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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Farbenglanz der Dichtung und wie es den großen Malern des 16. Jahrhun¬
derts gelang, die kirchlichen Ueberlieferungen trotz ihres innern Widerstrebens
in das sonnenhelle Reich der Farbe und Gestalt aufzunehmen, so wird auch
hier durch eine seltene dichterische Gabe das Ueberlieferte zu einer individuellen
Erscheinung. Zu einer Zeit, wo man ganz mit Recht auf das drohende Um¬
sichgreifen des Katholicismus aufmerksam wurde, hat man auch in Novalis
in diesen Gedichten an die Jungfrau Maria u. s. w. die katholische Anschauung
wiederfinden wollen, und Fr. Schlegel, der selbst katholisch geworden war,
nahm zu diesem Zwecke einen älteren Aussatz ,,über die Christenheit", der früher
seiner Unreife wegen verworfen worden war, 1836 in die sämmtlichen Schriften
von Novalis auf. Es ist aber sehr taktvoll von Tieck gewesen, daß er bei
der 3. Auflage diese Schrift wieder ausgemerzt hat, und zwar ist es sehr richtig,
daß er auf seinen Freund das bekannte Distichon von Schiller anwendete:


"Welche Religion ich bekenne? Keine von allen,
"Die du mir nennest! Und warum keine?
Aus Religion."

Nur in einem Sinne könnte man Novalis katholisch nennen, weil ihm
die Religion durch das Medium der Phantasie aufging, während der Protestant
sie durch das Medium des Gewissens empfangen soll. Aber dieser Unterschied
war in jener Zeit überhaupt abgeschwächt und die Phantasie nahm bei No¬
valis nicht jene bedenklichen Wendungen an, die das Spiel in das Gebiet
der Wirklichkeit überführen. Man lese die folgenden Strophen an die Jung¬
frau Maria und man wird sich überzeugen, daß hier nicht von der katholischen
Mutter Gottes, soudern nur von einem freien, rein poetischen Ideale die
Rede sein kann.


"Oft, wenn ich träumte, sah ich dich,
So schön, so herzensinniglich,
Der kleine Gott aus deinen Armen
Wollt des Gespielen sich erbarmen;
Du aber hobst den hehren Blick
Und gingst in tiefe Wvlkenpracht zurück.
Was hab ich Armer dir gethan?
Noch bet ich dich voll Sehnsucht an,
Sind deine heiligen Kapellen
Nicht meines Lebens Ruhestellen?
Gebenedeite Königin,
Nimm dieses Herz mit diesem Leben hin!

Die Lehrlinge von Sais sind ein Bestreben, die Natur in das Gebiet
der Poesie und Philosophie aufzunehmen, sie in Symbolik und Mythologie
aufzulösen. Es sind wol einzelne interessante Bemerkungen darin, das Ganze
aber ist schattenhafter und gestaltloser, als irgendeine andere Schrift von No-


Grenzbotcn. III. ->8ö6. 17

Farbenglanz der Dichtung und wie es den großen Malern des 16. Jahrhun¬
derts gelang, die kirchlichen Ueberlieferungen trotz ihres innern Widerstrebens
in das sonnenhelle Reich der Farbe und Gestalt aufzunehmen, so wird auch
hier durch eine seltene dichterische Gabe das Ueberlieferte zu einer individuellen
Erscheinung. Zu einer Zeit, wo man ganz mit Recht auf das drohende Um¬
sichgreifen des Katholicismus aufmerksam wurde, hat man auch in Novalis
in diesen Gedichten an die Jungfrau Maria u. s. w. die katholische Anschauung
wiederfinden wollen, und Fr. Schlegel, der selbst katholisch geworden war,
nahm zu diesem Zwecke einen älteren Aussatz ,,über die Christenheit", der früher
seiner Unreife wegen verworfen worden war, 1836 in die sämmtlichen Schriften
von Novalis auf. Es ist aber sehr taktvoll von Tieck gewesen, daß er bei
der 3. Auflage diese Schrift wieder ausgemerzt hat, und zwar ist es sehr richtig,
daß er auf seinen Freund das bekannte Distichon von Schiller anwendete:


„Welche Religion ich bekenne? Keine von allen,
„Die du mir nennest! Und warum keine?
Aus Religion."

