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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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ätherischen Beruf des Künstlers. Frühere Schwärmer meinten, daß man sich einen
Dichter nenne könne, wenn man große Empfindungen und große Gedanken
habe, jetzt wurden auch die großen Empfindungen und Gedanken als etwas
Gleichgiltiges betrachtet, da eine in sich selbst hohe Seele nickt nöthig habe,
sich erst zu Gedanken und Empfindungen herabzulassen. Dieses poetische
Princip hängt auf das genaueste mit der individuellen Natur des Dichters
zusammen.

In Novalis paart sich großer Reichthum von Ideen und Empfindungen
-mit einer absoluten Unfähigkeit zur Gestaltung und zur kritischen Unterschei¬
dung. In Bezug auf Inspiration steht er wenig Dichtern nach, aber ihm
fehlt der Regulator des Gemeingefühls; Farben und Gestalten gehen wider¬
standslos ineinander über. Aus seinen Liedern klingt uns zuweilen ein so tiefer,
seelenvoller Ton entgegen, daß er mit einem gewissem Schmerz in unser
Inneres dringt. Aber man muß sie von ferne hören, denn sucht man zu
unterscheiden, den Tönen Worte und den Worten Empfindungen und Gedanken
unterzulegen, so hört man zuletzt nichts mehr, als ein unrhythmisches Ton-
gezitter, Accorde ohne Zusammenhang, von einer realen, möglichen, mensch¬
lich begreiflichen Empfindung ist keine Spur: es ist eine Stimmung, die sich
sehnt, sich zur Empfindung zu gestalten. Seine Bilder -- z. B. in den
"Hymnen an die Nacht" treffen von ferne unser Auge mit glühenden, mär¬
chenhaften Farben; treten wir aber näher, um zu sehen, was sie vorstellen,
so flimmert uns alles vor den Augen. Ganz dasselbe läßt sich von seinen
Gedanken sagen. In der aphoristischen Form werden wir von ihnen überrascht
und angezogen, zuweilen durch einen Strahl des Genius geblendet, versuchen
wir aber, sie näher auszuführen, das Fragmentarische zu ergänzen, in den Witz
einen realen Inhalt zu legen, der etwa dem Dichter vorgeschwebt haben könnte,
so überzeugen wir uns sehr bald von der Unmöglichkeit: es sind nur embry¬
onische Ideen. Ebenso embryonisch sind seine Geschichten und Persönlichkeiten.
Wir treffen in seinem "Heinrich von Ofterdingen" wol zuweilen auf
eine Gestalt oder auf ein Ereignis), von denen wir vermuthen, sie würden,
aufmerksamer betrachtet, unser Interesse erregen; aber treten wir einen Schritt
näher, so verlieren sie sich im Nebel. Auch der verworrenste Traum hat doch
eine gewisse Konsistenz, hier aber geht widerstandslos alles ineinander über:
der Dichter, seine Geliebte, sein Lehrer, der Mond, der Sinn und noch ein
Dutzend andre allegorische Begriffe, das alles ist ein und dasselbe und wir
begreifen nicht, wie in dieser Schattenwelt auch nur der Schein einer Bewegung
stattfinden konnte.

Wir werden diesen Roman, der jeden Unbefangenen in Verwirrung setzen
muß, eher verstehen, wenn wir ihn in seine Elemente auflösen; unzweifelhaft
hat ihm als Vorbild der Wilhelm Meister vorgeschwebt. Das harte Urtheil,


ätherischen Beruf des Künstlers. Frühere Schwärmer meinten, daß man sich einen
Dichter nenne könne, wenn man große Empfindungen und große Gedanken
habe, jetzt wurden auch die großen Empfindungen und Gedanken als etwas
Gleichgiltiges betrachtet, da eine in sich selbst hohe Seele nickt nöthig habe,
sich erst zu Gedanken und Empfindungen herabzulassen. Dieses poetische
Princip hängt auf das genaueste mit der individuellen Natur des Dichters
zusammen.

