Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.Gleichzeitig näherten sich nun auch feindliche Flankeurs, und als Ledebur sein Gleichzeitig näherten sich nun auch feindliche Flankeurs, und als Ledebur sein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0186" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100106"/> <p xml:id="ID_559" prev="#ID_558" next="#ID_560"> Gleichzeitig näherten sich nun auch feindliche Flankeurs, und als Ledebur sein<lb/> Pferd wieder besteigen wollte, um zu den Seinen zu eilen, entdeckte er zu<lb/> seinem Schrecken, daß einer der unberittenen Cavaleristen mit seinem Pferde<lb/> bereits das Weite gesucht hatte. Er konnte nur noch nach einer nahen Weide<lb/> springen, um sich den Rücken zu decken, und den Säbel ziehen, dessen Klinge<lb/> ihm aber nach wenig Hieben sprang, so daß er sich alsbald wehrlos als Ge¬<lb/> fangener in der Gewalt eines französischen Chasseurs befand, der ihn in der<lb/> Richtung nach Naumburg hinter die Front brachte. Noch war die Schlacht<lb/> nicht entschieden und als Ledebur hinter der Front anlangte und die ganzen<lb/> Scharen Verwundeter, die zurückgingen oder gefahren wurden, die große An¬<lb/> zahl der demontirten Geschütze, die immer noch zunahm, und die sehr geringe<lb/> Anzahl preußischer Gefangener sah, die sich bis jetzt in den Händen des Fein¬<lb/> des befand, konnte er sich noch eine Zeitlang schmeicheln, daß die Entschei¬<lb/> dung günstig für Preußen ausfallen werde. Aber der Schlachtendonner wurde<lb/> zwar immer lauter und heftiger, doch kam er nicht näher, und das Saalthal<lb/> herauf strömten immer neue Regimenter Franzosen, namentlich viel Artillerie<lb/> und Reiterei. Die letzte Illusion verschwand, als Ledebur, vor dem Thore von<lb/> Naumburg wartend, eine unabsehbare Colonne preußischer Gefangener Heran¬<lb/> marschiren sah, welchen er sich anschließen mußte. Soviel deutschen Patriotis¬<lb/> mus besaß damals noch die sächsische Stadt, daß sie über das Unglück der<lb/> Preußen nicht jubelte! Die Straßen waren öde und leer, Läden und Haus¬<lb/> thüren blieben verschlossen, kein Neugieriger ließ sich sehen. Die Offiziere<lb/> wurden im Rathskeller untergebracht, wo es ziemlich eng herging, und wo<lb/> Ledebur trotz des wüsten Treibens, das um ihn herrschte, Muse fand, über sein<lb/> Schicksal und seine Zukunft nachzudenken. Keine seiner geringsten Sorgen war,<lb/> sich eine gegen die kalte Herbstluft schützende Kleidung zu verschaffen, denn<lb/> sein knappes Cvlletchen gewährte nur eine ungenügende Bedeckung. Dies<lb/> war aber nicht so leicht, denn er war ganz ohne Geld und er mußte froh<lb/> sein, von einem Kameraden, der sich einen Mantel erschwungen hatte, einen<lb/> überflüssig gewordenen alten Ueberrock geschenkt zu bekommen. Später war er<lb/> so glücklich, sich durch Hilfe eines Freundes und die den gefangenen Offizieren<lb/> von dem französischen Commandanten gewährte Geldunterstützung einen Man¬<lb/> tel, Wäsche und Schuhe anzuschaffen. Andere freilich vertrauten und ver¬<lb/> jubelten lieber das Geld. Vor allem aber beschäftigte Ledebur ein Gedanke,<lb/> wie er sich aus der Gefangenschaft befreien und wieder zu seiner Fahne ge¬<lb/> langen könne. Er hatte anfangs Gewissensscrupel, ob es ehrenhaft sei, sich<lb/> selbst zu ranzioniren und Kameraden, die er um Rath frug, dachten noch mehr<lb/> als an die Ehre an den Nachtheil und die Unannehmlichkeiten, welche die<lb/> Flucht eines Mitgefangenen ihnen zuziehen würde! Nur einer, Lieutenant<lb/> Bornstedt, schloß sich ganz Ledeburs Ansicht an, daß es Pflicht und verdienst-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0186]
