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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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duldete untergeordnet. An der Spitze der protestantischen Consistorien standen
katholische Präsidenten; der Evangelische mußte seine Stolgebührcn dem katho¬
lischen Pfarrer entrichten und seine Ehen in katholischer Kirche aufbieten lassen,
auf seinem Todbette dem katholischen Geistlichen Zutritt gestatten. Er mußte
zum Hauser- und Güterkauf, zum Bürger- und Meisterrecht, zu akademischen
Würden und Civilämtern Dispensation nachsuchen. Nach 1834 wanderten
400 evangelisch gewordene Zillerthaler aus Tirol nach Preußen aus!, weil die
östreichische Regierung ihnen die Alternative stellte, entweder zur katholischen
Kirche zurückzukehren oder nach Siebenbürgen auszuwandern.

Die Schulen wurden zwar von der Regierung ausgedehnt und vervoll¬
kommnet, befanden sich aber gleichwol in traurigem Zustande. Obgleich das
schulpflichtige Alter in Oestreich nur von 6 bis 12 Jahren gerechnet wird,
so machen die schulpflichtigen Kinder nur den achten Theil der Bevölkerung
aus, während sie in Preußen den sechsten Theil ausmachen. Von diesen
2Vs Millionen schulpflichtiger Kinder in der Monarchie (Ungarn, Sieben¬
bürgen und die Militärgrenze ausgeschlossen) besuchten aber kurz nach Kaiser
Franzens Tode nur 1V-- Millionen wirklich die Schule. Lehrer und Schüler
wurden mechanisch abgerichtet und väterlich gegängelt. Die Negierung faßte
für die Lehrer wie für die Kinder selbst Jnstructionen ab, sie schrieb ihnen
Lehrbuch und Gebrauch desselben vor. Den Kindern schrieb sie vor, wie sie
sich in Schule und Haus, sogar auf dem unaussprechlichen Ort zu benehmen
hätten. Wie die Volksschulen für wohlgezogene Unterthanen, sollten Gym¬
nasien lind Universitäten für wohlabgerichtete Beamte sorgen. Auf den Gym¬
nasien war Naturgeschichte und Naturlehre ganz verbannt, Geschichte und
Geographie sehr beschränkt, die Sprachkenntnisse gingen im Griechischen nicht
über die Anfänge der Grammatik, im Lateinischen nicht über das Verständniß
des leichtesten Schriftstellers ohne Wörterbuch hinaus. Ueber sämmtliche
Schulen war die Geistlichkeit zum Wächter bestellt. Ohne ein gutes Religions-
zeugniß gab es keine Belohnung, kein Vorrücken der Schüler auf der Uni¬
versität sowenig wie auf dem Gymnasium. Bald lernte indeß der Schüler, den
schlecht besoldeten Religionslehrer mit Einladungen und Geschenken zu bestechen.
Von diesem System sagten die Italiener, es hätte in der Lombardei mehr
Skeptiker gemacht, als die Voltairesche Schule in Frankreich.

Der Geist des Auslandes wurde abgesperrt, der Besuch auswärtiger
Universitäten verboten. In östreichische Anstalten sollten weder Lehrer noch
Schüler des Auslandes eindringen. Die fremde Literatur wurde durch die
östreichische Censur abgewehrt. Eine unermeßliche Kluft entstand dadurch
zwischen Deutschland und Oestreich.

Die Finanzen waren zerrüttet. Die Zinsen für die Staatsschulden
betrugen 1816 3,381,690 Florin: 1842 betrugen sie 49 Millionen jährlich.


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duldete untergeordnet. An der Spitze der protestantischen Consistorien standen
katholische Präsidenten; der Evangelische mußte seine Stolgebührcn dem katho¬
lischen Pfarrer entrichten und seine Ehen in katholischer Kirche aufbieten lassen,
auf seinem Todbette dem katholischen Geistlichen Zutritt gestatten. Er mußte
zum Hauser- und Güterkauf, zum Bürger- und Meisterrecht, zu akademischen
Würden und Civilämtern Dispensation nachsuchen. Nach 1834 wanderten
400 evangelisch gewordene Zillerthaler aus Tirol nach Preußen aus!, weil die
östreichische Regierung ihnen die Alternative stellte, entweder zur katholischen
Kirche zurückzukehren oder nach Siebenbürgen auszuwandern.

