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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Gewinn stehen mag, den die Wissenschaft aus seinen naturhistorischen For¬
schungen gezogen hat, für die lebendige Anschauung der überall gleichmäßig
wirkenden Natur sind seine Dichtungen ebenso wichtig und dabei künstlerisch
abgerundeter, als Schillers Darstellungen aus dem Reiche der Ideen.

Wir überspringen jetzt eine Reihe Von Jahren und wenden uns zum
Jahre 1793, wo die Lyrik der beiden Dichter plötzlich zu einer gewaltigen
Blüte aufschoß. Wie auch dieser herrliche Farbenglanz in seiner fremdartigen
geheimnißvollen Pracht aus dem Treibhaus hervorgegangen ist, lehrt der Hin¬
blick auf dasjenige Gedicht, in welchem Schiller die tiefsten Geheimnisse der
Kunst offenbart zu haben glaubte: Das Reich der Schatten, oder wie er
es später nannte, das Ideal und das Leben. Man Muß über dieses
Gedicht den Briefwechsel mit W. v. Humboldt vergleichen. Schiller übergibt
die Gabe seinem Freunde wie eine geheimnißvolle Offenbarung, die man nur
in geweihter Stunde einsam genießen dürfe und Humboldt empfängt sie in
demselben Sinn. Er fühlt sich prophetisch angehaucht und aus den Fesseln des
Erdenlebens entrückt. Wer sich bei Schiller darüber beklagt, er gebe in seinen
Gedichten nur den versificirten gesunden Menschenverstand, kann sich hier der
tiefsten Mystik erfreuen, einer Mystik, die sich in so luftleere Hohen verliert,
daß uns zuweilen der Athem ausgeht.

Mit Neid sieht der Mensch auf das spiegelreine Leben der seligen Götter.
Es wird ihm nun offenbart, wie er sich ihnen nahen könne. Kein Gesetz der Zeit
fesselt diejenigen, die von ihren Gütern nichts berühren. Wer in dem Reich
des Todes frei sein will, muß sich am Schein genügen lassen; selbst der Styr
fesselte Proserpina nicht, aber als sie den Apfel genossen, war sie auf ewig
an den Orcus gebannt.


Nur der Körper eignet jenen Mächten,
Die das dunkle Schicksal flechten;
Aber frei von jeder Zeitgewalt
Die Gespielin seliger Naturen,
Wandelt oben in des Lichtes Fluren
Göttlich unter Göttern, die Gestalt.
Wollt ihr hoch auf ihren Flügeln schweben.
Werst die Angst des Irdischen von euch!
Fliehet aus dem engen, dumpfen Leben
In des Ideales Reich.
Und vor jenen fürchterlichen Schaaren
Euch auf ewig zu bewahren,
Brechet muthig alle Brücken ab.
Zittert nicht, die Heimath zu verlieren;
Alle Pfade, die zum Leben sichren,
Alle sichren zum gewissen Grab.

Grenzboten. II- 18so. 62

Gewinn stehen mag, den die Wissenschaft aus seinen naturhistorischen For¬
schungen gezogen hat, für die lebendige Anschauung der überall gleichmäßig
wirkenden Natur sind seine Dichtungen ebenso wichtig und dabei künstlerisch
abgerundeter, als Schillers Darstellungen aus dem Reiche der Ideen.

Wir überspringen jetzt eine Reihe Von Jahren und wenden uns zum
Jahre 1793, wo die Lyrik der beiden Dichter plötzlich zu einer gewaltigen
Blüte aufschoß. Wie auch dieser herrliche Farbenglanz in seiner fremdartigen
geheimnißvollen Pracht aus dem Treibhaus hervorgegangen ist, lehrt der Hin¬
blick auf dasjenige Gedicht, in welchem Schiller die tiefsten Geheimnisse der
Kunst offenbart zu haben glaubte: Das Reich der Schatten, oder wie er
es später nannte, das Ideal und das Leben. Man Muß über dieses
Gedicht den Briefwechsel mit W. v. Humboldt vergleichen. Schiller übergibt
die Gabe seinem Freunde wie eine geheimnißvolle Offenbarung, die man nur
in geweihter Stunde einsam genießen dürfe und Humboldt empfängt sie in
demselben Sinn. Er fühlt sich prophetisch angehaucht und aus den Fesseln des
Erdenlebens entrückt. Wer sich bei Schiller darüber beklagt, er gebe in seinen
Gedichten nur den versificirten gesunden Menschenverstand, kann sich hier der
tiefsten Mystik erfreuen, einer Mystik, die sich in so luftleere Hohen verliert,
daß uns zuweilen der Athem ausgeht.

