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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Operationslinie des Angreifers einzuwirken vermag, wird immerhin der Um¬
stand Berücksichtigung verdienen, daß schließlich der Hauptwiderstand sich nach
dieser Richtung hinwerfen und alsdann der Platz Kern- und letzter Lebens¬
punkt der Defensive werden kann, unter welcher Voraussetzung der Versuch
einer vorherigen Einnahme selbstredend ein durchaus gerechtfertigter ist. Endlich
können noch Umstände besondrer Art das Interesse der Offensive, sich in den
Besitz einer Festung zu setzen, steigern. Hierzu gehören die Falle, wenn die¬
selbe bedeutende Vorräthe umschließt (wie Danzig 1807); wenn sie eine wich
tige Communication, etwa ein Defilee oder einen Paß abschließt, endlich wenn
sie nach ihrer Eroberung ein bedeutungsvoller Bastöpunkt für weitere Opera¬
tionen zu werden verspricht.

Ich will, bevor ich den eben erörterten Fragepunkt verlasse, noch kurz das in
Betreff Sebastopols obwaltende Verhältniß berühren. Dachte man sich die
Armee der Alliirten von ihrer jetzigen Position aus auf Baktschi Serai und
Simphervpol vperirend, so ist klar, daß sie der Festung gegenüber ein starkes
Corps nicht allein, sondern einen ganzen großen Heertheil zurücklassen müßte,
nicht nur um ihre Operationslinie gegen eine Durchschneidung, sondern
hauptsächlich, um ihre Basis zu decken. Letztere beruht auf den beiden Punkten
Kamiesch und Balaklava, insbesondere auf dem erstem. Wenn man dies be¬
rücksichtigt, vermag man sich kaum eine Situation zu denken, in welcher der
Angriff durch die Dispositionen, die er genommen, der feindlichen Festung einen
weitern Spielraum und zugleich einen entscheidendern Einfluß auf die Kriegs-
acuon gestattet hätte. Das Verhältniß wäre aber sofort ein andres, wenn man
sich die verbündete Armee in Eupatoria concentrirt dächte. Die feindliche
Operationslinie, welche von Perekop aus an jenem Platze vorüber auf
Simpheropol und Baktschi Serai läuft, käme nämlich durch diese Concentrirung
der diesseitigen Streükräfte ihrerseits in den Fall, von Eupatoria aus durch¬
schnitten zu werden. Es würde sich von dem Augenblick an, wo diese Maßregel
in Vollzug käme, nicht mehr darum handeln, Sebastopvl einzunehmen, sondern
nur darum, die russische Armee in einer großen Feldschlacht zu schlagen, denn
rings von Bergen und vom Meere eingeengt und ohne Zufuhr von Kertsch
und Perekop aus müßte dieselbe ihre derzeitige Position aufgeben, um ihre
Verbindung mit dem Isthmus wiederherzustellen. Gesetzt den für sie günstigsten
Fall: es gelänge ihr dies, ohne zur Schlacht gebracht zu werden, so würde
Zur förmlichen Belagerung von Sebaftopol alsdann nur noch der Umstand
einladen können, daß Die Vertheidigung inmittelst eines Rückschlags wiederum
die Verbindung mit der Festung gewinnen könnte (siehe oben), in jeder an¬
dern Hinsicht wäre eine einfache Beobachtung ausreichend; denn die Uebergabe
der Festung wäre von da ab nur eine Frage der Zeit.

Dieses führt mich darauf, hier ein Sachverhältniß klar zu machen, welches


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Operationslinie des Angreifers einzuwirken vermag, wird immerhin der Um¬
stand Berücksichtigung verdienen, daß schließlich der Hauptwiderstand sich nach
dieser Richtung hinwerfen und alsdann der Platz Kern- und letzter Lebens¬
punkt der Defensive werden kann, unter welcher Voraussetzung der Versuch
einer vorherigen Einnahme selbstredend ein durchaus gerechtfertigter ist. Endlich
können noch Umstände besondrer Art das Interesse der Offensive, sich in den
Besitz einer Festung zu setzen, steigern. Hierzu gehören die Falle, wenn die¬
selbe bedeutende Vorräthe umschließt (wie Danzig 1807); wenn sie eine wich
tige Communication, etwa ein Defilee oder einen Paß abschließt, endlich wenn
sie nach ihrer Eroberung ein bedeutungsvoller Bastöpunkt für weitere Opera¬
tionen zu werden verspricht.

