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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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auf dem französischen Theater gemacht. Lady Tartüffe wurde seiner Zeit in diese"
Blättern besprochen und obgleich dieses Lustspiel in Deutschland mit großem Beifall
aufgenommen worden, glauben wir anch einem offenen Grabe gegenüber, bei un¬
serm scharfen Urtheil beharren zu müssen. Die beiden letzten dramatischen Pro-
ductionen von Mad. Girardin, obgleich von geringerer Prätention, sind bedeu¬
tender, sowol was die Analyse des menschlichen Herzens betrifft, als auch in An¬
sehung der dramatischen Wirkung. I^i tun, pour ist eine intime Hcrzensgeschichte,
die Schilderung einer betrübten Mutter, die irrthümlich ihren verloren geglaubten
Sohn beweint. -- I^v el,">,öl,u <!<>. >'>><"-1oF"r ist ein in den Schwank auslaufendes
Lustspiel, aber von solcher Wahrheit, von sovieler komischer Kraft, daß wir darin
die Kundgebung einer Lustspieldichterin echten Berufs erkennen mußten.

Am eigenthümlichsten und am wirksamsten aber äußerte sich das Talent dieser
Dame in ihren I.vUrc^ >><>> >^iun"(ü>, in deuen sie die Waffe der Polemik mit eben¬
soviel Geist und Witz, als Ehrenhaftigkeit und Bonhomie handhabte. Mad. de
Girardin verstand das weibliche Herz fast noch besser als Schriftstellerinnen
überhaupt und hatte dabei das französische Talent durch ein Wort eine Situation,
einen Charakter zu bezeichnen. Sie schrieb einfach, ohne hochtrabenden Schmuck,
aber ihre Ausdrücke selbst inmitten der improvisirendcn Verve sind stets mit soviel
Takt und Glück gefunden, wie sie nnr einem Genius zu Gebote stehen. Als
Charakter war Mad. Girardin ebenso ausgezeichnet - sie kannte nicht Schriststeller-
eifcrsucht, und ihr Ehrgeiz bestand darin, alles anzuerkennen, was sich als Talent
kundgab. Für ihren Mann, von dem sie einige Zeit ehelich getrennt lebte, fühlte
sie die lebhafteste Freundschaft und sie trat muthig für ihn in die Schranken, so
oft es noththat. Sie bekämpfte Cremieux wie ihr Mann Cavaignac, aber mit der
Republik konnte sich ihr aristokratischer Geist nicht recht befreunden, obgleich sie
ihren Ansichten uach so srcisiuiiig war wie der beste Republikaner. Dem gegen¬
wärtigen Regime konnte eine Frau wie Mad. Girardin nicht hold sein und trotz
aller Avancen, die ihr gemacht wurden, hielt sie sich von der officiellen Welt des
heutigen Frankreichs entfernt. Sie besuchte Victor Hugo im Exil und verhehlte
ihre Gedanken über die' jetzigen Machthaber keineswegs. Mad. de Girardin hat
u> ihren anspruchslos hingeworfenen Blättern wie in ihren sorgsam ausgeführten
Werken Bleibendes hinterlassen -- Frankreich verliert in ihr eines seiner bedeu¬
tendsten Bühnentaleute.


Ein Ereignis?, das die Runde durch alle Zeitungen gemacht,
dürfen wir nicht ganz unerwähnt vorübergehen lassen. Se. Excellenz, der fürstlich
Uvpesche Cabinetsminister, l">. Laurenz Hannibal Fischer, ist in Koburg verhaftet
worden. Die Antecedentien dieses Mannes sind bekannt. Nacheinander hildbnrg-
häuser Demokrat, Protector des Adels, Pflegevater der Jesuiten, Verkäufer der
deutschen Flotte, politischer Reformator in Lippe, nahm er sich auch der koburg-
Üvthaischcu Ritterschaft gegen die Landesverfassung an und beschuldigte in einer
Beschwerde bei dem Bundestag den Herzog des Wortbruchs, was jene hohe Be¬
hörde veranlaßte, ihre Mißbilligung über die Form der Eingabe auszusprechen.
Trotzdem erschien 1",'. Fischer in Koburg zur Feier eines Festes des Gymnasiums,
dem er als Schüler angehörte. Man sucht ihn zu ignoriren, er drängt sich vor,