Die Schulen wurden zwar von der Regierung ausgedehnt und vervoll¬
kommnet, befanden sich aber gleichwol in traurigem Zustande. Obgleich das
schulpflichtige Alter in Oestreich nur von 6 bis 12 Jahren gerechnet wird,
so machen die schulpflichtigen Kinder nur den achten Theil der Bevölkerung
aus, während sie in Preußen den sechsten Theil ausmachen. Von diesen
2Vs Millionen schulpflichtiger Kinder in der Monarchie (Ungarn, Sieben¬
bürgen und die Militärgrenze ausgeschlossen) besuchten aber kurz nach Kaiser
Franzens Tode nur 1V-- Millionen wirklich die Schule. Lehrer und Schüler
wurden mechanisch abgerichtet und väterlich gegängelt. Die Negierung faßte
für die Lehrer wie für die Kinder selbst Jnstructionen ab, sie schrieb ihnen
Lehrbuch und Gebrauch desselben vor. Den Kindern schrieb sie vor, wie sie
sich in Schule und Haus, sogar auf dem unaussprechlichen Ort zu benehmen
hätten. Wie die Volksschulen für wohlgezogene Unterthanen, sollten Gym¬
nasien lind Universitäten für wohlabgerichtete Beamte sorgen. Auf den Gym¬
nasien war Naturgeschichte und Naturlehre ganz verbannt, Geschichte und
Geographie sehr beschränkt, die Sprachkenntnisse gingen im Griechischen nicht
über die Anfänge der Grammatik, im Lateinischen nicht über das Verständniß
des leichtesten Schriftstellers ohne Wörterbuch hinaus. Ueber sämmtliche
Schulen war die Geistlichkeit zum Wächter bestellt. Ohne ein gutes Religions-
zeugniß gab es keine Belohnung, kein Vorrücken der Schüler auf der Uni¬
versität sowenig wie auf dem Gymnasium. Bald lernte indeß der Schüler, den
schlecht besoldeten Religionslehrer mit Einladungen und Geschenken zu bestechen.
Von diesem System sagten die Italiener, es hätte in der Lombardei mehr
Skeptiker gemacht, als die Voltairesche Schule in Frankreich.

Der Geist des Auslandes wurde abgesperrt, der Besuch auswärtiger
Universitäten verboten. In östreichische Anstalten sollten weder Lehrer noch
Schüler des Auslandes eindringen. Die fremde Literatur wurde durch die
östreichische Censur abgewehrt. Eine unermeßliche Kluft entstand dadurch
zwischen Deutschland und Oestreich.

Die Finanzen waren zerrüttet. Die Zinsen für die Staatsschulden
betrugen 1816 3,381,690 Florin: 1842 betrugen sie 49 Millionen jährlich.


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[0107] duldete untergeordnet. An der Spitze der protestantischen Consistorien standen katholische Präsidenten; der Evangelische mußte seine Stolgebührcn dem katho¬ lischen Pfarrer entrichten und seine Ehen in katholischer Kirche aufbieten lassen, auf seinem Todbette dem katholischen Geistlichen Zutritt gestatten. Er mußte zum Hauser- und Güterkauf, zum Bürger- und Meisterrecht, zu akademischen Würden und Civilämtern Dispensation nachsuchen. Nach 1834 wanderten 400 evangelisch gewordene Zillerthaler aus Tirol nach Preußen aus!, weil die östreichische Regierung ihnen die Alternative stellte, entweder zur katholischen Kirche zurückzukehren oder nach Siebenbürgen auszuwandern. Die Schulen wurden zwar von der Regierung ausgedehnt und vervoll¬ kommnet, befanden sich aber gleichwol in traurigem Zustande. Obgleich das schulpflichtige Alter in Oestreich nur von 6 bis 12 Jahren gerechnet wird, so machen die schulpflichtigen Kinder nur den achten Theil der Bevölkerung aus, während sie in Preußen den sechsten Theil ausmachen. Von diesen 2Vs Millionen schulpflichtiger Kinder in der Monarchie (Ungarn, Sieben¬ bürgen und die Militärgrenze ausgeschlossen) besuchten aber kurz nach Kaiser Franzens Tode nur 1V-- Millionen wirklich die Schule. Lehrer und Schüler wurden mechanisch abgerichtet und väterlich gegängelt. Die Negierung faßte für die Lehrer wie für die Kinder selbst Jnstructionen ab, sie schrieb ihnen Lehrbuch und Gebrauch desselben vor. Den Kindern schrieb sie vor, wie sie sich in Schule und Haus, sogar auf dem unaussprechlichen Ort zu benehmen hätten. Wie die Volksschulen für wohlgezogene Unterthanen, sollten Gym¬ nasien lind Universitäten für wohlabgerichtete Beamte sorgen. Auf den Gym¬ nasien war Naturgeschichte und Naturlehre ganz verbannt, Geschichte und Geographie sehr beschränkt, die Sprachkenntnisse gingen im Griechischen nicht über die Anfänge der Grammatik, im Lateinischen nicht über das Verständniß des leichtesten Schriftstellers ohne Wörterbuch hinaus. Ueber sämmtliche Schulen war die Geistlichkeit zum Wächter bestellt. Ohne ein gutes Religions- zeugniß gab es keine Belohnung, kein Vorrücken der Schüler auf der Uni¬ versität sowenig wie auf dem Gymnasium. Bald lernte indeß der Schüler, den schlecht besoldeten Religionslehrer mit Einladungen und Geschenken zu bestechen. Von diesem System sagten die Italiener, es hätte in der Lombardei mehr Skeptiker gemacht, als die Voltairesche Schule in Frankreich. Der Geist des Auslandes wurde abgesperrt, der Besuch auswärtiger Universitäten verboten. In östreichische Anstalten sollten weder Lehrer noch Schüler des Auslandes eindringen. Die fremde Literatur wurde durch die östreichische Censur abgewehrt. Eine unermeßliche Kluft entstand dadurch zwischen Deutschland und Oestreich. Die Finanzen waren zerrüttet. Die Zinsen für die Staatsschulden betrugen 1816 3,381,690 Florin: 1842 betrugen sie 49 Millionen jährlich. 13*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/107>, abgerufen am 22.07.2024.