Ich will, bevor ich den eben erörterten Fragepunkt verlasse, noch kurz das in
Betreff Sebastopols obwaltende Verhältniß berühren. Dachte man sich die
Armee der Alliirten von ihrer jetzigen Position aus auf Baktschi Serai und
Simphervpol vperirend, so ist klar, daß sie der Festung gegenüber ein starkes
Corps nicht allein, sondern einen ganzen großen Heertheil zurücklassen müßte,
nicht nur um ihre Operationslinie gegen eine Durchschneidung, sondern
hauptsächlich, um ihre Basis zu decken. Letztere beruht auf den beiden Punkten
Kamiesch und Balaklava, insbesondere auf dem erstem. Wenn man dies be¬
rücksichtigt, vermag man sich kaum eine Situation zu denken, in welcher der
Angriff durch die Dispositionen, die er genommen, der feindlichen Festung einen
weitern Spielraum und zugleich einen entscheidendern Einfluß auf die Kriegs-
acuon gestattet hätte. Das Verhältniß wäre aber sofort ein andres, wenn man
sich die verbündete Armee in Eupatoria concentrirt dächte. Die feindliche
Operationslinie, welche von Perekop aus an jenem Platze vorüber auf
Simpheropol und Baktschi Serai läuft, käme nämlich durch diese Concentrirung
der diesseitigen Streükräfte ihrerseits in den Fall, von Eupatoria aus durch¬
schnitten zu werden. Es würde sich von dem Augenblick an, wo diese Maßregel
in Vollzug käme, nicht mehr darum handeln, Sebastopvl einzunehmen, sondern
nur darum, die russische Armee in einer großen Feldschlacht zu schlagen, denn
rings von Bergen und vom Meere eingeengt und ohne Zufuhr von Kertsch
und Perekop aus müßte dieselbe ihre derzeitige Position aufgeben, um ihre
Verbindung mit dem Isthmus wiederherzustellen. Gesetzt den für sie günstigsten
Fall: es gelänge ihr dies, ohne zur Schlacht gebracht zu werden, so würde
Zur förmlichen Belagerung von Sebaftopol alsdann nur noch der Umstand
einladen können, daß Die Vertheidigung inmittelst eines Rückschlags wiederum
die Verbindung mit der Festung gewinnen könnte (siehe oben), in jeder an¬
dern Hinsicht wäre eine einfache Beobachtung ausreichend; denn die Uebergabe
der Festung wäre von da ab nur eine Frage der Zeit.

Dieses führt mich darauf, hier ein Sachverhältniß klar zu machen, welches


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[0225] Operationslinie des Angreifers einzuwirken vermag, wird immerhin der Um¬ stand Berücksichtigung verdienen, daß schließlich der Hauptwiderstand sich nach dieser Richtung hinwerfen und alsdann der Platz Kern- und letzter Lebens¬ punkt der Defensive werden kann, unter welcher Voraussetzung der Versuch einer vorherigen Einnahme selbstredend ein durchaus gerechtfertigter ist. Endlich können noch Umstände besondrer Art das Interesse der Offensive, sich in den Besitz einer Festung zu setzen, steigern. Hierzu gehören die Falle, wenn die¬ selbe bedeutende Vorräthe umschließt (wie Danzig 1807); wenn sie eine wich tige Communication, etwa ein Defilee oder einen Paß abschließt, endlich wenn sie nach ihrer Eroberung ein bedeutungsvoller Bastöpunkt für weitere Opera¬ tionen zu werden verspricht. Ich will, bevor ich den eben erörterten Fragepunkt verlasse, noch kurz das in Betreff Sebastopols obwaltende Verhältniß berühren. Dachte man sich die Armee der Alliirten von ihrer jetzigen Position aus auf Baktschi Serai und Simphervpol vperirend, so ist klar, daß sie der Festung gegenüber ein starkes Corps nicht allein, sondern einen ganzen großen Heertheil zurücklassen müßte, nicht nur um ihre Operationslinie gegen eine Durchschneidung, sondern hauptsächlich, um ihre Basis zu decken. Letztere beruht auf den beiden Punkten Kamiesch und Balaklava, insbesondere auf dem erstem. Wenn man dies be¬ rücksichtigt, vermag man sich kaum eine Situation zu denken, in welcher der Angriff durch die Dispositionen, die er genommen, der feindlichen Festung einen weitern Spielraum und zugleich einen entscheidendern Einfluß auf die Kriegs- acuon gestattet hätte. Das Verhältniß wäre aber sofort ein andres, wenn man sich die verbündete Armee in Eupatoria concentrirt dächte. Die feindliche Operationslinie, welche von Perekop aus an jenem Platze vorüber auf Simpheropol und Baktschi Serai läuft, käme nämlich durch diese Concentrirung der diesseitigen Streükräfte ihrerseits in den Fall, von Eupatoria aus durch¬ schnitten zu werden. Es würde sich von dem Augenblick an, wo diese Maßregel in Vollzug käme, nicht mehr darum handeln, Sebastopvl einzunehmen, sondern nur darum, die russische Armee in einer großen Feldschlacht zu schlagen, denn rings von Bergen und vom Meere eingeengt und ohne Zufuhr von Kertsch und Perekop aus müßte dieselbe ihre derzeitige Position aufgeben, um ihre Verbindung mit dem Isthmus wiederherzustellen. Gesetzt den für sie günstigsten Fall: es gelänge ihr dies, ohne zur Schlacht gebracht zu werden, so würde Zur förmlichen Belagerung von Sebaftopol alsdann nur noch der Umstand einladen können, daß Die Vertheidigung inmittelst eines Rückschlags wiederum die Verbindung mit der Festung gewinnen könnte (siehe oben), in jeder an¬ dern Hinsicht wäre eine einfache Beobachtung ausreichend; denn die Uebergabe der Festung wäre von da ab nur eine Frage der Zeit. Dieses führt mich darauf, hier ein Sachverhältniß klar zu machen, welches Grenzboten. III. >8»!>. 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/225>, abgerufen am 22.07.2024.