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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Nachmittags eine Stunde früher an, und dauerte bis spät am Abend. Am
Sonntag war Rasttag und nnr des Abends Concert, Montag und Dienstag
den gauzen Vormittag Probe und Abends Concert. Man muß gestehen, daS
war eine so scharfe Campagne, daß es alle Anerkennung verdient, wenn es
weder Kranke noch Deserteurs gab. Im Gegentheil wurden die Proben auch
vom zuhörenden Publicum ziemlich stark besucht. Manche machten sich wol
die geringeren Eintrittspreise zu Nutze und verzichteten nachher aufs Concert,
wenn sie die Probe gehört hatten. Diese hatten denn freilich dafür manches
auszustehen. Wer sich z. B. darauf gespitzt hatte, Frau Goldschmidt als Perl
zu hören, den mochte es wol verdrießen, daß er zehn Groschen hatte sparen
wollen, als sie in der Probe nur so that wie singen. Für den, der sein Con-
certbillet in der Tasche halte, war grade das interessant, wie sie bei dein denk¬
bar geringsten Aufwand von Ton mit vollkommener Sicherheit nur die Spitzen
der Melodie streifte, so daß, wie in einer flüchtigen Zeichnung von Meister¬
hand entworfen, nur die Umrisse leicht aber vollkommen klar und fest heraus¬
traten. Ueberhaupt versetzen die Proben den einfachen Genußmenschen in
eine Art von TantaluSsituation. Wenn eben alles im besten Zuge ist, klopft
der Dirigent auf -- er sieht gar nicht ein warum, -- bringt mit Mühe alle
zum Schweigen, hält eine Anrede, von der er im Zuhörerraum nichts versteht;
nun gehts wieder von vorn an, damit an derselben Stelle gleich wieder auf¬
gehört wird. Wenn es damit geht wie im Andante der Cmoll Symphonie,
wo die Bässe allein ihre Passagen spielen mußten, daß man denken sollte
antediluvianische Mammuths singen an ihre Gebeine in Bewegung zu setzen,
wird er sich auch humoristisch angesprochen finden, aber leider sind es meistens
gar nicht die schönsten Stellen, die man gern recht oft hören möchte, welche
so oft wiederholt werden. Der nrme Mensch kommt am Ende in ein solches
Mißtrauen hinein, daß er sich gar nicht mehr zuzuhören getraut, blos weil er
fürchtet, daß ihn das heimtückische Klopfen doch gleich wieder stören wird. Ja,
eS kann ihm passiren, daß, wenn drei ober vier Stellen aus einer Ouvertüre
jede zwanzigmal gespielt sind, der Dirigent die Partitur zumacht und sagt:
"Ich danke Ihnen, meine Herrn, das Uebrige geht so!" Für den rechten Lieb¬
haber abu-, der die Proben besucht, um die Musikstücke kennen zu lernen und sich
für die Concerte vorzubereiten, der seine Freude an dem Fortschritt in der
Ausführung, ein der immer feineren Ausarbeitung des Details hat, für den
ist jede Störung der Art eine Erhöhung seines Genusses und er fühlt sich in
seinem Gewissen beunruhigt, wenn es gar zu glatt fortgeht. Glücklich ist er,
wenn er nachlese" ""h den Dirigenten controliren kann; mit dem größten Be^
Hagen bemerkt er Fehler, von denen jener keine Notiz nimmt und wundert sich,
wenn jener aufhören läßt, wo er nichts gehört hatte; und wenn alles vortreff¬
lich geht, so "ahrt er wenigstens seine Selbstständigkeit durch Mißbilligung


Nachmittags eine Stunde früher an, und dauerte bis spät am Abend. Am
Sonntag war Rasttag und nnr des Abends Concert, Montag und Dienstag
den gauzen Vormittag Probe und Abends Concert. Man muß gestehen, daS
war eine so scharfe Campagne, daß es alle Anerkennung verdient, wenn es
weder Kranke noch Deserteurs gab. Im Gegentheil wurden die Proben auch
vom zuhörenden Publicum ziemlich stark besucht. Manche machten sich wol
die geringeren Eintrittspreise zu Nutze und verzichteten nachher aufs Concert,
wenn sie die Probe gehört hatten. Diese hatten denn freilich dafür manches
auszustehen. Wer sich z. B. darauf gespitzt hatte, Frau Goldschmidt als Perl
zu hören, den mochte es wol verdrießen, daß er zehn Groschen hatte sparen
wollen, als sie in der Probe nur so that wie singen. Für den, der sein Con-
certbillet in der Tasche halte, war grade das interessant, wie sie bei dein denk¬
bar geringsten Aufwand von Ton mit vollkommener Sicherheit nur die Spitzen
der Melodie streifte, so daß, wie in einer flüchtigen Zeichnung von Meister¬
hand entworfen, nur die Umrisse leicht aber vollkommen klar und fest heraus¬
traten. Ueberhaupt versetzen die Proben den einfachen Genußmenschen in
eine Art von TantaluSsituation. Wenn eben alles im besten Zuge ist, klopft
der Dirigent auf — er sieht gar nicht ein warum, — bringt mit Mühe alle
zum Schweigen, hält eine Anrede, von der er im Zuhörerraum nichts versteht;
nun gehts wieder von vorn an, damit an derselben Stelle gleich wieder auf¬
gehört wird. Wenn es damit geht wie im Andante der Cmoll Symphonie,
wo die Bässe allein ihre Passagen spielen mußten, daß man denken sollte
antediluvianische Mammuths singen an ihre Gebeine in Bewegung zu setzen,
wird er sich auch humoristisch angesprochen finden, aber leider sind es meistens
gar nicht die schönsten Stellen, die man gern recht oft hören möchte, welche
so oft wiederholt werden. Der nrme Mensch kommt am Ende in ein solches
Mißtrauen hinein, daß er sich gar nicht mehr zuzuhören getraut, blos weil er
fürchtet, daß ihn das heimtückische Klopfen doch gleich wieder stören wird. Ja,
eS kann ihm passiren, daß, wenn drei ober vier Stellen aus einer Ouvertüre
jede zwanzigmal gespielt sind, der Dirigent die Partitur zumacht und sagt:
„Ich danke Ihnen, meine Herrn, das Uebrige geht so!" Für den rechten Lieb¬
haber abu-, der die Proben besucht, um die Musikstücke kennen zu lernen und sich
für die Concerte vorzubereiten, der seine Freude an dem Fortschritt in der
Ausführung, ein der immer feineren Ausarbeitung des Details hat, für den
ist jede Störung der Art eine Erhöhung seines Genusses und er fühlt sich in
seinem Gewissen beunruhigt, wenn es gar zu glatt fortgeht. Glücklich ist er,
wenn er nachlese» «„h den Dirigenten controliren kann; mit dem größten Be^
Hagen bemerkt er Fehler, von denen jener keine Notiz nimmt und wundert sich,
wenn jener aufhören läßt, wo er nichts gehört hatte; und wenn alles vortreff¬
lich geht, so «ahrt er wenigstens seine Selbstständigkeit durch Mißbilligung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/15>, abgerufen am 22.07.2024.