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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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In Jena fanden -1803 große Umwälzungen statt. Schelling war schon im
Mai mit Karoline Schlegel, die er bald darauf heirathete, nach Schwaben ge¬
gangen, von wo er eine Reise nach Italien, beabsichtigte, sich aber bereden ließ,
eine Professur in Würzburg anzunehmen, wohin ,auch Hufeland und Paulus
berufen wurden. Andre Professoren gingen nach Halle und Heidelberg. Schon
damals konnte man die allmälige Auflösung der Jmmker Zustände voraussehen,
und Gries lebte in um so größerer Einsamkeit, da er seit -180-i mehr und mehr
taub wurde. Besuche bei seinen Freunden in Würzburg und Heidelberg unter¬
brachen sein Stillleben. Das erste Fragment des Ariost erschien'-1803, der
zweite Band -1805. Gleichzeitig arbeitete A. W. Schlegel an Calderon, und
die Neigung, katholisch zu werden, fing an sich auszubreiten. In einem Briefe
an seinen Bruder, Februar 1803, in welchem er alle Bedenken über die Unsicher¬
heit seiner Lebensbeschäftigung zurückweist und das Glaubensbekenntniß aus-
spricht: Vivre, e'oft le edok-lZ'oenviv cke l-r vie, bemerkt er über Tieck, von dem
damals das Gerücht ging, er sei in München katholisch geworden: "Wenn er es
werden will, so habe ich nichts dagegen. Wenn man einmal ein Christ sein
will, so denke ich, muß man auch ein Katholik sein können." -- "Man hat in
Deutschland getadelt," schreibt er Juli 1803 an Rist, mit dem er überhaupt im
lebhaftesten Verkehr blieb, "daß Schlegel seine Uebersetzung deS Calderon mit
einem Stück eröffnet habe, worin sich der Katholicismus in seiner ganzen Stärke
ausspricht. Mit Unrecht, diiucht mir, denn warum sollte man sich nicht eben¬
sogut in diese Mythologie als in die griechische versetzen können? Sie ist
gewiß cousequenter als jene, und hat man sich einmal in diese Welt hinein¬
gesetzt, so wird man durch nichts weiter gestört."

Die fortwährend größere Einsamkeit in Jena machte ihn unruhig, er siedelte
sich im Frühjahr -1806 nach Heidelberg über. Wol mochte ihm jetzt manchmal
ein Brief seines Freundes Herbart, Juli -1802, aus die Seele fallen, in dem
dieser schreibt: "Könntest Du in Jena wirklich froh werden, so. würde wol
niemand etwas dagegen einwenden, wenn Du wie bisher immer fortführst, uns der
goldnen Aepfel aus den hesperischen Garten einen nach dem andern herznlangen.
Aber noch sah ich niemand von der Fülle des Lebens wahrhaft befriedigt, der
außer unmittelbarer Thätigkeit für und unter bestimmten Menschen lebte." --
Auch in Heidelberg duldete es ihn nicht lange, schon Anfang des Jahres -1808
finden wir ihn wieder in Jena, wo er bald darauf erklärt, diese Rückkehr sei
der dümmste Streich, den er in seinem Leben gemacht habe. Auf der Reise im
Juli -1808 hatte er auch Frau von Staöl in Cvppet besucht, wo er seinen
alten Freund A. W. Schlegel wiederfand. Weihnachten -1808 besuchte ihn
.Steffens, April 1809 Berg er. In derselben Zeit war der Ariost vollendet, und
Gries begann sich mit spanischen Studien zu beschäftigen. Eine neue Reise
nach München hatte ihn wieder in den Kreis von Schelling, Jacobi, Savigny,


In Jena fanden -1803 große Umwälzungen statt. Schelling war schon im
Mai mit Karoline Schlegel, die er bald darauf heirathete, nach Schwaben ge¬
gangen, von wo er eine Reise nach Italien, beabsichtigte, sich aber bereden ließ,
eine Professur in Würzburg anzunehmen, wohin ,auch Hufeland und Paulus
berufen wurden. Andre Professoren gingen nach Halle und Heidelberg. Schon
damals konnte man die allmälige Auflösung der Jmmker Zustände voraussehen,
und Gries lebte in um so größerer Einsamkeit, da er seit -180-i mehr und mehr
taub wurde. Besuche bei seinen Freunden in Würzburg und Heidelberg unter¬
brachen sein Stillleben. Das erste Fragment des Ariost erschien'-1803, der
zweite Band -1805. Gleichzeitig arbeitete A. W. Schlegel an Calderon, und
die Neigung, katholisch zu werden, fing an sich auszubreiten. In einem Briefe
an seinen Bruder, Februar 1803, in welchem er alle Bedenken über die Unsicher¬
heit seiner Lebensbeschäftigung zurückweist und das Glaubensbekenntniß aus-
spricht: Vivre, e'oft le edok-lZ'oenviv cke l-r vie, bemerkt er über Tieck, von dem
damals das Gerücht ging, er sei in München katholisch geworden: „Wenn er es
werden will, so habe ich nichts dagegen. Wenn man einmal ein Christ sein
will, so denke ich, muß man auch ein Katholik sein können." — „Man hat in
Deutschland getadelt," schreibt er Juli 1803 an Rist, mit dem er überhaupt im
lebhaftesten Verkehr blieb, „daß Schlegel seine Uebersetzung deS Calderon mit
einem Stück eröffnet habe, worin sich der Katholicismus in seiner ganzen Stärke
ausspricht. Mit Unrecht, diiucht mir, denn warum sollte man sich nicht eben¬
sogut in diese Mythologie als in die griechische versetzen können? Sie ist
gewiß cousequenter als jene, und hat man sich einmal in diese Welt hinein¬
gesetzt, so wird man durch nichts weiter gestört."

