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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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von Gründen und Bildern, die ihm Vernunft und Phantasie darboten, der
Pancgyrist der päpstlichen Alleinherrschaft wurde. Er vertrat den Katholicis¬
mus, weil er keiner wirklichen Kirche angehörte.

Bald nach Ablauf seiner Universitätszeit lernte er ein junges dreizehn¬
jähriges Mädchen kennen, Sophie von Kühn, die ihn bestimmte, sich sogleich
einer praktischen Laufbahn zu widmen, um sich einen sichern Lebensunterhalt
zu gründen. Er trat 1796 bei den kursächsischen Salinen ein. Seine Liebe
war so leidenschaftlicher Natur, daß er durch den Tod des Mädchens 1797'
innerlich gebrochen wurde. Seine Tagebücher aus dieser Zeit sind ganz merk¬
würdig. Damals setzte sich jener Gedanke bei ihm fest, das Leben sei nur
eine Krankheit des Geistes und der Tod sei eine Heilung"): ein Gedanke, den
er etwas mystisch als einen Entschluß bezeichnet. Es ist mit den Tagebüchern
einer schönen Seele immer etwas Mißliches: die ängstliche Aufmerksamkeit auf
die eignen Empfindungen veranlaßt zur Steigerung derselben, und je strenger
man nach Wahrheit in seinem Innern strebt, desto leichter vertieft man sich
in Schein.

Kaum nach Ablauf eines Jahres wurde er von einer neuen Liebe ergriffen,
gewann neue Lebenslust und schöpfte die besten Hoffnungen für die Zukunft.
In dieser Zeit arbeitete er am Athenäum mit ("Blütenstaub" und "Hymnen
an die Nacht"), wurde mit Tieck genauer bekannt und setzte seinen vertrauten
Umgang mit Fr. Schlegel sort. Aber sein Körper war von einer schleichenden
Krankheit unterwühlt und er starb den 2ö. März 1801, als er es nicht
mehr wünschte.

Seine Bildung war sehr universell, namentlich in den Naturwissenschaf¬
ten und in allem, was auf sein Amt Bezug hatte. In der belletristischen Lec-
türe war seine Kenntniß lange nicht so umfassend, als die seiner Freunde; er
beschränkte sich auf einzelne Bücher, zu denen er immer wieder zurückkehrte,
namentlich den Wilhelm Meister. Der Geschichte war er fremd geblieben und
in seinen Tagebüchern finden wir (III., S. 74) tie sehr charakteristische
Aeußerung, "ich bin ein ganz unjuristischer Mensch, ohne Sinn und Bedürf¬
niß für Recht." Im Anfang trieb er mit heißer Leidenschaft die Philosophie,
jene strenge Göttin, "zu deren Priester an Kopf und Herzen er sich combabi-
siren lassen wollte" lBries an Schiller lit., S. 131). Allein schon im An¬
fang des Jahres 1800 schreibt er an Just (>>!., S. 42): "die Philosophie
ruht jetzt bei mir nur im Bücherschranke, ich bin froh, daß ich durch dieses



III, S. 273: "Wer das Leben anders, als eine sich selbst vernichtende Illusion ansieht,
ist noch selbst im Leben befangen." -- II. S. 1LK: "Leben ist eine'Krankheit des Geistes, ein
leidenschaftliches Thu".", -- S. Jude: "Die Seele ist unter allen Giften das stärkste." --
S. 167: "Liebe ist durchaus Krankheit: daher die wunderbare Bedeutung des Christcu-
lhu ins."

von Gründen und Bildern, die ihm Vernunft und Phantasie darboten, der
Pancgyrist der päpstlichen Alleinherrschaft wurde. Er vertrat den Katholicis¬
mus, weil er keiner wirklichen Kirche angehörte.

Bald nach Ablauf seiner Universitätszeit lernte er ein junges dreizehn¬
jähriges Mädchen kennen, Sophie von Kühn, die ihn bestimmte, sich sogleich
einer praktischen Laufbahn zu widmen, um sich einen sichern Lebensunterhalt
zu gründen. Er trat 1796 bei den kursächsischen Salinen ein. Seine Liebe
war so leidenschaftlicher Natur, daß er durch den Tod des Mädchens 1797'
innerlich gebrochen wurde. Seine Tagebücher aus dieser Zeit sind ganz merk¬
würdig. Damals setzte sich jener Gedanke bei ihm fest, das Leben sei nur
eine Krankheit des Geistes und der Tod sei eine Heilung"): ein Gedanke, den
er etwas mystisch als einen Entschluß bezeichnet. Es ist mit den Tagebüchern
einer schönen Seele immer etwas Mißliches: die ängstliche Aufmerksamkeit auf
die eignen Empfindungen veranlaßt zur Steigerung derselben, und je strenger
man nach Wahrheit in seinem Innern strebt, desto leichter vertieft man sich
in Schein.

Kaum nach Ablauf eines Jahres wurde er von einer neuen Liebe ergriffen,
gewann neue Lebenslust und schöpfte die besten Hoffnungen für die Zukunft.
In dieser Zeit arbeitete er am Athenäum mit („Blütenstaub" und „Hymnen
an die Nacht"), wurde mit Tieck genauer bekannt und setzte seinen vertrauten
Umgang mit Fr. Schlegel sort. Aber sein Körper war von einer schleichenden
Krankheit unterwühlt und er starb den 2ö. März 1801, als er es nicht
mehr wünschte.

Seine Bildung war sehr universell, namentlich in den Naturwissenschaf¬
ten und in allem, was auf sein Amt Bezug hatte. In der belletristischen Lec-
türe war seine Kenntniß lange nicht so umfassend, als die seiner Freunde; er
beschränkte sich auf einzelne Bücher, zu denen er immer wieder zurückkehrte,
namentlich den Wilhelm Meister. Der Geschichte war er fremd geblieben und
in seinen Tagebüchern finden wir (III., S. 74) tie sehr charakteristische
Aeußerung, „ich bin ein ganz unjuristischer Mensch, ohne Sinn und Bedürf¬
niß für Recht." Im Anfang trieb er mit heißer Leidenschaft die Philosophie,
jene strenge Göttin, „zu deren Priester an Kopf und Herzen er sich combabi-
siren lassen wollte" lBries an Schiller lit., S. 131). Allein schon im An¬
fang des Jahres 1800 schreibt er an Just (>>!., S. 42): „die Philosophie
ruht jetzt bei mir nur im Bücherschranke, ich bin froh, daß ich durch dieses



III, S. 273: „Wer das Leben anders, als eine sich selbst vernichtende Illusion ansieht,
ist noch selbst im Leben befangen." — II. S. 1LK: „Leben ist eine'Krankheit des Geistes, ein
leidenschaftliches Thu».", — S. Jude: „Die Seele ist unter allen Giften das stärkste." —
S. 167: „Liebe ist durchaus Krankheit: daher die wunderbare Bedeutung des Christcu-
lhu ins."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/130>, abgerufen am 22.07.2024.