auf dem französischen Theater gemacht. Lady Tartüffe wurde seiner Zeit in diese»
Blättern besprochen und obgleich dieses Lustspiel in Deutschland mit großem Beifall
aufgenommen worden, glauben wir anch einem offenen Grabe gegenüber, bei un¬
serm scharfen Urtheil beharren zu müssen. Die beiden letzten dramatischen Pro-
ductionen von Mad. Girardin, obgleich von geringerer Prätention, sind bedeu¬
tender, sowol was die Analyse des menschlichen Herzens betrifft, als auch in An¬
sehung der dramatischen Wirkung. I^i tun, pour ist eine intime Hcrzensgeschichte,
die Schilderung einer betrübten Mutter, die irrthümlich ihren verloren geglaubten
Sohn beweint. — I^v el,»>,öl,u <!<>. >'>><»-1oF«r ist ein in den Schwank auslaufendes
Lustspiel, aber von solcher Wahrheit, von sovieler komischer Kraft, daß wir darin
die Kundgebung einer Lustspieldichterin echten Berufs erkennen mußten.

Am eigenthümlichsten und am wirksamsten aber äußerte sich das Talent dieser
Dame in ihren I.vUrc^ >><>> >^iun»(ü>, in deuen sie die Waffe der Polemik mit eben¬
soviel Geist und Witz, als Ehrenhaftigkeit und Bonhomie handhabte. Mad. de
Girardin verstand das weibliche Herz fast noch besser als Schriftstellerinnen
überhaupt und hatte dabei das französische Talent durch ein Wort eine Situation,
einen Charakter zu bezeichnen. Sie schrieb einfach, ohne hochtrabenden Schmuck,
aber ihre Ausdrücke selbst inmitten der improvisirendcn Verve sind stets mit soviel
Takt und Glück gefunden, wie sie nnr einem Genius zu Gebote stehen. Als
Charakter war Mad. Girardin ebenso ausgezeichnet - sie kannte nicht Schriststeller-
eifcrsucht, und ihr Ehrgeiz bestand darin, alles anzuerkennen, was sich als Talent
kundgab. Für ihren Mann, von dem sie einige Zeit ehelich getrennt lebte, fühlte
sie die lebhafteste Freundschaft und sie trat muthig für ihn in die Schranken, so
oft es noththat. Sie bekämpfte Cremieux wie ihr Mann Cavaignac, aber mit der
Republik konnte sich ihr aristokratischer Geist nicht recht befreunden, obgleich sie
ihren Ansichten uach so srcisiuiiig war wie der beste Republikaner. Dem gegen¬
wärtigen Regime konnte eine Frau wie Mad. Girardin nicht hold sein und trotz
aller Avancen, die ihr gemacht wurden, hielt sie sich von der officiellen Welt des
heutigen Frankreichs entfernt. Sie besuchte Victor Hugo im Exil und verhehlte
ihre Gedanken über die' jetzigen Machthaber keineswegs. Mad. de Girardin hat
u> ihren anspruchslos hingeworfenen Blättern wie in ihren sorgsam ausgeführten
Werken Bleibendes hinterlassen — Frankreich verliert in ihr eines seiner bedeu¬
tendsten Bühnentaleute.


Ein Ereignis?, das die Runde durch alle Zeitungen gemacht,
dürfen wir nicht ganz unerwähnt vorübergehen lassen. Se. Excellenz, der fürstlich
Uvpesche Cabinetsminister, l»>. Laurenz Hannibal Fischer, ist in Koburg verhaftet
worden. Die Antecedentien dieses Mannes sind bekannt. Nacheinander hildbnrg-
häuser Demokrat, Protector des Adels, Pflegevater der Jesuiten, Verkäufer der
deutschen Flotte, politischer Reformator in Lippe, nahm er sich auch der koburg-
Üvthaischcu Ritterschaft gegen die Landesverfassung an und beschuldigte in einer
Beschwerde bei dem Bundestag den Herzog des Wortbruchs, was jene hohe Be¬
hörde veranlaßte, ihre Mißbilligung über die Form der Eingabe auszusprechen.
Trotzdem erschien 1»,'. Fischer in Koburg zur Feier eines Festes des Gymnasiums,
dem er als Schüler angehörte. Man sucht ihn zu ignoriren, er drängt sich vor,


