
verschiedene Personen, anscheinend von hohem Rang, debarquirt hatte. Darnach
war geblasen worden. Soviel wußte man vorerst; darnach hieß es, der Angelangte
sei Omer Pascha, der Serdar (Man) und alsbald war das Gerücht in Umlauf:
der Generalissimus sei abgesetzt worden und habe den im Jahre 1833 als Com¬
mandant der Armee von Kars vielgenannten Muschir Abdi Pascha, welcher vor
etwa acht Tagen von hier nach Balaklava sich einschiffte, zum Nachfolger erhalten.

Der Serdar ging über den genannten breiten Platz (pI"LL ä'urmos) hinweg
und bog rechts nach der Dienstwohnung des Muschirs von Top Hane ein. Sie
wissen, daß dieser, Fatsi Achmed Pascha, Schwager des Großherrn und um des¬
willen eine sehr einflußreiche Person, vielleicht die einflußreichste im osmanischen
Staate ist. Die Visite war höchst wahrscheinlich darauf berechnet, sich einen guten
Empfang im kaiserlichen Palais von Tschiraghan vorzubereiten.

Das Gerücht will ferner wissen, Omer Pascha sei durch französischen Einfluß
gestürzt worden. Mir erscheint, wenn überhaupt eine Entsetzung stattgefunden
hat, solche Annahme nicht unwahrscheinlich; außerdem hat man indeß auch wol



') Nach dem Journal de Constanttuople kam der Serdar schon am Dienstag Abend
^7. Juli) acht Uhr hier an.

geschwächt worden sei, indem es nach dieser Verminderung noch volle 400,000 Mann
unter den Fahnen behalte, und ein Staat mit einer solchen Armee unmöglich als
ein entwaffneter angesehen werden könne. Dem gegenüber will ich an einige That¬
sachen erinnern. Es ist in der Zeit, in welcher man noch dem hoffnungsvollen
Glauben nachhing, Oestreich werde dereinst gemeinsame Sache mit den Mächten
machen, welche im Orient das gute Recht gegen die Uebergriffe der brutalen Ge¬
walt verfechten, oft »ut in eingehender Weise entwickelt worden, wie der Kaiserstaat
etwa 400,000 Mann gegen Nußland werde ausstellen und davon etwa 300,000 Mann
zum directen Angriff verwenden können. Es ist einleuchtend, daß das, was Oest¬
reich von seiner Armee jetzt entlassen hat, von jener Masse in Abzug zu bringen
ist. Oestreich kann darnach Nußland heute nur noch mit 120,000 Mann bedrohen,
die auf einer Linie von Siebenbürgen bis Krakau auseinandergezogen stehen und
von denen kaum 60,000 Mann zu einer compacten Masse zu vereinigen sein
würden. Wem eine derartige Demonstration noch verdächtig erscheint, möge es mit
den wiener Berichterstattern glauben. Der Ihrige ist anderer Meinung.

Die sechzig Millionen Gulden, welche Oestreich durch die Maßregel des Herrn
von Brück ersparen wird, werden leider wahrlich den Einfluß nicht aufwiegen —
den seine Diplomatie hier und insbesondere — Nußland gegenüber verliert!
Aber den Beweis kann nur die nächste Zeitepoche geben. Schon beginnt ein großer
Rückschlag sich fühlbar zu machen.

Gestern*) Nachmittag verkündete das Zusammenlaufen von
Volk im Stadttheile von Top Hane auf den Straßen, daß irgendetwas Außerordent¬
liches vorgefallen sein mußte. Mitten im Bosporus, den Batterien des Artillerie-
Palais gegenüber, lag ein eben aus dem schwarzen Meere eingelaufener Steamer.
Er hatte ein Boot ans Land gesendet, welches auf dem sogenannten Place d'armes
verschiedene Personen, anscheinend von hohem Rang, debarquirt hatte. Darnach
war geblasen worden. Soviel wußte man vorerst; darnach hieß es, der Angelangte
sei Omer Pascha, der Serdar (Man) und alsbald war das Gerücht in Umlauf:
der Generalissimus sei abgesetzt worden und habe den im Jahre 1833 als Com¬
mandant der Armee von Kars vielgenannten Muschir Abdi Pascha, welcher vor
etwa acht Tagen von hier nach Balaklava sich einschiffte, zum Nachfolger erhalten.

Der Serdar ging über den genannten breiten Platz (pI»LL ä'urmos) hinweg
und bog rechts nach der Dienstwohnung des Muschirs von Top Hane ein. Sie
wissen, daß dieser, Fatsi Achmed Pascha, Schwager des Großherrn und um des¬
willen eine sehr einflußreiche Person, vielleicht die einflußreichste im osmanischen
Staate ist. Die Visite war höchst wahrscheinlich darauf berechnet, sich einen guten
Empfang im kaiserlichen Palais von Tschiraghan vorzubereiten.

Das Gerücht will ferner wissen, Omer Pascha sei durch französischen Einfluß
gestürzt worden. Mir erscheint, wenn überhaupt eine Entsetzung stattgefunden
hat, solche Annahme nicht unwahrscheinlich; außerdem hat man indeß auch wol



') Nach dem Journal de Constanttuople kam der Serdar schon am Dienstag Abend
^7. Juli) acht Uhr hier an.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/247>, abgerufen am 22.12.2024.