In Novalis paart sich großer Reichthum von Ideen und Empfindungen
-mit einer absoluten Unfähigkeit zur Gestaltung und zur kritischen Unterschei¬
dung. In Bezug auf Inspiration steht er wenig Dichtern nach, aber ihm
fehlt der Regulator des Gemeingefühls; Farben und Gestalten gehen wider¬
standslos ineinander über. Aus seinen Liedern klingt uns zuweilen ein so tiefer,
seelenvoller Ton entgegen, daß er mit einem gewissem Schmerz in unser
Inneres dringt. Aber man muß sie von ferne hören, denn sucht man zu
unterscheiden, den Tönen Worte und den Worten Empfindungen und Gedanken
unterzulegen, so hört man zuletzt nichts mehr, als ein unrhythmisches Ton-
gezitter, Accorde ohne Zusammenhang, von einer realen, möglichen, mensch¬
lich begreiflichen Empfindung ist keine Spur: es ist eine Stimmung, die sich
sehnt, sich zur Empfindung zu gestalten. Seine Bilder — z. B. in den
„Hymnen an die Nacht" treffen von ferne unser Auge mit glühenden, mär¬
chenhaften Farben; treten wir aber näher, um zu sehen, was sie vorstellen,
so flimmert uns alles vor den Augen. Ganz dasselbe läßt sich von seinen
Gedanken sagen. In der aphoristischen Form werden wir von ihnen überrascht
und angezogen, zuweilen durch einen Strahl des Genius geblendet, versuchen
wir aber, sie näher auszuführen, das Fragmentarische zu ergänzen, in den Witz
einen realen Inhalt zu legen, der etwa dem Dichter vorgeschwebt haben könnte,
so überzeugen wir uns sehr bald von der Unmöglichkeit: es sind nur embry¬
onische Ideen. Ebenso embryonisch sind seine Geschichten und Persönlichkeiten.
Wir treffen in seinem „Heinrich von Ofterdingen" wol zuweilen auf
eine Gestalt oder auf ein Ereignis), von denen wir vermuthen, sie würden,
aufmerksamer betrachtet, unser Interesse erregen; aber treten wir einen Schritt
näher, so verlieren sie sich im Nebel. Auch der verworrenste Traum hat doch
eine gewisse Konsistenz, hier aber geht widerstandslos alles ineinander über:
der Dichter, seine Geliebte, sein Lehrer, der Mond, der Sinn und noch ein
Dutzend andre allegorische Begriffe, das alles ist ein und dasselbe und wir
begreifen nicht, wie in dieser Schattenwelt auch nur der Schein einer Bewegung
stattfinden konnte.

Wir werden diesen Roman, der jeden Unbefangenen in Verwirrung setzen
muß, eher verstehen, wenn wir ihn in seine Elemente auflösen; unzweifelhaft
hat ihm als Vorbild der Wilhelm Meister vorgeschwebt. Das harte Urtheil,


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[0132] ätherischen Beruf des Künstlers. Frühere Schwärmer meinten, daß man sich einen Dichter nenne könne, wenn man große Empfindungen und große Gedanken habe, jetzt wurden auch die großen Empfindungen und Gedanken als etwas Gleichgiltiges betrachtet, da eine in sich selbst hohe Seele nickt nöthig habe, sich erst zu Gedanken und Empfindungen herabzulassen. Dieses poetische Princip hängt auf das genaueste mit der individuellen Natur des Dichters zusammen. In Novalis paart sich großer Reichthum von Ideen und Empfindungen -mit einer absoluten Unfähigkeit zur Gestaltung und zur kritischen Unterschei¬ dung. In Bezug auf Inspiration steht er wenig Dichtern nach, aber ihm fehlt der Regulator des Gemeingefühls; Farben und Gestalten gehen wider¬ standslos ineinander über. Aus seinen Liedern klingt uns zuweilen ein so tiefer, seelenvoller Ton entgegen, daß er mit einem gewissem Schmerz in unser Inneres dringt. Aber man muß sie von ferne hören, denn sucht man zu unterscheiden, den Tönen Worte und den Worten Empfindungen und Gedanken unterzulegen, so hört man zuletzt nichts mehr, als ein unrhythmisches Ton- gezitter, Accorde ohne Zusammenhang, von einer realen, möglichen, mensch¬ lich begreiflichen Empfindung ist keine Spur: es ist eine Stimmung, die sich sehnt, sich zur Empfindung zu gestalten. Seine Bilder — z. B. in den „Hymnen an die Nacht" treffen von ferne unser Auge mit glühenden, mär¬ chenhaften Farben; treten wir aber näher, um zu sehen, was sie vorstellen, so flimmert uns alles vor den Augen. Ganz dasselbe läßt sich von seinen Gedanken sagen. In der aphoristischen Form werden wir von ihnen überrascht und angezogen, zuweilen durch einen Strahl des Genius geblendet, versuchen wir aber, sie näher auszuführen, das Fragmentarische zu ergänzen, in den Witz einen realen Inhalt zu legen, der etwa dem Dichter vorgeschwebt haben könnte, so überzeugen wir uns sehr bald von der Unmöglichkeit: es sind nur embry¬ onische Ideen. Ebenso embryonisch sind seine Geschichten und Persönlichkeiten. Wir treffen in seinem „Heinrich von Ofterdingen" wol zuweilen auf eine Gestalt oder auf ein Ereignis), von denen wir vermuthen, sie würden, aufmerksamer betrachtet, unser Interesse erregen; aber treten wir einen Schritt näher, so verlieren sie sich im Nebel. Auch der verworrenste Traum hat doch eine gewisse Konsistenz, hier aber geht widerstandslos alles ineinander über: der Dichter, seine Geliebte, sein Lehrer, der Mond, der Sinn und noch ein Dutzend andre allegorische Begriffe, das alles ist ein und dasselbe und wir begreifen nicht, wie in dieser Schattenwelt auch nur der Schein einer Bewegung stattfinden konnte. Wir werden diesen Roman, der jeden Unbefangenen in Verwirrung setzen muß, eher verstehen, wenn wir ihn in seine Elemente auflösen; unzweifelhaft hat ihm als Vorbild der Wilhelm Meister vorgeschwebt. Das harte Urtheil,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/132>, abgerufen am 22.07.2024.