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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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des Herzens das schöne Ebenmaß der Natur nicht stört. An diese beiden
herrlichen Dichtungen würden wir als dritte nicht den neuen Pausias reihen,
der in seiner Nachbildung des griechischen Idylls gar zu äußerlich ist, sondern
die liebliche kleine Elegie Amyntas, in welcher die Gefahr der Liebe und die
Süßigkeit der Liebesschinerzen mit einer Anmuth und Wärme entwickelt ist,
daß wir uns nicht daran erinnern, daß dem Inhalt selbst nur eine bedingte
Wahrheit beiwohnt. -- Heitere und liebenswürdige Spiele i" demselben Sinn
sind die "Jahreszeiten", die "Weissagungen des Bakis" und die übrigen Sinn¬
gedichte. In dieser Form hatten die beiden Dichter soviel miteinander gearbeitet,
daß man sie kaum noch von einander unterscheidet.

Wenn in diesen Gedichten die Einkehr ins griechische Heidenthum in
elegischer betrachtender Form ausgeführt wurde, so lag der Versuch nahe, sie
durch lebendige Bilder zu verwirklichen. Auf die Elegien des Jahres -1793
folgten die Balladen von 1797 und 1798. Als Uebergang dazu dienten ge¬
mischte Gedichte, wie das Eleusinische Fest, in welchem die im "Spazier¬
gang" angedeutete Culturentwicklung in mythologischen Bildern weiter ausge¬
führt wurde, ohne daß eine neue und reichere Anschauung daraus gewonnen
wäre. Damit hängt die Klage der Ceres zusammen, eine sehr zart aus¬
geführte naturphilosophische Mythe von dem Zusammenhang der Ober- und
Unterwelt, die nur einerseits durch den weichen, klagenden Ton des Anfangs,
andererseits durch die gesuchten Gräcismen gestört wird, z. B.


Aus der Ströme klarem Spiegel
Lacht der unmnwvlkte Zeus u. s. w.

Endlich gehören dahin noch die vier Weltalter, die in der Weise der alten
Dichter das allmälige Heraustreten des Menschen aus der Einheit mit der
Natur schildern, bis er in der Kunst die Verlorne wiederfand. Als einen ge¬
fälligen Nachklang dieser Empfindungen mag man die Dithyrambe be¬
trachten, welche den Besuch der Götter bei dem trunkenen Dichter schildert.

Mit seinen Balladen hat Schiller die Bahn, welche den deutschen Dichtern
durch Bürger vorgezeichnet war, verlassen. Bürger hatte sich der Weise deS
deutschen und englischen Volksliedes angeschlossen, und wenn er auch die
Formen durch sorgfältige Ausführung erweiterte, aus der springenden, zerhackten
Erzählung des Volksliedes eine kunstvoll ausgearbeitete Schilderung machte,
so war doch schon durch die Stoffe wie durch den Ton die Verwandtschaft be¬
dingt. Indem nun Schiller die durch Bürger überlieferte Form auf das
griechische Alterthum anwandte, war damit zugleich eine andere Weise der Be¬
arbeitung nothwendig gemacht. Die Neigung, naturphilosophische und ästhe¬
tische Betrachtungen einzumischen, waltete auch hier ob: am deutlichsten in den
Kranichen des Ibykus. Das Gedicht dürfte unter den Balladen die erste


Grenzboten. II- 18Lo. 63 '

des Herzens das schöne Ebenmaß der Natur nicht stört. An diese beiden
herrlichen Dichtungen würden wir als dritte nicht den neuen Pausias reihen,
der in seiner Nachbildung des griechischen Idylls gar zu äußerlich ist, sondern
die liebliche kleine Elegie Amyntas, in welcher die Gefahr der Liebe und die
Süßigkeit der Liebesschinerzen mit einer Anmuth und Wärme entwickelt ist,
daß wir uns nicht daran erinnern, daß dem Inhalt selbst nur eine bedingte
Wahrheit beiwohnt. — Heitere und liebenswürdige Spiele i» demselben Sinn
sind die „Jahreszeiten", die „Weissagungen des Bakis" und die übrigen Sinn¬
gedichte. In dieser Form hatten die beiden Dichter soviel miteinander gearbeitet,
daß man sie kaum noch von einander unterscheidet.

Wenn in diesen Gedichten die Einkehr ins griechische Heidenthum in
elegischer betrachtender Form ausgeführt wurde, so lag der Versuch nahe, sie
durch lebendige Bilder zu verwirklichen. Auf die Elegien des Jahres -1793
folgten die Balladen von 1797 und 1798. Als Uebergang dazu dienten ge¬
mischte Gedichte, wie das Eleusinische Fest, in welchem die im „Spazier¬
gang" angedeutete Culturentwicklung in mythologischen Bildern weiter ausge¬
führt wurde, ohne daß eine neue und reichere Anschauung daraus gewonnen
wäre. Damit hängt die Klage der Ceres zusammen, eine sehr zart aus¬
geführte naturphilosophische Mythe von dem Zusammenhang der Ober- und
Unterwelt, die nur einerseits durch den weichen, klagenden Ton des Anfangs,
andererseits durch die gesuchten Gräcismen gestört wird, z. B.


