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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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neigt ist, Partei für den Schwächeren zu nehmen. Was man erwartet hatte,
geschah anch bald darnach. .Der letztgenannte wurde zunächst auf einen seinem
seitherigen Hauptwirkungskreise ziemlich entlegenen Posten (nach Frankfurt zum
reconstituirten Bundestag) gesendet, und nahm darauf seinen Abschied, während
Baron Heß als Chef der Operationskanzlei fungirte. Durch Ernennung
zum Leiter dieses hochwichtigen erecutiven Ministeriums war er im voraus
als Generalissimus der östreichischen Armeen im Fall eines etwaigen spä¬
teren großen Krieges bezeichnet. Als die Verhältnisse mit Preußen, im Herbst
bedenklich wurden, berief man zwar den Grasen Radetzkv nach Wien, aber
jedermann wußte, daß derselbe nur seinen elektrisch auf die Armee wirkenden
Namen der Kriegführung leihen, dieser selbst aber mit Kopf und Hand kein
anderer als Feldzeugmeister von Heß vorstehen sollte. Ich' bin nicht im
Stande den Werth der damals von dem östreichischen Strategiker getroffenen
Dispositionen zu beurtheilen; wie es schien war die Hauptmacht des Kaiser-
staates in Mähren versammelt; in der Elbgegend (in Böhmen) fand ich zu
Anfang 1831 nur wenige Truppen vor, und doch war es klar, daß Oestreich
einen entscheidenden Stoß, nämlich gegen Berlin, am ehesten aus dem Winkel
von Tepliz her, weil hier auf der kürzesten Linie, hätte führen können. Was
die Gründe, welche einer Concentrirung in Mähren das Wort redeten, an¬
geht, so beruhten sie wol auf der voranssätzlichen Kooperation Rußlands,
dessen Massen man näher zur Hand haben wollte, und auf der besseren und
näheren Verbindung nach rückwärts, welche die Nordbahn gewährte.

Wir*) hatten damals dem Heß gegenüber, als Chef vom General-
stabe des preußischen Generalissimus, Prinz von Preußen einen Mann von
demselben Schrot und Korn, den vor einem Jahre viel zu früh verstor¬
benen und gerechtermaßen tiefbetrauerten General Gustav von Griesheim stehen.
Daß man dieser verhültnißmäßig noch jugendlichen Kraft einen so hohen
Posten, ganz gegen sonstigen Gebrauch angewiesen hatte, redet klar und über¬
zeugend für das gesunde militärische Urtheil jener Tage. Großer Organisator
wie er war, hatte Griesheim die zerstörenden Einflüsse zu paralysiren vermocht,
die damals aus dem Kriegsministerium, in Ermangelung einer guten Leitung
ihren Ausgang nahmen, und sofern man ihm freie Hand gelassen hätte, wäre
uns der Erfolg gewiß gewesen. Es hat sein Bedenkliches an den Conflict
von damals zu erinnern; ich fühle es vollkommen, aber ich wollte die Gele¬
genheit nicht ungenutzt lassen, auf einen preußischen Kriegsführer hinweisen zu
können, der ein hohes Verdienst in Anspruch "zu nehmen hat, ohne im Staude
gewesen zu sein, ihm glanzvolle Geltung zu verschaffen, weil der Lauf der
Dinge wider ihn war, und der, von der verhältnißmäßig tiefen Stufe seines



*) Unter dem Wir verstehe ich Preuße".
Grenzboten. It. I8i>!>.!)

neigt ist, Partei für den Schwächeren zu nehmen. Was man erwartet hatte,
geschah anch bald darnach. .Der letztgenannte wurde zunächst auf einen seinem
seitherigen Hauptwirkungskreise ziemlich entlegenen Posten (nach Frankfurt zum
reconstituirten Bundestag) gesendet, und nahm darauf seinen Abschied, während
Baron Heß als Chef der Operationskanzlei fungirte. Durch Ernennung
zum Leiter dieses hochwichtigen erecutiven Ministeriums war er im voraus
als Generalissimus der östreichischen Armeen im Fall eines etwaigen spä¬
teren großen Krieges bezeichnet. Als die Verhältnisse mit Preußen, im Herbst
bedenklich wurden, berief man zwar den Grasen Radetzkv nach Wien, aber
jedermann wußte, daß derselbe nur seinen elektrisch auf die Armee wirkenden
Namen der Kriegführung leihen, dieser selbst aber mit Kopf und Hand kein
anderer als Feldzeugmeister von Heß vorstehen sollte. Ich' bin nicht im
Stande den Werth der damals von dem östreichischen Strategiker getroffenen
Dispositionen zu beurtheilen; wie es schien war die Hauptmacht des Kaiser-
staates in Mähren versammelt; in der Elbgegend (in Böhmen) fand ich zu
Anfang 1831 nur wenige Truppen vor, und doch war es klar, daß Oestreich
einen entscheidenden Stoß, nämlich gegen Berlin, am ehesten aus dem Winkel
von Tepliz her, weil hier auf der kürzesten Linie, hätte führen können. Was
die Gründe, welche einer Concentrirung in Mähren das Wort redeten, an¬
geht, so beruhten sie wol auf der voranssätzlichen Kooperation Rußlands,
dessen Massen man näher zur Hand haben wollte, und auf der besseren und
näheren Verbindung nach rückwärts, welche die Nordbahn gewährte.

Wir*) hatten damals dem Heß gegenüber, als Chef vom General-
stabe des preußischen Generalissimus, Prinz von Preußen einen Mann von
demselben Schrot und Korn, den vor einem Jahre viel zu früh verstor¬
benen und gerechtermaßen tiefbetrauerten General Gustav von Griesheim stehen.
Daß man dieser verhültnißmäßig noch jugendlichen Kraft einen so hohen
Posten, ganz gegen sonstigen Gebrauch angewiesen hatte, redet klar und über¬
zeugend für das gesunde militärische Urtheil jener Tage. Großer Organisator
wie er war, hatte Griesheim die zerstörenden Einflüsse zu paralysiren vermocht,
die damals aus dem Kriegsministerium, in Ermangelung einer guten Leitung
ihren Ausgang nahmen, und sofern man ihm freie Hand gelassen hätte, wäre
uns der Erfolg gewiß gewesen. Es hat sein Bedenkliches an den Conflict
von damals zu erinnern; ich fühle es vollkommen, aber ich wollte die Gele¬
genheit nicht ungenutzt lassen, auf einen preußischen Kriegsführer hinweisen zu
können, der ein hohes Verdienst in Anspruch "zu nehmen hat, ohne im Staude
gewesen zu sein, ihm glanzvolle Geltung zu verschaffen, weil der Lauf der
Dinge wider ihn war, und der, von der verhältnißmäßig tiefen Stufe seines



*) Unter dem Wir verstehe ich Preuße».
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/73>, abgerufen am 03.07.2024.