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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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tung sprach sich für eine vertrauensvolle Annahme der königlichen Gabe aus,
nur daß sie die noch mangelnden, 1843 und 1820 versprochenen Verfassungs-
rechte vom berufenen "vereinigten Landtage" selbst "gewahrt" wissen wollte.
Sie erklärte ihre Befriedigung darüber, daß der vereinigte Landtag zwei ein¬
ander entgegenstehende Klippen vermied: den konstitutionellen Doktri¬
narismus, der unter Verkennung der dargebotenen werthvollen Anfänge und
Handhaben zu einer "Jncompetenzerklärung" führen mußte und das falsche
Vertrauen, welches alle festen politischen Formen für entbehrlich hält; daß
der Landtag sofort in sich die Reichsstände von 1820 anerkannte, aber zugleich
wegen der ihm als solchen noch nicht völlig Überantwortelen Rechte ehrerbietige
Verwahrung einlegte; daß er in standhafter Behauptung der rechten Linie der
Wohlthat der Landrentenbanken entsagte und den ersehnten Bau der großen
Ostbahn, wenn auch mit schwerem Herzen, ablehnte. Die erste Befestigung
eines sichern Rechtsbodens war erfolgt, zugleich in der Gewissens- und Cultus-
sreiheit durch das Patent vom 30. März 1847 über die Civilstandsacte der
Dissidenten ein wichtiger Schritt vorwärts gethan.

Noch war der Ausschuß des vereinigten Landtags in Berlin versammelt,
als die pariser Februarrevolution ausbrach und von 1848 bis zum Novembe-r
18S0 eine Periode wechselnder Täuschungen und Enttäuschungen folgte,
während welcher die Negierung selbst wechselnde Ziele aufpflanzte und wieder
aufgab.

Sofort nach der Kunde von den pariser Februarereignissen machte die köl¬
nische Zeitung Front gegen Frankreich und französische Propaganda. Sie
wollte die Freiheit Deutschlands, aber aus dem ureigner Geiste des deutschen
Volkes; sie wollte diese Freiheit nicht auf Kosten der Ehre und der Unabhängig¬
keit des Vaterlandes; sie verlangte rechtzeitige Kriegsbereitschaft Deutschlands,
daneben aber auch alsbaldige Berufung der deutschen Volksvertreter um die
deutschen Throne. Sie verlangte insbesondere von der preußischen Negierung
eine Konstitution sür Preußen und eine thatkräftige Initiative zur Reform des
deutschen Bundes.

Die preußische Regierung bewilligte aber am K.März nur die Periodicität
des vereinigten Landtages, berief den Landtag auf den 27. April nach Berlin
und lud die deutschen Fürsten zur "Regeneration des deutschen Bundes" zu
einer Konferenz nach Dresden auf den 23. März ein, wobei sie ausdrücklich
bemerkte, daß Oestreichs Stellung nicht präjudicirt werden solle.

Noch einmal, am 18. März, mahnte die kölnische Zeitung an die Dring¬
lichkeit des Augenblicks, die langwierige Fürstencongresse nicht zulasse, Preu¬
ßen müsse Deutschland durch eine von der Noth gebotene kühne Usurpa¬
tion retten. Aber es war jetzt zu spät. In Wien war am 19. März Met-
ternich und sein System gestürzt, die Kaiserstadt unter die Herrschaft der Aula


tung sprach sich für eine vertrauensvolle Annahme der königlichen Gabe aus,
nur daß sie die noch mangelnden, 1843 und 1820 versprochenen Verfassungs-
rechte vom berufenen „vereinigten Landtage" selbst „gewahrt" wissen wollte.
Sie erklärte ihre Befriedigung darüber, daß der vereinigte Landtag zwei ein¬
ander entgegenstehende Klippen vermied: den konstitutionellen Doktri¬
narismus, der unter Verkennung der dargebotenen werthvollen Anfänge und
Handhaben zu einer „Jncompetenzerklärung" führen mußte und das falsche
Vertrauen, welches alle festen politischen Formen für entbehrlich hält; daß
der Landtag sofort in sich die Reichsstände von 1820 anerkannte, aber zugleich
wegen der ihm als solchen noch nicht völlig Überantwortelen Rechte ehrerbietige
Verwahrung einlegte; daß er in standhafter Behauptung der rechten Linie der
Wohlthat der Landrentenbanken entsagte und den ersehnten Bau der großen
Ostbahn, wenn auch mit schwerem Herzen, ablehnte. Die erste Befestigung
eines sichern Rechtsbodens war erfolgt, zugleich in der Gewissens- und Cultus-
sreiheit durch das Patent vom 30. März 1847 über die Civilstandsacte der
Dissidenten ein wichtiger Schritt vorwärts gethan.

Noch war der Ausschuß des vereinigten Landtags in Berlin versammelt,
als die pariser Februarrevolution ausbrach und von 1848 bis zum Novembe-r
18S0 eine Periode wechselnder Täuschungen und Enttäuschungen folgte,
während welcher die Negierung selbst wechselnde Ziele aufpflanzte und wieder
aufgab.

Sofort nach der Kunde von den pariser Februarereignissen machte die köl¬
nische Zeitung Front gegen Frankreich und französische Propaganda. Sie
wollte die Freiheit Deutschlands, aber aus dem ureigner Geiste des deutschen
Volkes; sie wollte diese Freiheit nicht auf Kosten der Ehre und der Unabhängig¬
keit des Vaterlandes; sie verlangte rechtzeitige Kriegsbereitschaft Deutschlands,
daneben aber auch alsbaldige Berufung der deutschen Volksvertreter um die
deutschen Throne. Sie verlangte insbesondere von der preußischen Negierung
eine Konstitution sür Preußen und eine thatkräftige Initiative zur Reform des
deutschen Bundes.

Die preußische Regierung bewilligte aber am K.März nur die Periodicität
des vereinigten Landtages, berief den Landtag auf den 27. April nach Berlin
und lud die deutschen Fürsten zur „Regeneration des deutschen Bundes" zu
einer Konferenz nach Dresden auf den 23. März ein, wobei sie ausdrücklich
bemerkte, daß Oestreichs Stellung nicht präjudicirt werden solle.

Noch einmal, am 18. März, mahnte die kölnische Zeitung an die Dring¬
lichkeit des Augenblicks, die langwierige Fürstencongresse nicht zulasse, Preu¬
ßen müsse Deutschland durch eine von der Noth gebotene kühne Usurpa¬
tion retten. Aber es war jetzt zu spät. In Wien war am 19. März Met-
ternich und sein System gestürzt, die Kaiserstadt unter die Herrschaft der Aula


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/142>, abgerufen am 22.12.2024.