Aus der Ströme klarem Spiegel
Lacht der unmnwvlkte Zeus u. s. w.

Endlich gehören dahin noch die vier Weltalter, die in der Weise der alten
Dichter das allmälige Heraustreten des Menschen aus der Einheit mit der
Natur schildern, bis er in der Kunst die Verlorne wiederfand. Als einen ge¬
fälligen Nachklang dieser Empfindungen mag man die Dithyrambe be¬
trachten, welche den Besuch der Götter bei dem trunkenen Dichter schildert.

Mit seinen Balladen hat Schiller die Bahn, welche den deutschen Dichtern
durch Bürger vorgezeichnet war, verlassen. Bürger hatte sich der Weise deS
deutschen und englischen Volksliedes angeschlossen, und wenn er auch die
Formen durch sorgfältige Ausführung erweiterte, aus der springenden, zerhackten
Erzählung des Volksliedes eine kunstvoll ausgearbeitete Schilderung machte,
so war doch schon durch die Stoffe wie durch den Ton die Verwandtschaft be¬
dingt. Indem nun Schiller die durch Bürger überlieferte Form auf das
griechische Alterthum anwandte, war damit zugleich eine andere Weise der Be¬
arbeitung nothwendig gemacht. Die Neigung, naturphilosophische und ästhe¬
tische Betrachtungen einzumischen, waltete auch hier ob: am deutlichsten in den
Kranichen des Ibykus. Das Gedicht dürfte unter den Balladen die erste


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[0505] des Herzens das schöne Ebenmaß der Natur nicht stört. An diese beiden herrlichen Dichtungen würden wir als dritte nicht den neuen Pausias reihen, der in seiner Nachbildung des griechischen Idylls gar zu äußerlich ist, sondern die liebliche kleine Elegie Amyntas, in welcher die Gefahr der Liebe und die Süßigkeit der Liebesschinerzen mit einer Anmuth und Wärme entwickelt ist, daß wir uns nicht daran erinnern, daß dem Inhalt selbst nur eine bedingte Wahrheit beiwohnt. — Heitere und liebenswürdige Spiele i» demselben Sinn sind die „Jahreszeiten", die „Weissagungen des Bakis" und die übrigen Sinn¬ gedichte. In dieser Form hatten die beiden Dichter soviel miteinander gearbeitet, daß man sie kaum noch von einander unterscheidet. Wenn in diesen Gedichten die Einkehr ins griechische Heidenthum in elegischer betrachtender Form ausgeführt wurde, so lag der Versuch nahe, sie durch lebendige Bilder zu verwirklichen. Auf die Elegien des Jahres -1793 folgten die Balladen von 1797 und 1798. Als Uebergang dazu dienten ge¬ mischte Gedichte, wie das Eleusinische Fest, in welchem die im „Spazier¬ gang" angedeutete Culturentwicklung in mythologischen Bildern weiter ausge¬ führt wurde, ohne daß eine neue und reichere Anschauung daraus gewonnen wäre. Damit hängt die Klage der Ceres zusammen, eine sehr zart aus¬ geführte naturphilosophische Mythe von dem Zusammenhang der Ober- und Unterwelt, die nur einerseits durch den weichen, klagenden Ton des Anfangs, andererseits durch die gesuchten Gräcismen gestört wird, z. B. Aus der Ströme klarem Spiegel Lacht der unmnwvlkte Zeus u. s. w. Endlich gehören dahin noch die vier Weltalter, die in der Weise der alten Dichter das allmälige Heraustreten des Menschen aus der Einheit mit der Natur schildern, bis er in der Kunst die Verlorne wiederfand. Als einen ge¬ fälligen Nachklang dieser Empfindungen mag man die Dithyrambe be¬ trachten, welche den Besuch der Götter bei dem trunkenen Dichter schildert. Mit seinen Balladen hat Schiller die Bahn, welche den deutschen Dichtern durch Bürger vorgezeichnet war, verlassen. Bürger hatte sich der Weise deS deutschen und englischen Volksliedes angeschlossen, und wenn er auch die Formen durch sorgfältige Ausführung erweiterte, aus der springenden, zerhackten Erzählung des Volksliedes eine kunstvoll ausgearbeitete Schilderung machte, so war doch schon durch die Stoffe wie durch den Ton die Verwandtschaft be¬ dingt. Indem nun Schiller die durch Bürger überlieferte Form auf das griechische Alterthum anwandte, war damit zugleich eine andere Weise der Be¬ arbeitung nothwendig gemacht. Die Neigung, naturphilosophische und ästhe¬ tische Betrachtungen einzumischen, waltete auch hier ob: am deutlichsten in den Kranichen des Ibykus. Das Gedicht dürfte unter den Balladen die erste Grenzboten. II- 18Lo. 63 '

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/505>, abgerufen am 01.10.2024.