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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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dem man das Bastion vergrößere; denn damit wulde man auch zugleich die
ganze Fronte erweitern, mithin die Möglichkeit ausgeben, von den Flanken
aus die Facen mit dem kleinen Gewehr zu bestreichen. Wenn dergleichen
Rücksichten auch heute wenig bindend sind, waren sie es doch entschieden zur
Zeit als das bastionäre System sich ausbildete. Uebrigens komme ich im
weitern Verlauf des Aufsatzes auf diesen Punkt zurück.

Vermöge ihrer kurzen Linien sind die Bastionen an sich klein, und wiederum
können sie um deswillen wenige Vertheidigungskräfte aufnehmen, mithin auch
dem Angriff, der sich gegen diese Knotenpunkte vornehmlich hinwendet, einen
nur beschränkten Widerstand entgegensetzen. Jene wenigen Vertheidigungskräfte
befinden sich aber außerdem in einer ungünstigen Situation, denn wenn an und
für sich der knapp bemessene innere Raum ein Zusammendrängen von Mann¬
schaften und Geschütz veranlaßt, und damit die Wirkung namentlich des feind¬
lichen Wurfseuers befördert, so sind zugleich Facen und Flanken derartig zü-
einandergelegcn, daß Kugeln des Gegners, welche erstere in der Fronte fassen,
nicht selten für letztere Nückenschüsse werden.

Hiermit sind nur die Hauptgründe berührt, auf denen die Schwäche des
bastionären Systems beruhet. Der Mann, welcher dieselben zuerst vollständig
und mit Schärfe und Klarheit entwickelte, war der französische Marquis
Montalembert, ein Zeitgenosse Friedrichs II. und der französischen Revolution
(1713--1799). Er ist zugleich, -- und daS macht sein Hauptverdienst aus,--
der Schöpfer zweier neuen Befestigungssysteme, die unter dem Namen der
Montalcmbertschen Tenaillen- und Polygonalbefestigungsentwürfe bekannt ge¬
worben sind. In diesen' seinen Vorschlägen sind allerdings manche Ideen
enthalten, die augenscheinlich aus den Werken älterer deutscher Ingenieure
(namentlich Dürers, Nimplers und LandsbcrgS) entnommen sind; was indeß
durchaus nicht seine Ansprüche auf den Namen des ersten Ingenieurs seiner
Zeit, vielleicht aller Zeiten! mindert. Von dem Erscheinen seiner -Werke an
datirt die Reformation, der fortificatorischcn Kunst und Wissenschaft. Zwar hat
er im allgemeinsten Sinne nicht neue Grundformen für dieselbe geschaffen;
ganz sicherlich indeß sind eS durchaus neue Principien, die er in seinen Ent¬
würfen gegeben hat.

Im Unterschiede von seinen Vorgängern, namentlich von Vaubnn, erkannte
Montalembert nicht länger im kleinen Gewehr, sondern entschieden im Geschütz,
die vornehmliche Vertheidigungswaffe der Festungen. Mittelst desselben strebte
er nicht allein die fortificatorische Defensive mit dem Angriff ins Gleichgewicht
zu stellen, sondern er suchte und hoffte ihr die Ueberlegenheit über denselben zu
sichern. Sein Hauptgrundsatz aber war der: daß der Ingenieur im Stande
sei, auf jeder Fronte, durch casemattirte Etagenbatterien dem Angriff nicht
nur eine gegen den directen Schuß wie gegen Verticalseucr wohl gesicherte,


GreuzlMeu. III. 186ö. 1/,-

dem man das Bastion vergrößere; denn damit wulde man auch zugleich die
ganze Fronte erweitern, mithin die Möglichkeit ausgeben, von den Flanken
aus die Facen mit dem kleinen Gewehr zu bestreichen. Wenn dergleichen
Rücksichten auch heute wenig bindend sind, waren sie es doch entschieden zur
Zeit als das bastionäre System sich ausbildete. Uebrigens komme ich im
weitern Verlauf des Aufsatzes auf diesen Punkt zurück.

Vermöge ihrer kurzen Linien sind die Bastionen an sich klein, und wiederum
können sie um deswillen wenige Vertheidigungskräfte aufnehmen, mithin auch
dem Angriff, der sich gegen diese Knotenpunkte vornehmlich hinwendet, einen
nur beschränkten Widerstand entgegensetzen. Jene wenigen Vertheidigungskräfte
befinden sich aber außerdem in einer ungünstigen Situation, denn wenn an und
für sich der knapp bemessene innere Raum ein Zusammendrängen von Mann¬
schaften und Geschütz veranlaßt, und damit die Wirkung namentlich des feind¬
lichen Wurfseuers befördert, so sind zugleich Facen und Flanken derartig zü-
einandergelegcn, daß Kugeln des Gegners, welche erstere in der Fronte fassen,
nicht selten für letztere Nückenschüsse werden.

Hiermit sind nur die Hauptgründe berührt, auf denen die Schwäche des
bastionären Systems beruhet. Der Mann, welcher dieselben zuerst vollständig
und mit Schärfe und Klarheit entwickelte, war der französische Marquis
Montalembert, ein Zeitgenosse Friedrichs II. und der französischen Revolution
(1713—1799). Er ist zugleich, — und daS macht sein Hauptverdienst aus,—
der Schöpfer zweier neuen Befestigungssysteme, die unter dem Namen der
Montalcmbertschen Tenaillen- und Polygonalbefestigungsentwürfe bekannt ge¬
worben sind. In diesen' seinen Vorschlägen sind allerdings manche Ideen
enthalten, die augenscheinlich aus den Werken älterer deutscher Ingenieure
(namentlich Dürers, Nimplers und LandsbcrgS) entnommen sind; was indeß
durchaus nicht seine Ansprüche auf den Namen des ersten Ingenieurs seiner
Zeit, vielleicht aller Zeiten! mindert. Von dem Erscheinen seiner -Werke an
datirt die Reformation, der fortificatorischcn Kunst und Wissenschaft. Zwar hat
er im allgemeinsten Sinne nicht neue Grundformen für dieselbe geschaffen;
ganz sicherlich indeß sind eS durchaus neue Principien, die er in seinen Ent¬
würfen gegeben hat.

Im Unterschiede von seinen Vorgängern, namentlich von Vaubnn, erkannte
Montalembert nicht länger im kleinen Gewehr, sondern entschieden im Geschütz,
die vornehmliche Vertheidigungswaffe der Festungen. Mittelst desselben strebte
er nicht allein die fortificatorische Defensive mit dem Angriff ins Gleichgewicht
zu stellen, sondern er suchte und hoffte ihr die Ueberlegenheit über denselben zu
sichern. Sein Hauptgrundsatz aber war der: daß der Ingenieur im Stande
sei, auf jeder Fronte, durch casemattirte Etagenbatterien dem Angriff nicht
nur eine gegen den directen Schuß wie gegen Verticalseucr wohl gesicherte,


GreuzlMeu. III. 186ö. 1/,-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/113>, abgerufen am 22.12.2024.