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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Wir können nebenbei die Bemerkung nicht unterdrücken, daß diese Be¬
geisterung für die griechischen Götter im Ganzen auf Hörensagen beruhte, denn
Griechisch verstand Schiller nicht, die Vossische Ilias war noch nicht erschienen
und von der bildenden Kunst hatte er auch nur ziemlich dürftige Begriffe. Er
hatte sich mehr nach den Postulaten seiner Philosophie das in sich überein¬
stimmende griechische Leben ausgemalt, als daß er es sich durch die Anschauung
erworben hätte.

Die Abneigung gegen das Christenthum müssen wir im vollen Ernst
nehmen. Man hat bei Goethe und Schiller die Perioden nicht genau geson¬
dert; in spätern Zeiten haben sie unter den vielen symbolischen Heiligenbildern,
die sie in das Pantheon ihrer Götter aufnahmen, auch der christlichen Mytho¬
logie wieder gehuldigt, damals aber, wo das Gefühl noch über die Reflexion
mächtig war, (und das dauerte doch bis über das Ende des Jahrhunderts
hinaus), brachten sie ihm, wie Goethe selbst gesteht, einen wahrhaft julianiscyen
Haß entgegen. Die einzelnen Stellen bei > Goethe sind in dieser Beziehung
schlagend. Wir erinnern an die erste Walpurgisnacht (1799), wo den
nordischen Heiden der reine pantheistische Naturdienst, den "dumpfen Pfaffen¬
christen" dagegen der Aberglaube an den Teufel, an Gespenster und die sonstige
Nachtheile der Natur beigemessen wird; an die Braut von Korinth, wo der
neue Glaube Liebe und Treue wie ein böses Unkraut ausrauft und sich an
Menschenopfern weidet u. s. w.

Stellen wir uns noch einmal die Mythologie jenes schönen Gedichts zu¬
sammen, in welches Schiller sein ganzes Herz ausgegossen bat. Die lichten,
farbenreichen griechischen Götter empören sich mit der vollen Kraft d"!S Ge¬
fühls gegen daS finstere, menschenfeindliche Reich der Aostraction, das jetzt die
Welt beherrscht. Zu ohnmächtig, um Widerstand zu leisten, fliehen sie mit
ihrer Jugend und ihrer Poesie aus dieser farblosen Welt der Schmerzen in
das freie Reich der Kunst, und alle Dichter, oder, was nach den damaligen
Begriffen dasselbe sagen wollte, alle echten Menschen folgen ihnen nach und
verlassen den Altar des Einen, der "freundlos sonder Gleichen, einsam in dem
Strom der Zeiten nur sein eignes Bild sieht," um Götter anzubeten, die da¬
rum ewig leben, weil sie nie gelebt haben, die der Zeitflut entrissen im Aether
der Dichtung als ewige Symbole der reinen Menschheit frei sich bewegen. --
Malen wir uns dies Reich der Schatten im Einzelnen aus, so erkennen wir
den Venusberg des Mittelalters, das unheimliche Asyl der alten Götter, die
in böse Geister verwandelt mit dem sinnlichen Schein ihres alten Lebens den
Christen in das Schattenreich verlocken. Die Hölle wollen wir dahingestellt sein
lassen, aber ein Abweg war es jedenfalls. Eine ideale Well, die auf das geschicht¬
liche Leben der Zeit keine Wirkung ausübt und sie nicht ausüben kann, entwickelt
nur eine rasch vorübergehende Blüte und hinterläßt eine unproduktive Sehnsucht.


Wir können nebenbei die Bemerkung nicht unterdrücken, daß diese Be¬
geisterung für die griechischen Götter im Ganzen auf Hörensagen beruhte, denn
Griechisch verstand Schiller nicht, die Vossische Ilias war noch nicht erschienen
und von der bildenden Kunst hatte er auch nur ziemlich dürftige Begriffe. Er
hatte sich mehr nach den Postulaten seiner Philosophie das in sich überein¬
stimmende griechische Leben ausgemalt, als daß er es sich durch die Anschauung
erworben hätte.

Die Abneigung gegen das Christenthum müssen wir im vollen Ernst
nehmen. Man hat bei Goethe und Schiller die Perioden nicht genau geson¬
dert; in spätern Zeiten haben sie unter den vielen symbolischen Heiligenbildern,
die sie in das Pantheon ihrer Götter aufnahmen, auch der christlichen Mytho¬
logie wieder gehuldigt, damals aber, wo das Gefühl noch über die Reflexion
mächtig war, (und das dauerte doch bis über das Ende des Jahrhunderts
hinaus), brachten sie ihm, wie Goethe selbst gesteht, einen wahrhaft julianiscyen
Haß entgegen. Die einzelnen Stellen bei > Goethe sind in dieser Beziehung
schlagend. Wir erinnern an die erste Walpurgisnacht (1799), wo den
nordischen Heiden der reine pantheistische Naturdienst, den „dumpfen Pfaffen¬
christen" dagegen der Aberglaube an den Teufel, an Gespenster und die sonstige
Nachtheile der Natur beigemessen wird; an die Braut von Korinth, wo der
neue Glaube Liebe und Treue wie ein böses Unkraut ausrauft und sich an
Menschenopfern weidet u. s. w.

