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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Im Bewußtsein dieser Sicherheit wollte 18-is die östreichische Negierung
"eine Praxis liberaler Grundsätze sich gefallen lassen, wenn es nur mit Ruhe
und Ordnung zugehen könne." In diesen Zeiten trugen die Stände von
Steiermark und Tirol doch noch Bitten vor; die salzburger Stände pochten
auf ihre Befugniß, aus des Kaisers Munde selbst zu hören, ob er wolle,
daß die verarmten Bürger Salzburgs langsamen Hungertod erleiden sollten.
Damals waren noch oppositionelle Schriften über die Staatsverwaltung aus¬
drücklich erlaubt, eS galt noch der josephinische Satz, daß kein Lichtstrahl,
woher er auch komme, in der Monarchie unbeachtet bleiben solle: freisinnige,
selbst protestantische Lehrbücher waren noch in den Schulen gestattet. Derselbe
freiere Luftzug wehte in Mailand. sowol Graf Saurau, seit -1816 Präsi¬
dent der mailänder Regierung, als der josephinische jesuitenfeindliche Erzbischof
Gaisrück hatten Herz und Verständniß sür die Italiener. Er suchte in der
Verwaltung die Einrichtungen und die Beamten des Königreichs Italien mög¬
lichst zu erhalten, er widersetzte sich den geistlichen und adligen Ultras und
rieth der Regierung, auf den thätigen und aufgeklärten Mittelstand sich zu
stützen. Aber er wurde verdächtigt und als Gesandter nach Toscaria inS Erik
geschickt. Zugleich wurde Graf Sedlnitzky in Wien Polizeipräsident. Von
da an bis 1848 Absperrung gegen das Ausland, schärfste Überwachung aller
Rede, Lehre und Schrift, Angeberei und Späherei.

Im 18. Jahrhundert lebten in der Lombardei Oestreicher und Italiener
in friedlicher Eintracht, italienische Staatsmänner bekleideten in Wien die
höchsten Aemter, deutsche in Mailand; die lombardische Geistlichkeit war frei¬
sinnig und durch und durch jansenistisch, die Verwaltung national. Zu Ende
des 18. Jahrhunderts war durch die französischen Republiken in Italien der
Geist der Freiheit geweckt worden, nach dem Falle derselben blieb in dem
Königreich Italien ein nationales Leben; Napoleons Herrschaft war von freien
und heilsamen Einrichtungen begleitet. 1814 kehrten die Oestreicher zurück,
aber nicht mehr mit dem frühern Negierungösysteme. 181S wurde die verhaßte
Conscription angeordnet, die so laute Unzufriedenheit hervorrief, daß man die
Ausführung zwei Jahre unterlassen mußte. 1820 wurde sogar die Dienstzeit
verdoppelt. Die beiden Haupttheile deö lombardisch-venetianischen Königreichs
wurden möglichst getrennt gehalten unter zwei Gouverneuren, als zwei Pro¬
vinzen, mit Verschiedenheiten in der Verwaltung und Besteuerung, sie waren
getrennt durch eine Zolllinie, die erst 1822 fiel. Von einer nationalen Ver¬
waltung war keine Rede. Der Vicekönig, seit 1818 Erzherzog Rainer, war
machtlos; er gab seine Autorität an die beiden Gouverneure ab, diese die
ihrige an die wiener Hosstellen. Das östreichische Ehegesetz, das östreichische
Strafgesetz, die Gerichtsordnung und das bürgerliche Gesetzbuch wurden
nacheinander eingeführt, ohne Anbequemung an die Landessitten und Ge-


Im Bewußtsein dieser Sicherheit wollte 18-is die östreichische Negierung
„eine Praxis liberaler Grundsätze sich gefallen lassen, wenn es nur mit Ruhe
und Ordnung zugehen könne." In diesen Zeiten trugen die Stände von
Steiermark und Tirol doch noch Bitten vor; die salzburger Stände pochten
auf ihre Befugniß, aus des Kaisers Munde selbst zu hören, ob er wolle,
daß die verarmten Bürger Salzburgs langsamen Hungertod erleiden sollten.
Damals waren noch oppositionelle Schriften über die Staatsverwaltung aus¬
drücklich erlaubt, eS galt noch der josephinische Satz, daß kein Lichtstrahl,
woher er auch komme, in der Monarchie unbeachtet bleiben solle: freisinnige,
selbst protestantische Lehrbücher waren noch in den Schulen gestattet. Derselbe
freiere Luftzug wehte in Mailand. sowol Graf Saurau, seit -1816 Präsi¬
dent der mailänder Regierung, als der josephinische jesuitenfeindliche Erzbischof
Gaisrück hatten Herz und Verständniß sür die Italiener. Er suchte in der
Verwaltung die Einrichtungen und die Beamten des Königreichs Italien mög¬
lichst zu erhalten, er widersetzte sich den geistlichen und adligen Ultras und
rieth der Regierung, auf den thätigen und aufgeklärten Mittelstand sich zu
stützen. Aber er wurde verdächtigt und als Gesandter nach Toscaria inS Erik
geschickt. Zugleich wurde Graf Sedlnitzky in Wien Polizeipräsident. Von
da an bis 1848 Absperrung gegen das Ausland, schärfste Überwachung aller
Rede, Lehre und Schrift, Angeberei und Späherei.

