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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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verschiedener Tempi. ES fehlte nicht an pflichtgetreuen Musikfreunden, die
alle Proben und Concerte von A bis Z mitmachten. DaS ist wahrlich sehr
viel, denn jedes Concert setzte schon eine starke Genußfähigkeit voraus; allein,
wie manche Aerzte sagen, daß einer guten Constitution von Zeit zu Zeit ein
derber Diätfehler gesund sei, so geht es wol, mit den musikalischen Genüssen
auch: man kann in solchen Zeiten unglaublich viel vertragen.

Ueberhaupt verdubt man sich bei einem Musikfest, wie es scheint, den
Magen nicht. Das Sprichwort sagt: Die Liebe zehrt; -- das mag zweifelhaft
sein, allein ganz gewiß ist eS, daß Mustk zehrt. Man hat längst beobachtet,
daß sich die Musiker auch durch ihren Appetit auszeichnen -- ich weiß nicht, ob
diese Thatsache schon physiologisch untersucht und aufgeklärt ist, die Kamera¬
listen scheinen ihr noch nicht die wünschenswerthe Beachtung geschenkt zu haben,
sonst würden die Musiker wol besser bezahlt -- und selbst die, welche durch
Zuhören zu temporären Musikern werben, pflegen diese Wirkung an sich-zu
erfahren. Daher sah man denn nach Proben und Concerten die Scharen
der activen und passiven Musiker in beschleunigtem Tempo den wohlbesetzten
Tafeln der Wirthshäuser entgegenziehen. Denn auffaUenderweise war im
Festlocal selbst keine Einrichtung zu einer großartigen Mittagstafel getroffen.
Was Essen lind Trinken anlangt ist man bekanntlich am Rhein wohl aufge¬
hoben uno es war jegliche Gelegenheit geboten, die musikalische Stimmung zu
erhallen und zu erhöhen. Daß die Wirthe ihrerseits den außerordentlichen
Zudrang von Fremden nicht unbenutzt ließen, sich gleichfalls in eine festliche
Stimmung zu versetzen, kann man sich denken. Namentlich wer nicht zur
rechten Zeit durch gute Freunde sich Quartier besorgt hatte, konnte leicht in
die Lage kommen, selbst für wenig entsprechende Leistungen Preise zu zahlen,
die einer Weltstadt würdig waren und als eine genügende Vorbereitung auf
die pariser Ausstellung gelten konnten. Indessen so voll es war, konnte man
doch mit der Bewirthung sehr wohl zufrieden sein, auch gelang eS fast immer, daß
ein kleiner Kreis von Freunden sich zu behaglicher Unterhaltung zusammen¬
setzen konnte, was bei so mächtig einstürmenden Genüssen doppelt und drei¬
fach zu schätzen war. Die unfreiwillige Theilnahme an den ringsumher ge¬
führten Gesprächen erhöhet" gewöhnlich die Heiterkeit, indessen war es höchst
erireulich, trotz so manchen ins Gelag hinein geschwatzten Urtheilen wahrzu¬
nehmen, daß-ein reges und warmes Interesse für die Musik beim Musikfest
durchaus vorherrschte, und namentlich in welchem Grade die Schöpfungen
unsrer großen Meister allgemein bekannt sind und empfunden werden. "Wenn
die Stelle in der ".Imoll Symphonie kommt," sagte ein jovialer Mann, der
vom Lande hereingekommen war, "wo durch all den Kampf und Drang daS
sichere Gefühl des nahen Sieges durchdringt, dann bin ich fertig, dann kann
ich vie Thränen nie zurückhalten."


verschiedener Tempi. ES fehlte nicht an pflichtgetreuen Musikfreunden, die
alle Proben und Concerte von A bis Z mitmachten. DaS ist wahrlich sehr
viel, denn jedes Concert setzte schon eine starke Genußfähigkeit voraus; allein,
wie manche Aerzte sagen, daß einer guten Constitution von Zeit zu Zeit ein
derber Diätfehler gesund sei, so geht es wol, mit den musikalischen Genüssen
auch: man kann in solchen Zeiten unglaublich viel vertragen.

Ueberhaupt verdubt man sich bei einem Musikfest, wie es scheint, den
Magen nicht. Das Sprichwort sagt: Die Liebe zehrt; — das mag zweifelhaft
sein, allein ganz gewiß ist eS, daß Mustk zehrt. Man hat längst beobachtet,
daß sich die Musiker auch durch ihren Appetit auszeichnen — ich weiß nicht, ob
diese Thatsache schon physiologisch untersucht und aufgeklärt ist, die Kamera¬
listen scheinen ihr noch nicht die wünschenswerthe Beachtung geschenkt zu haben,
sonst würden die Musiker wol besser bezahlt — und selbst die, welche durch
Zuhören zu temporären Musikern werben, pflegen diese Wirkung an sich-zu
erfahren. Daher sah man denn nach Proben und Concerten die Scharen
der activen und passiven Musiker in beschleunigtem Tempo den wohlbesetzten
Tafeln der Wirthshäuser entgegenziehen. Denn auffaUenderweise war im
Festlocal selbst keine Einrichtung zu einer großartigen Mittagstafel getroffen.
Was Essen lind Trinken anlangt ist man bekanntlich am Rhein wohl aufge¬
hoben uno es war jegliche Gelegenheit geboten, die musikalische Stimmung zu
erhallen und zu erhöhen. Daß die Wirthe ihrerseits den außerordentlichen
Zudrang von Fremden nicht unbenutzt ließen, sich gleichfalls in eine festliche
Stimmung zu versetzen, kann man sich denken. Namentlich wer nicht zur
rechten Zeit durch gute Freunde sich Quartier besorgt hatte, konnte leicht in
die Lage kommen, selbst für wenig entsprechende Leistungen Preise zu zahlen,
die einer Weltstadt würdig waren und als eine genügende Vorbereitung auf
die pariser Ausstellung gelten konnten. Indessen so voll es war, konnte man
doch mit der Bewirthung sehr wohl zufrieden sein, auch gelang eS fast immer, daß
ein kleiner Kreis von Freunden sich zu behaglicher Unterhaltung zusammen¬
setzen konnte, was bei so mächtig einstürmenden Genüssen doppelt und drei¬
fach zu schätzen war. Die unfreiwillige Theilnahme an den ringsumher ge¬
führten Gesprächen erhöhet« gewöhnlich die Heiterkeit, indessen war es höchst
erireulich, trotz so manchen ins Gelag hinein geschwatzten Urtheilen wahrzu¬
nehmen, daß-ein reges und warmes Interesse für die Musik beim Musikfest
durchaus vorherrschte, und namentlich in welchem Grade die Schöpfungen
unsrer großen Meister allgemein bekannt sind und empfunden werden. „Wenn
die Stelle in der «.Imoll Symphonie kommt," sagte ein jovialer Mann, der
vom Lande hereingekommen war, „wo durch all den Kampf und Drang daS
sichere Gefühl des nahen Sieges durchdringt, dann bin ich fertig, dann kann
ich vie Thränen nie zurückhalten."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/16>, abgerufen am 22.07.2024.