Mit Neid sieht der Mensch auf das spiegelreine Leben der seligen Götter.
Es wird ihm nun offenbart, wie er sich ihnen nahen könne. Kein Gesetz der Zeit
fesselt diejenigen, die von ihren Gütern nichts berühren. Wer in dem Reich
des Todes frei sein will, muß sich am Schein genügen lassen; selbst der Styr
fesselte Proserpina nicht, aber als sie den Apfel genossen, war sie auf ewig
an den Orcus gebannt.


Nur der Körper eignet jenen Mächten,
Die das dunkle Schicksal flechten;
Aber frei von jeder Zeitgewalt
Die Gespielin seliger Naturen,
Wandelt oben in des Lichtes Fluren
Göttlich unter Göttern, die Gestalt.
Wollt ihr hoch auf ihren Flügeln schweben.
Werst die Angst des Irdischen von euch!
Fliehet aus dem engen, dumpfen Leben
In des Ideales Reich.
Und vor jenen fürchterlichen Schaaren
Euch auf ewig zu bewahren,
Brechet muthig alle Brücken ab.
Zittert nicht, die Heimath zu verlieren;
Alle Pfade, die zum Leben sichren,
Alle sichren zum gewissen Grab.

Grenzboten. II- 18so. 62
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[0497] Gewinn stehen mag, den die Wissenschaft aus seinen naturhistorischen For¬ schungen gezogen hat, für die lebendige Anschauung der überall gleichmäßig wirkenden Natur sind seine Dichtungen ebenso wichtig und dabei künstlerisch abgerundeter, als Schillers Darstellungen aus dem Reiche der Ideen. Wir überspringen jetzt eine Reihe Von Jahren und wenden uns zum Jahre 1793, wo die Lyrik der beiden Dichter plötzlich zu einer gewaltigen Blüte aufschoß. Wie auch dieser herrliche Farbenglanz in seiner fremdartigen geheimnißvollen Pracht aus dem Treibhaus hervorgegangen ist, lehrt der Hin¬ blick auf dasjenige Gedicht, in welchem Schiller die tiefsten Geheimnisse der Kunst offenbart zu haben glaubte: Das Reich der Schatten, oder wie er es später nannte, das Ideal und das Leben. Man Muß über dieses Gedicht den Briefwechsel mit W. v. Humboldt vergleichen. Schiller übergibt die Gabe seinem Freunde wie eine geheimnißvolle Offenbarung, die man nur in geweihter Stunde einsam genießen dürfe und Humboldt empfängt sie in demselben Sinn. Er fühlt sich prophetisch angehaucht und aus den Fesseln des Erdenlebens entrückt. Wer sich bei Schiller darüber beklagt, er gebe in seinen Gedichten nur den versificirten gesunden Menschenverstand, kann sich hier der tiefsten Mystik erfreuen, einer Mystik, die sich in so luftleere Hohen verliert, daß uns zuweilen der Athem ausgeht. Mit Neid sieht der Mensch auf das spiegelreine Leben der seligen Götter. Es wird ihm nun offenbart, wie er sich ihnen nahen könne. Kein Gesetz der Zeit fesselt diejenigen, die von ihren Gütern nichts berühren. Wer in dem Reich des Todes frei sein will, muß sich am Schein genügen lassen; selbst der Styr fesselte Proserpina nicht, aber als sie den Apfel genossen, war sie auf ewig an den Orcus gebannt. Nur der Körper eignet jenen Mächten, Die das dunkle Schicksal flechten; Aber frei von jeder Zeitgewalt Die Gespielin seliger Naturen, Wandelt oben in des Lichtes Fluren Göttlich unter Göttern, die Gestalt. Wollt ihr hoch auf ihren Flügeln schweben. Werst die Angst des Irdischen von euch! Fliehet aus dem engen, dumpfen Leben In des Ideales Reich. Und vor jenen fürchterlichen Schaaren Euch auf ewig zu bewahren, Brechet muthig alle Brücken ab. Zittert nicht, die Heimath zu verlieren; Alle Pfade, die zum Leben sichren, Alle sichren zum gewissen Grab. Grenzboten. II- 18so. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/497>, abgerufen am 02.10.2024.