Im 18. Jahrhundert lebten in der Lombardei Oestreicher und Italiener
in friedlicher Eintracht, italienische Staatsmänner bekleideten in Wien die
höchsten Aemter, deutsche in Mailand; die lombardische Geistlichkeit war frei¬
sinnig und durch und durch jansenistisch, die Verwaltung national. Zu Ende
des 18. Jahrhunderts war durch die französischen Republiken in Italien der
Geist der Freiheit geweckt worden, nach dem Falle derselben blieb in dem
Königreich Italien ein nationales Leben; Napoleons Herrschaft war von freien
und heilsamen Einrichtungen begleitet. 1814 kehrten die Oestreicher zurück,
aber nicht mehr mit dem frühern Negierungösysteme. 181S wurde die verhaßte
Conscription angeordnet, die so laute Unzufriedenheit hervorrief, daß man die
Ausführung zwei Jahre unterlassen mußte. 1820 wurde sogar die Dienstzeit
verdoppelt. Die beiden Haupttheile deö lombardisch-venetianischen Königreichs
wurden möglichst getrennt gehalten unter zwei Gouverneuren, als zwei Pro¬
vinzen, mit Verschiedenheiten in der Verwaltung und Besteuerung, sie waren
getrennt durch eine Zolllinie, die erst 1822 fiel. Von einer nationalen Ver¬
waltung war keine Rede. Der Vicekönig, seit 1818 Erzherzog Rainer, war
machtlos; er gab seine Autorität an die beiden Gouverneure ab, diese die
ihrige an die wiener Hosstellen. Das östreichische Ehegesetz, das östreichische
Strafgesetz, die Gerichtsordnung und das bürgerliche Gesetzbuch wurden
nacheinander eingeführt, ohne Anbequemung an die Landessitten und Ge-


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[0104] Im Bewußtsein dieser Sicherheit wollte 18-is die östreichische Negierung „eine Praxis liberaler Grundsätze sich gefallen lassen, wenn es nur mit Ruhe und Ordnung zugehen könne." In diesen Zeiten trugen die Stände von Steiermark und Tirol doch noch Bitten vor; die salzburger Stände pochten auf ihre Befugniß, aus des Kaisers Munde selbst zu hören, ob er wolle, daß die verarmten Bürger Salzburgs langsamen Hungertod erleiden sollten. Damals waren noch oppositionelle Schriften über die Staatsverwaltung aus¬ drücklich erlaubt, eS galt noch der josephinische Satz, daß kein Lichtstrahl, woher er auch komme, in der Monarchie unbeachtet bleiben solle: freisinnige, selbst protestantische Lehrbücher waren noch in den Schulen gestattet. Derselbe freiere Luftzug wehte in Mailand. sowol Graf Saurau, seit -1816 Präsi¬ dent der mailänder Regierung, als der josephinische jesuitenfeindliche Erzbischof Gaisrück hatten Herz und Verständniß sür die Italiener. Er suchte in der Verwaltung die Einrichtungen und die Beamten des Königreichs Italien mög¬ lichst zu erhalten, er widersetzte sich den geistlichen und adligen Ultras und rieth der Regierung, auf den thätigen und aufgeklärten Mittelstand sich zu stützen. Aber er wurde verdächtigt und als Gesandter nach Toscaria inS Erik geschickt. Zugleich wurde Graf Sedlnitzky in Wien Polizeipräsident. Von da an bis 1848 Absperrung gegen das Ausland, schärfste Überwachung aller Rede, Lehre und Schrift, Angeberei und Späherei. Im 18. Jahrhundert lebten in der Lombardei Oestreicher und Italiener in friedlicher Eintracht, italienische Staatsmänner bekleideten in Wien die höchsten Aemter, deutsche in Mailand; die lombardische Geistlichkeit war frei¬ sinnig und durch und durch jansenistisch, die Verwaltung national. Zu Ende des 18. Jahrhunderts war durch die französischen Republiken in Italien der Geist der Freiheit geweckt worden, nach dem Falle derselben blieb in dem Königreich Italien ein nationales Leben; Napoleons Herrschaft war von freien und heilsamen Einrichtungen begleitet. 1814 kehrten die Oestreicher zurück, aber nicht mehr mit dem frühern Negierungösysteme. 181S wurde die verhaßte Conscription angeordnet, die so laute Unzufriedenheit hervorrief, daß man die Ausführung zwei Jahre unterlassen mußte. 1820 wurde sogar die Dienstzeit verdoppelt. Die beiden Haupttheile deö lombardisch-venetianischen Königreichs wurden möglichst getrennt gehalten unter zwei Gouverneuren, als zwei Pro¬ vinzen, mit Verschiedenheiten in der Verwaltung und Besteuerung, sie waren getrennt durch eine Zolllinie, die erst 1822 fiel. Von einer nationalen Ver¬ waltung war keine Rede. Der Vicekönig, seit 1818 Erzherzog Rainer, war machtlos; er gab seine Autorität an die beiden Gouverneure ab, diese die ihrige an die wiener Hosstellen. Das östreichische Ehegesetz, das östreichische Strafgesetz, die Gerichtsordnung und das bürgerliche Gesetzbuch wurden nacheinander eingeführt, ohne Anbequemung an die Landessitten und Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/104>, abgerufen am 22.07.2024.