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[0127] auf dem französischen Theater gemacht. Lady Tartüffe wurde seiner Zeit in diese» Blättern besprochen und obgleich dieses Lustspiel in Deutschland mit großem Beifall aufgenommen worden, glauben wir anch einem offenen Grabe gegenüber, bei un¬ serm scharfen Urtheil beharren zu müssen. Die beiden letzten dramatischen Pro- ductionen von Mad. Girardin, obgleich von geringerer Prätention, sind bedeu¬ tender, sowol was die Analyse des menschlichen Herzens betrifft, als auch in An¬ sehung der dramatischen Wirkung. I^i tun, pour ist eine intime Hcrzensgeschichte, die Schilderung einer betrübten Mutter, die irrthümlich ihren verloren geglaubten Sohn beweint. — I^v el,»>,öl,u <!<>. >'>><»-1oF«r ist ein in den Schwank auslaufendes Lustspiel, aber von solcher Wahrheit, von sovieler komischer Kraft, daß wir darin die Kundgebung einer Lustspieldichterin echten Berufs erkennen mußten. Am eigenthümlichsten und am wirksamsten aber äußerte sich das Talent dieser Dame in ihren I.vUrc^ >><>> >^iun»(ü>, in deuen sie die Waffe der Polemik mit eben¬ soviel Geist und Witz, als Ehrenhaftigkeit und Bonhomie handhabte. Mad. de Girardin verstand das weibliche Herz fast noch besser als Schriftstellerinnen überhaupt und hatte dabei das französische Talent durch ein Wort eine Situation, einen Charakter zu bezeichnen. Sie schrieb einfach, ohne hochtrabenden Schmuck, aber ihre Ausdrücke selbst inmitten der improvisirendcn Verve sind stets mit soviel Takt und Glück gefunden, wie sie nnr einem Genius zu Gebote stehen. Als Charakter war Mad. Girardin ebenso ausgezeichnet - sie kannte nicht Schriststeller- eifcrsucht, und ihr Ehrgeiz bestand darin, alles anzuerkennen, was sich als Talent kundgab. Für ihren Mann, von dem sie einige Zeit ehelich getrennt lebte, fühlte sie die lebhafteste Freundschaft und sie trat muthig für ihn in die Schranken, so oft es noththat. Sie bekämpfte Cremieux wie ihr Mann Cavaignac, aber mit der Republik konnte sich ihr aristokratischer Geist nicht recht befreunden, obgleich sie ihren Ansichten uach so srcisiuiiig war wie der beste Republikaner. Dem gegen¬ wärtigen Regime konnte eine Frau wie Mad. Girardin nicht hold sein und trotz aller Avancen, die ihr gemacht wurden, hielt sie sich von der officiellen Welt des heutigen Frankreichs entfernt. Sie besuchte Victor Hugo im Exil und verhehlte ihre Gedanken über die' jetzigen Machthaber keineswegs. Mad. de Girardin hat u> ihren anspruchslos hingeworfenen Blättern wie in ihren sorgsam ausgeführten Werken Bleibendes hinterlassen — Frankreich verliert in ihr eines seiner bedeu¬ tendsten Bühnentaleute. Ein Ereignis?, das die Runde durch alle Zeitungen gemacht, dürfen wir nicht ganz unerwähnt vorübergehen lassen. Se. Excellenz, der fürstlich Uvpesche Cabinetsminister, l»>. Laurenz Hannibal Fischer, ist in Koburg verhaftet worden. Die Antecedentien dieses Mannes sind bekannt. Nacheinander hildbnrg- häuser Demokrat, Protector des Adels, Pflegevater der Jesuiten, Verkäufer der deutschen Flotte, politischer Reformator in Lippe, nahm er sich auch der koburg- Üvthaischcu Ritterschaft gegen die Landesverfassung an und beschuldigte in einer Beschwerde bei dem Bundestag den Herzog des Wortbruchs, was jene hohe Be¬ hörde veranlaßte, ihre Mißbilligung über die Form der Eingabe auszusprechen. Trotzdem erschien 1»,'. Fischer in Koburg zur Feier eines Festes des Gymnasiums, dem er als Schüler angehörte. Man sucht ihn zu ignoriren, er drängt sich vor,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/127>, abgerufen am 22.12.2024.