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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Dichters, bei dem Schiller seinen großen Freund vor Augen gehabt hat, in
dem höchst geistvollen bedeutenden Gedicht: das Glück ausgeführt. Das Ideal
wird nur durch ein Wunder ins Leben geführt, während das Menschliche müh¬
sam wächst und reist und dem Genius, dem Liebling der Götter, fügen sich die
Gesetze der Welt. Der Idealismus erreicht seinen Gipfel in dem Zuruf an
Columbus: die Küste müsse sich zeigen.


Traue dem leitenden Gott und folge dem schweigenden Weltmeer:
Wär sie noch nicht, sie stieg jetzt aus den Fluten empor.
Mit dem Genius steht die Natur in ewigem Bunde:
Was der Eine verspricht, leistet die Andre gewiß.

Das ist dem Naturgesetz doch wol zu viel zugemuthet. Columbus hat
Amerika entdeckt, weil er das Naturgesetz richtig berechnete, sich mit Andacht
der Wirklichkeit fügte; dem Genius, der die Wirklichkeit vermessen in seinen
Dienst zwingen wollte, würde es so gehen, wie dem Jüngling in dem ver¬
schleierten Bild zu Sais. Schiller erzählt uns in diesem dunkeln, ro¬
mantischen, aber anziehenden Gedicht nicht, was er gesehen, Novalis ver¬
muthete, er habe sich selbst gesehen und dieser Gedanke ist nicht ohne Sinn,
denn auch in neuerer Zeit, wo man vermessen den Schleier von dem Un¬
endlichen reißen wollte, erblickte die Menschheit voll Schrecken in dem Gött¬
lichen ihr eignes verzerrtes Bild.

Alle diese Gedichte, die im Wesentlichen das nämliche Evangelium ver¬
kündigen, sind aus dem Jahr-1795. Wir fügen noch das sehr zarte , in seiner
rhythmischen Bewegung harmonisch seinen Gegenstand widerspiegelnde Gedicht:
der Tanz, hinzu. Die reifste Frucht dieses Jahres, in welcher Schiller aus
dem Reich der Schatten sich wieder nach der Erde zu'sehnen begann, ist die
Elegie: der Spazier gang, unzweifelhaft eins der edelsten Werke, die wir
jener Zeit verdanken. Mit feinem Sinn hat der Dichter die Entwicklung der
Cultur an eine Naturanschauung geknüpft, die sich in gefälligen Bildern an¬
einanderreiht, die Contraste hervorhebt und in wechselnden Bildern das Leben
der Menschheit versinnlicht. Auch dies Mal ist es die griechische Bildung, die
dem Dichter ihre Symbole leihen muß; und obgleich ihm unzweifelhaft die
modernen Zustände vorgeschwebt haben, bis zuo französischen Revolution, so
müssen doch Ceres, Hermes, Minerva, selbst die alte Cybele erscheinen, um
diesem Kreislauf des Lebens einen poetischen Reiz zu verleihen. Aber dies Mal
hat es Schiller verstanden, die griechischen und die deutschen Vorstellungen so
harmonisch ineinander zu verweben, daß die Farben und Stimmungen einan¬
der wechselseitig verklären. Mit frischem Leben tauchen die sinnigen Bilder
der griechischen Mythologie aus der unbeseelten Natur hervor und wunderbar
durchschlingen die Arabesken der griechischen Kunst die reiche und tiefe Ge¬
dankenwelt, in welcher der heidnische Naturdienst in üppiger Fülle wieder aus-


Dichters, bei dem Schiller seinen großen Freund vor Augen gehabt hat, in
dem höchst geistvollen bedeutenden Gedicht: das Glück ausgeführt. Das Ideal
wird nur durch ein Wunder ins Leben geführt, während das Menschliche müh¬
sam wächst und reist und dem Genius, dem Liebling der Götter, fügen sich die
Gesetze der Welt. Der Idealismus erreicht seinen Gipfel in dem Zuruf an
Columbus: die Küste müsse sich zeigen.


Traue dem leitenden Gott und folge dem schweigenden Weltmeer:
Wär sie noch nicht, sie stieg jetzt aus den Fluten empor.
Mit dem Genius steht die Natur in ewigem Bunde:
Was der Eine verspricht, leistet die Andre gewiß.

Das ist dem Naturgesetz doch wol zu viel zugemuthet. Columbus hat
Amerika entdeckt, weil er das Naturgesetz richtig berechnete, sich mit Andacht
der Wirklichkeit fügte; dem Genius, der die Wirklichkeit vermessen in seinen
Dienst zwingen wollte, würde es so gehen, wie dem Jüngling in dem ver¬
schleierten Bild zu Sais. Schiller erzählt uns in diesem dunkeln, ro¬
mantischen, aber anziehenden Gedicht nicht, was er gesehen, Novalis ver¬
muthete, er habe sich selbst gesehen und dieser Gedanke ist nicht ohne Sinn,
denn auch in neuerer Zeit, wo man vermessen den Schleier von dem Un¬
endlichen reißen wollte, erblickte die Menschheit voll Schrecken in dem Gött¬
lichen ihr eignes verzerrtes Bild.