Die fortwährend größere Einsamkeit in Jena machte ihn unruhig, er siedelte
sich im Frühjahr -1806 nach Heidelberg über. Wol mochte ihm jetzt manchmal
ein Brief seines Freundes Herbart, Juli -1802, aus die Seele fallen, in dem
dieser schreibt: „Könntest Du in Jena wirklich froh werden, so. würde wol
niemand etwas dagegen einwenden, wenn Du wie bisher immer fortführst, uns der
goldnen Aepfel aus den hesperischen Garten einen nach dem andern herznlangen.
Aber noch sah ich niemand von der Fülle des Lebens wahrhaft befriedigt, der
außer unmittelbarer Thätigkeit für und unter bestimmten Menschen lebte." —
Auch in Heidelberg duldete es ihn nicht lange, schon Anfang des Jahres -1808
finden wir ihn wieder in Jena, wo er bald darauf erklärt, diese Rückkehr sei
der dümmste Streich, den er in seinem Leben gemacht habe. Auf der Reise im
Juli -1808 hatte er auch Frau von Staöl in Cvppet besucht, wo er seinen
alten Freund A. W. Schlegel wiederfand. Weihnachten -1808 besuchte ihn
.Steffens, April 1809 Berg er. In derselben Zeit war der Ariost vollendet, und
Gries begann sich mit spanischen Studien zu beschäftigen. Eine neue Reise
nach München hatte ihn wieder in den Kreis von Schelling, Jacobi, Savigny,


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[0053] In Jena fanden -1803 große Umwälzungen statt. Schelling war schon im Mai mit Karoline Schlegel, die er bald darauf heirathete, nach Schwaben ge¬ gangen, von wo er eine Reise nach Italien, beabsichtigte, sich aber bereden ließ, eine Professur in Würzburg anzunehmen, wohin ,auch Hufeland und Paulus berufen wurden. Andre Professoren gingen nach Halle und Heidelberg. Schon damals konnte man die allmälige Auflösung der Jmmker Zustände voraussehen, und Gries lebte in um so größerer Einsamkeit, da er seit -180-i mehr und mehr taub wurde. Besuche bei seinen Freunden in Würzburg und Heidelberg unter¬ brachen sein Stillleben. Das erste Fragment des Ariost erschien'-1803, der zweite Band -1805. Gleichzeitig arbeitete A. W. Schlegel an Calderon, und die Neigung, katholisch zu werden, fing an sich auszubreiten. In einem Briefe an seinen Bruder, Februar 1803, in welchem er alle Bedenken über die Unsicher¬ heit seiner Lebensbeschäftigung zurückweist und das Glaubensbekenntniß aus- spricht: Vivre, e'oft le edok-lZ'oenviv cke l-r vie, bemerkt er über Tieck, von dem damals das Gerücht ging, er sei in München katholisch geworden: „Wenn er es werden will, so habe ich nichts dagegen. Wenn man einmal ein Christ sein will, so denke ich, muß man auch ein Katholik sein können." — „Man hat in Deutschland getadelt," schreibt er Juli 1803 an Rist, mit dem er überhaupt im lebhaftesten Verkehr blieb, „daß Schlegel seine Uebersetzung deS Calderon mit einem Stück eröffnet habe, worin sich der Katholicismus in seiner ganzen Stärke ausspricht. Mit Unrecht, diiucht mir, denn warum sollte man sich nicht eben¬ sogut in diese Mythologie als in die griechische versetzen können? Sie ist gewiß cousequenter als jene, und hat man sich einmal in diese Welt hinein¬ gesetzt, so wird man durch nichts weiter gestört." Die fortwährend größere Einsamkeit in Jena machte ihn unruhig, er siedelte sich im Frühjahr -1806 nach Heidelberg über. Wol mochte ihm jetzt manchmal ein Brief seines Freundes Herbart, Juli -1802, aus die Seele fallen, in dem dieser schreibt: „Könntest Du in Jena wirklich froh werden, so. würde wol niemand etwas dagegen einwenden, wenn Du wie bisher immer fortführst, uns der goldnen Aepfel aus den hesperischen Garten einen nach dem andern herznlangen. Aber noch sah ich niemand von der Fülle des Lebens wahrhaft befriedigt, der außer unmittelbarer Thätigkeit für und unter bestimmten Menschen lebte." — Auch in Heidelberg duldete es ihn nicht lange, schon Anfang des Jahres -1808 finden wir ihn wieder in Jena, wo er bald darauf erklärt, diese Rückkehr sei der dümmste Streich, den er in seinem Leben gemacht habe. Auf der Reise im Juli -1808 hatte er auch Frau von Staöl in Cvppet besucht, wo er seinen alten Freund A. W. Schlegel wiederfand. Weihnachten -1808 besuchte ihn .Steffens, April 1809 Berg er. In derselben Zeit war der Ariost vollendet, und Gries begann sich mit spanischen Studien zu beschäftigen. Eine neue Reise nach München hatte ihn wieder in den Kreis von Schelling, Jacobi, Savigny,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/53>, abgerufen am 03.07.2024.