Nur in einem Sinne könnte man Novalis katholisch nennen, weil ihm
die Religion durch das Medium der Phantasie aufging, während der Protestant
sie durch das Medium des Gewissens empfangen soll. Aber dieser Unterschied
war in jener Zeit überhaupt abgeschwächt und die Phantasie nahm bei No¬
valis nicht jene bedenklichen Wendungen an, die das Spiel in das Gebiet
der Wirklichkeit überführen. Man lese die folgenden Strophen an die Jung¬
frau Maria und man wird sich überzeugen, daß hier nicht von der katholischen
Mutter Gottes, soudern nur von einem freien, rein poetischen Ideale die
Rede sein kann.


„Oft, wenn ich träumte, sah ich dich,
So schön, so herzensinniglich,
Der kleine Gott aus deinen Armen
Wollt des Gespielen sich erbarmen;
Du aber hobst den hehren Blick
Und gingst in tiefe Wvlkenpracht zurück.
Was hab ich Armer dir gethan?
Noch bet ich dich voll Sehnsucht an,
Sind deine heiligen Kapellen
Nicht meines Lebens Ruhestellen?
Gebenedeite Königin,
Nimm dieses Herz mit diesem Leben hin!

Die Lehrlinge von Sais sind ein Bestreben, die Natur in das Gebiet
der Poesie und Philosophie aufzunehmen, sie in Symbolik und Mythologie
aufzulösen. Es sind wol einzelne interessante Bemerkungen darin, das Ganze
aber ist schattenhafter und gestaltloser, als irgendeine andere Schrift von No-


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[0137] Farbenglanz der Dichtung und wie es den großen Malern des 16. Jahrhun¬ derts gelang, die kirchlichen Ueberlieferungen trotz ihres innern Widerstrebens in das sonnenhelle Reich der Farbe und Gestalt aufzunehmen, so wird auch hier durch eine seltene dichterische Gabe das Ueberlieferte zu einer individuellen Erscheinung. Zu einer Zeit, wo man ganz mit Recht auf das drohende Um¬ sichgreifen des Katholicismus aufmerksam wurde, hat man auch in Novalis in diesen Gedichten an die Jungfrau Maria u. s. w. die katholische Anschauung wiederfinden wollen, und Fr. Schlegel, der selbst katholisch geworden war, nahm zu diesem Zwecke einen älteren Aussatz ,,über die Christenheit", der früher seiner Unreife wegen verworfen worden war, 1836 in die sämmtlichen Schriften von Novalis auf. Es ist aber sehr taktvoll von Tieck gewesen, daß er bei der 3. Auflage diese Schrift wieder ausgemerzt hat, und zwar ist es sehr richtig, daß er auf seinen Freund das bekannte Distichon von Schiller anwendete: „Welche Religion ich bekenne? Keine von allen, „Die du mir nennest! Und warum keine? Aus Religion." Nur in einem Sinne könnte man Novalis katholisch nennen, weil ihm die Religion durch das Medium der Phantasie aufging, während der Protestant sie durch das Medium des Gewissens empfangen soll. Aber dieser Unterschied war in jener Zeit überhaupt abgeschwächt und die Phantasie nahm bei No¬ valis nicht jene bedenklichen Wendungen an, die das Spiel in das Gebiet der Wirklichkeit überführen. Man lese die folgenden Strophen an die Jung¬ frau Maria und man wird sich überzeugen, daß hier nicht von der katholischen Mutter Gottes, soudern nur von einem freien, rein poetischen Ideale die Rede sein kann. „Oft, wenn ich träumte, sah ich dich, So schön, so herzensinniglich, Der kleine Gott aus deinen Armen Wollt des Gespielen sich erbarmen; Du aber hobst den hehren Blick Und gingst in tiefe Wvlkenpracht zurück. Was hab ich Armer dir gethan? Noch bet ich dich voll Sehnsucht an, Sind deine heiligen Kapellen Nicht meines Lebens Ruhestellen? Gebenedeite Königin, Nimm dieses Herz mit diesem Leben hin! Die Lehrlinge von Sais sind ein Bestreben, die Natur in das Gebiet der Poesie und Philosophie aufzunehmen, sie in Symbolik und Mythologie aufzulösen. Es sind wol einzelne interessante Bemerkungen darin, das Ganze aber ist schattenhafter und gestaltloser, als irgendeine andere Schrift von No- Grenzbotcn. III. ->8ö6. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/137>, abgerufen am 22.07.2024.