Alle diese Gedichte, die im Wesentlichen das nämliche Evangelium ver¬
kündigen, sind aus dem Jahr-1795. Wir fügen noch das sehr zarte , in seiner
rhythmischen Bewegung harmonisch seinen Gegenstand widerspiegelnde Gedicht:
der Tanz, hinzu. Die reifste Frucht dieses Jahres, in welcher Schiller aus
dem Reich der Schatten sich wieder nach der Erde zu'sehnen begann, ist die
Elegie: der Spazier gang, unzweifelhaft eins der edelsten Werke, die wir
jener Zeit verdanken. Mit feinem Sinn hat der Dichter die Entwicklung der
Cultur an eine Naturanschauung geknüpft, die sich in gefälligen Bildern an¬
einanderreiht, die Contraste hervorhebt und in wechselnden Bildern das Leben
der Menschheit versinnlicht. Auch dies Mal ist es die griechische Bildung, die
dem Dichter ihre Symbole leihen muß; und obgleich ihm unzweifelhaft die
modernen Zustände vorgeschwebt haben, bis zuo französischen Revolution, so
müssen doch Ceres, Hermes, Minerva, selbst die alte Cybele erscheinen, um
diesem Kreislauf des Lebens einen poetischen Reiz zu verleihen. Aber dies Mal
hat es Schiller verstanden, die griechischen und die deutschen Vorstellungen so
harmonisch ineinander zu verweben, daß die Farben und Stimmungen einan¬
der wechselseitig verklären. Mit frischem Leben tauchen die sinnigen Bilder
der griechischen Mythologie aus der unbeseelten Natur hervor und wunderbar
durchschlingen die Arabesken der griechischen Kunst die reiche und tiefe Ge¬
dankenwelt, in welcher der heidnische Naturdienst in üppiger Fülle wieder aus-


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[0500] Dichters, bei dem Schiller seinen großen Freund vor Augen gehabt hat, in dem höchst geistvollen bedeutenden Gedicht: das Glück ausgeführt. Das Ideal wird nur durch ein Wunder ins Leben geführt, während das Menschliche müh¬ sam wächst und reist und dem Genius, dem Liebling der Götter, fügen sich die Gesetze der Welt. Der Idealismus erreicht seinen Gipfel in dem Zuruf an Columbus: die Küste müsse sich zeigen. Traue dem leitenden Gott und folge dem schweigenden Weltmeer: Wär sie noch nicht, sie stieg jetzt aus den Fluten empor. Mit dem Genius steht die Natur in ewigem Bunde: Was der Eine verspricht, leistet die Andre gewiß. Das ist dem Naturgesetz doch wol zu viel zugemuthet. Columbus hat Amerika entdeckt, weil er das Naturgesetz richtig berechnete, sich mit Andacht der Wirklichkeit fügte; dem Genius, der die Wirklichkeit vermessen in seinen Dienst zwingen wollte, würde es so gehen, wie dem Jüngling in dem ver¬ schleierten Bild zu Sais. Schiller erzählt uns in diesem dunkeln, ro¬ mantischen, aber anziehenden Gedicht nicht, was er gesehen, Novalis ver¬ muthete, er habe sich selbst gesehen und dieser Gedanke ist nicht ohne Sinn, denn auch in neuerer Zeit, wo man vermessen den Schleier von dem Un¬ endlichen reißen wollte, erblickte die Menschheit voll Schrecken in dem Gött¬ lichen ihr eignes verzerrtes Bild. Alle diese Gedichte, die im Wesentlichen das nämliche Evangelium ver¬ kündigen, sind aus dem Jahr-1795. Wir fügen noch das sehr zarte , in seiner rhythmischen Bewegung harmonisch seinen Gegenstand widerspiegelnde Gedicht: der Tanz, hinzu. Die reifste Frucht dieses Jahres, in welcher Schiller aus dem Reich der Schatten sich wieder nach der Erde zu'sehnen begann, ist die Elegie: der Spazier gang, unzweifelhaft eins der edelsten Werke, die wir jener Zeit verdanken. Mit feinem Sinn hat der Dichter die Entwicklung der Cultur an eine Naturanschauung geknüpft, die sich in gefälligen Bildern an¬ einanderreiht, die Contraste hervorhebt und in wechselnden Bildern das Leben der Menschheit versinnlicht. Auch dies Mal ist es die griechische Bildung, die dem Dichter ihre Symbole leihen muß; und obgleich ihm unzweifelhaft die modernen Zustände vorgeschwebt haben, bis zuo französischen Revolution, so müssen doch Ceres, Hermes, Minerva, selbst die alte Cybele erscheinen, um diesem Kreislauf des Lebens einen poetischen Reiz zu verleihen. Aber dies Mal hat es Schiller verstanden, die griechischen und die deutschen Vorstellungen so harmonisch ineinander zu verweben, daß die Farben und Stimmungen einan¬ der wechselseitig verklären. Mit frischem Leben tauchen die sinnigen Bilder der griechischen Mythologie aus der unbeseelten Natur hervor und wunderbar durchschlingen die Arabesken der griechischen Kunst die reiche und tiefe Ge¬ dankenwelt, in welcher der heidnische Naturdienst in üppiger Fülle wieder aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/500>, abgerufen am 22.07.2024.