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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Plätze sind die einzigen gewesen, welche jemals den Vormarsch der von ihm
selbst befehligten Heere zum Stehen brachten und denen es gelang, dem stets
dem freien Feld und den großen Bewegungsoperationen zustrebenden Führer
gegenüber, die Entscheidung in den Kreis ihrer Enceinte zu bannen. Der
Grund davon ist hauptsächlich darin zu suchen, daß in der gewaltigen Kriegs-
epoche, welcher die Feldzüge Napoleons angehören, die Armeen ganz plötzlich
zu einer enormen Größe angewachsen waren, während in Hinsicht auf die
Festungen damals neuere Principien noch nicht hatten zur Geltung kommen
können. Der syrische und italienische Feldzug sind grade die beiden Ausnahme¬
fälle, in welchen Napoleon eine kleine Armee zu leiten hatte; Danzig aber er¬
reichte schon -1807 die großen Dimensionen unsrer heutigen neuen Plätze.
Wenn Napoleon im Stande war, zur Beobachtung dieser oder jener Festung
ein Corps von 13-^20,000 Mann von seinem Heere abzuzweigen und mit dem
Rest weiter zu marschiren, so geschah es, will ich sagen, eben des Umstandes wegen,
weil dieser Nest bei einer Gesammtmasse von 100,000 Mann noch 80,000 be¬
trug; seine Vorgänger im siebenjährigen und in den früheren Kriegen, die
meistens nur zwischen 40 und 30,000 Mann zu führen hatten, würden nach
einer derartigen Detaschirung ihre Armee außer alle Proportion zu der des
Gegners gesetzt und eben dadurch die Chancen des Feldkrieges sehr zweifelhaft
gemacht haben, weshalb sie sich in der Regel entschlossen, denselben erst dann
wieder zu eröffnen, nachdem der belagerte Platz zum Fall gebracht worden war
und die Wiedervereinigung mit dem Belagerungscorps möglich wurde. Während
es Napoleon nur darauf ankam, eine seinen Rücken gefährdende Festung beob¬
achten oder im äußersten Falle cerniren zu lassen, waren die Feldherrn auf
ihre nachdrückliche Bekämpfung und Einnahme angewiesen. Diese Verhältnisse
sind, wie ich hoffe, klar und werden nicht mißverstanden werden. Sie sind
neuerdings wiederum in der Krim in den Vordergrund getreten, weil die Größe
des ursprünglich gekanteten Heeres auch hier (es waren nur zwischen 30 und
60,000 Mann), eine Detaschirung gegen Sebastopol und ein gleichzeitiges
Agiren im Felde nicht gestattete; sodann weil diese Festung mit ihren Dimen¬
sionen die der Angriffsarmee im Allgemeinen weit überstieg.

Was bei. dem großen Umfang der neueren Plätze, zu dem sie zunächst
durch die vom Polygvnalsystem gebotene Leichtigkeit bedeutende Räume zu um¬
fassen und sodann durch die Befestigung des Vorterrains (detaschirte Forts)
gelangt sind, am meisten berücksichtigt zu werden verdient, das ist der Umstand,
daß durch gesteigerte Ausdehnung das frühere Größenverhältniß zwischen
Festungen und Armeen wieder hergestellt worden ist, oder mit anderen Worten,
daß es, auch abgesehen von einer förmlichen Belagerung, einem modernen
großen Platze gegenüber nicht mehr statthaft sein wird, ihn mittelst eines ein¬
zelnen Corps unschädlich zu machen, sondern daß es hierzu eines bedeutenden


Plätze sind die einzigen gewesen, welche jemals den Vormarsch der von ihm
selbst befehligten Heere zum Stehen brachten und denen es gelang, dem stets
dem freien Feld und den großen Bewegungsoperationen zustrebenden Führer
gegenüber, die Entscheidung in den Kreis ihrer Enceinte zu bannen. Der
Grund davon ist hauptsächlich darin zu suchen, daß in der gewaltigen Kriegs-
epoche, welcher die Feldzüge Napoleons angehören, die Armeen ganz plötzlich
zu einer enormen Größe angewachsen waren, während in Hinsicht auf die
Festungen damals neuere Principien noch nicht hatten zur Geltung kommen
können. Der syrische und italienische Feldzug sind grade die beiden Ausnahme¬
fälle, in welchen Napoleon eine kleine Armee zu leiten hatte; Danzig aber er¬
reichte schon -1807 die großen Dimensionen unsrer heutigen neuen Plätze.
Wenn Napoleon im Stande war, zur Beobachtung dieser oder jener Festung
ein Corps von 13-^20,000 Mann von seinem Heere abzuzweigen und mit dem
Rest weiter zu marschiren, so geschah es, will ich sagen, eben des Umstandes wegen,
weil dieser Nest bei einer Gesammtmasse von 100,000 Mann noch 80,000 be¬
trug; seine Vorgänger im siebenjährigen und in den früheren Kriegen, die
meistens nur zwischen 40 und 30,000 Mann zu führen hatten, würden nach
einer derartigen Detaschirung ihre Armee außer alle Proportion zu der des
Gegners gesetzt und eben dadurch die Chancen des Feldkrieges sehr zweifelhaft
gemacht haben, weshalb sie sich in der Regel entschlossen, denselben erst dann
wieder zu eröffnen, nachdem der belagerte Platz zum Fall gebracht worden war
und die Wiedervereinigung mit dem Belagerungscorps möglich wurde. Während
es Napoleon nur darauf ankam, eine seinen Rücken gefährdende Festung beob¬
achten oder im äußersten Falle cerniren zu lassen, waren die Feldherrn auf
ihre nachdrückliche Bekämpfung und Einnahme angewiesen. Diese Verhältnisse
sind, wie ich hoffe, klar und werden nicht mißverstanden werden. Sie sind
neuerdings wiederum in der Krim in den Vordergrund getreten, weil die Größe
des ursprünglich gekanteten Heeres auch hier (es waren nur zwischen 30 und
60,000 Mann), eine Detaschirung gegen Sebastopol und ein gleichzeitiges
Agiren im Felde nicht gestattete; sodann weil diese Festung mit ihren Dimen¬
sionen die der Angriffsarmee im Allgemeinen weit überstieg.

Was bei. dem großen Umfang der neueren Plätze, zu dem sie zunächst
durch die vom Polygvnalsystem gebotene Leichtigkeit bedeutende Räume zu um¬
fassen und sodann durch die Befestigung des Vorterrains (detaschirte Forts)
gelangt sind, am meisten berücksichtigt zu werden verdient, das ist der Umstand,
daß durch gesteigerte Ausdehnung das frühere Größenverhältniß zwischen
Festungen und Armeen wieder hergestellt worden ist, oder mit anderen Worten,
daß es, auch abgesehen von einer förmlichen Belagerung, einem modernen
großen Platze gegenüber nicht mehr statthaft sein wird, ihn mittelst eines ein¬
zelnen Corps unschädlich zu machen, sondern daß es hierzu eines bedeutenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/222>, abgerufen am 22.07.2024.