Gleichzeitig näherten sich nun auch feindliche Flankeurs, und als Ledebur sein
Pferd wieder besteigen wollte, um zu den Seinen zu eilen, entdeckte er zu
seinem Schrecken, daß einer der unberittenen Cavaleristen mit seinem Pferde
bereits das Weite gesucht hatte. Er konnte nur noch nach einer nahen Weide
springen, um sich den Rücken zu decken, und den Säbel ziehen, dessen Klinge
ihm aber nach wenig Hieben sprang, so daß er sich alsbald wehrlos als Ge¬
fangener in der Gewalt eines französischen Chasseurs befand, der ihn in der
Richtung nach Naumburg hinter die Front brachte. Noch war die Schlacht
nicht entschieden und als Ledebur hinter der Front anlangte und die ganzen
Scharen Verwundeter, die zurückgingen oder gefahren wurden, die große An¬
zahl der demontirten Geschütze, die immer noch zunahm, und die sehr geringe
Anzahl preußischer Gefangener sah, die sich bis jetzt in den Händen des Fein¬
des befand, konnte er sich noch eine Zeitlang schmeicheln, daß die Entschei¬
dung günstig für Preußen ausfallen werde. Aber der Schlachtendonner wurde
zwar immer lauter und heftiger, doch kam er nicht näher, und das Saalthal
herauf strömten immer neue Regimenter Franzosen, namentlich viel Artillerie
und Reiterei. Die letzte Illusion verschwand, als Ledebur, vor dem Thore von
Naumburg wartend, eine unabsehbare Colonne preußischer Gefangener Heran¬
marschiren sah, welchen er sich anschließen mußte. Soviel deutschen Patriotis¬
mus besaß damals noch die sächsische Stadt, daß sie über das Unglück der
Preußen nicht jubelte! Die Straßen waren öde und leer, Läden und Haus¬
thüren blieben verschlossen, kein Neugieriger ließ sich sehen. Die Offiziere
wurden im Rathskeller untergebracht, wo es ziemlich eng herging, und wo
Ledebur trotz des wüsten Treibens, das um ihn herrschte, Muse fand, über sein
Schicksal und seine Zukunft nachzudenken. Keine seiner geringsten Sorgen war,
sich eine gegen die kalte Herbstluft schützende Kleidung zu verschaffen, denn
sein knappes Cvlletchen gewährte nur eine ungenügende Bedeckung. Dies
war aber nicht so leicht, denn er war ganz ohne Geld und er mußte froh
sein, von einem Kameraden, der sich einen Mantel erschwungen hatte, einen
überflüssig gewordenen alten Ueberrock geschenkt zu bekommen. Später war er
so glücklich, sich durch Hilfe eines Freundes und die den gefangenen Offizieren
von dem französischen Commandanten gewährte Geldunterstützung einen Man¬
tel, Wäsche und Schuhe anzuschaffen. Andere freilich vertrauten und ver¬
jubelten lieber das Geld. Vor allem aber beschäftigte Ledebur ein Gedanke,
wie er sich aus der Gefangenschaft befreien und wieder zu seiner Fahne ge¬
langen könne. Er hatte anfangs Gewissensscrupel, ob es ehrenhaft sei, sich
selbst zu ranzioniren und Kameraden, die er um Rath frug, dachten noch mehr
als an die Ehre an den Nachtheil und die Unannehmlichkeiten, welche die
Flucht eines Mitgefangenen ihnen zuziehen würde! Nur einer, Lieutenant
Bornstedt, schloß sich ganz Ledeburs Ansicht an, daß es Pflicht und verdienst-
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