Stellen wir uns noch einmal die Mythologie jenes schönen Gedichts zu¬
sammen, in welches Schiller sein ganzes Herz ausgegossen bat. Die lichten,
farbenreichen griechischen Götter empören sich mit der vollen Kraft d«!S Ge¬
fühls gegen daS finstere, menschenfeindliche Reich der Aostraction, das jetzt die
Welt beherrscht. Zu ohnmächtig, um Widerstand zu leisten, fliehen sie mit
ihrer Jugend und ihrer Poesie aus dieser farblosen Welt der Schmerzen in
das freie Reich der Kunst, und alle Dichter, oder, was nach den damaligen
Begriffen dasselbe sagen wollte, alle echten Menschen folgen ihnen nach und
verlassen den Altar des Einen, der „freundlos sonder Gleichen, einsam in dem
Strom der Zeiten nur sein eignes Bild sieht," um Götter anzubeten, die da¬
rum ewig leben, weil sie nie gelebt haben, die der Zeitflut entrissen im Aether
der Dichtung als ewige Symbole der reinen Menschheit frei sich bewegen. —
Malen wir uns dies Reich der Schatten im Einzelnen aus, so erkennen wir
den Venusberg des Mittelalters, das unheimliche Asyl der alten Götter, die
in böse Geister verwandelt mit dem sinnlichen Schein ihres alten Lebens den
Christen in das Schattenreich verlocken. Die Hölle wollen wir dahingestellt sein
lassen, aber ein Abweg war es jedenfalls. Eine ideale Well, die auf das geschicht¬
liche Leben der Zeit keine Wirkung ausübt und sie nicht ausüben kann, entwickelt
nur eine rasch vorübergehende Blüte und hinterläßt eine unproduktive Sehnsucht.


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[0494] Wir können nebenbei die Bemerkung nicht unterdrücken, daß diese Be¬ geisterung für die griechischen Götter im Ganzen auf Hörensagen beruhte, denn Griechisch verstand Schiller nicht, die Vossische Ilias war noch nicht erschienen und von der bildenden Kunst hatte er auch nur ziemlich dürftige Begriffe. Er hatte sich mehr nach den Postulaten seiner Philosophie das in sich überein¬ stimmende griechische Leben ausgemalt, als daß er es sich durch die Anschauung erworben hätte. Die Abneigung gegen das Christenthum müssen wir im vollen Ernst nehmen. Man hat bei Goethe und Schiller die Perioden nicht genau geson¬ dert; in spätern Zeiten haben sie unter den vielen symbolischen Heiligenbildern, die sie in das Pantheon ihrer Götter aufnahmen, auch der christlichen Mytho¬ logie wieder gehuldigt, damals aber, wo das Gefühl noch über die Reflexion mächtig war, (und das dauerte doch bis über das Ende des Jahrhunderts hinaus), brachten sie ihm, wie Goethe selbst gesteht, einen wahrhaft julianiscyen Haß entgegen. Die einzelnen Stellen bei > Goethe sind in dieser Beziehung schlagend. Wir erinnern an die erste Walpurgisnacht (1799), wo den nordischen Heiden der reine pantheistische Naturdienst, den „dumpfen Pfaffen¬ christen" dagegen der Aberglaube an den Teufel, an Gespenster und die sonstige Nachtheile der Natur beigemessen wird; an die Braut von Korinth, wo der neue Glaube Liebe und Treue wie ein böses Unkraut ausrauft und sich an Menschenopfern weidet u. s. w. Stellen wir uns noch einmal die Mythologie jenes schönen Gedichts zu¬ sammen, in welches Schiller sein ganzes Herz ausgegossen bat. Die lichten, farbenreichen griechischen Götter empören sich mit der vollen Kraft d«!S Ge¬ fühls gegen daS finstere, menschenfeindliche Reich der Aostraction, das jetzt die Welt beherrscht. Zu ohnmächtig, um Widerstand zu leisten, fliehen sie mit ihrer Jugend und ihrer Poesie aus dieser farblosen Welt der Schmerzen in das freie Reich der Kunst, und alle Dichter, oder, was nach den damaligen Begriffen dasselbe sagen wollte, alle echten Menschen folgen ihnen nach und verlassen den Altar des Einen, der „freundlos sonder Gleichen, einsam in dem Strom der Zeiten nur sein eignes Bild sieht," um Götter anzubeten, die da¬ rum ewig leben, weil sie nie gelebt haben, die der Zeitflut entrissen im Aether der Dichtung als ewige Symbole der reinen Menschheit frei sich bewegen. — Malen wir uns dies Reich der Schatten im Einzelnen aus, so erkennen wir den Venusberg des Mittelalters, das unheimliche Asyl der alten Götter, die in böse Geister verwandelt mit dem sinnlichen Schein ihres alten Lebens den Christen in das Schattenreich verlocken. Die Hölle wollen wir dahingestellt sein lassen, aber ein Abweg war es jedenfalls. Eine ideale Well, die auf das geschicht¬ liche Leben der Zeit keine Wirkung ausübt und sie nicht ausüben kann, entwickelt nur eine rasch vorübergehende Blüte und hinterläßt eine unproduktive Sehnsucht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/494>, abgerufen am 25.08.2024.