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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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die Herren von der Decken und von Bornes schieden um dieser Differenz
willen sehr bald aus dem Cabinet.

Jene Vorschläge, welche Herr von Sehele sodann in Bezug auf die Um¬
gestaltung der Verfassung, namentlich der ersten Kammer, imJab,re183Ä machte
und 1833 modificirt wiederholte, hätten vom damaligen Landtage nicht abgelehnt
werden sollen, Sie stützten sich auf die seit 18i8 gemachten Erfahrungen und
wünschten den abgeschnittenen historischen Faden der Entwicklung wieder anzu¬
knüpfen. Verstärkt sollte der große Grundbesitz in erster Kammer werden:
aber der Stand der Juristen, der Geistlichkeit und Lehrer sowie der Universi¬
tät und der großen Gewerbetreibenden sollte neben ihm Platz behalten. Ueber
das Zahlenverhältniß dieser Elemente konnte gestritten werden. Der ganze
Plan war ein aufrichtiger Vermittlungsvorschlag zwischen den kämpfenden
Parteien und außerdem den deutschen Verhältnissen, welchen sich der Einzelstaat
nicht ganz entziehen soll, angemessen. Als das Ministerium in der zweiten
Kammer trotz der Unterstützung der Stüve-Lindemannschen Partei wiederholt
in der Minorität geblieben, mußte es freilich zurücktreten.

Längst hatten sich inzwischen sechs von den neun Ritter- und Landschaf¬
ten des Königreichs an die Bundesversammlung gewendet. Sie wiederhol¬
ten ihre Eingaben 1831, 1832 und 1833. Herr von Münchhausen, sowie
Herr von Sehele widerstanden; nicht so der gegenwärtige Ministerpräsident
Herr von Lütcken. Im Gegentheil! Er ließ eine Denkschrift für die Bundes¬
versammlung ausarbeiten, welche die Begründung der ritterschaftlichen Be¬
schwerde zugab. Die Aufhebung der adligen Standschaft in erster Kammer
sei formell nicht rechtsbeständig, weil die ritterschaftlichen Deputirten, welche ihre
Zustimmung dazu ertheilten, unbefugt gewesen; denn sie hätten nur die Aus¬
übung der Standschaft, nicht daS Recht der Corporation auf Standschaft zu
repräsentiren gehabt. Ebenso wird behauptet, daß das Gesetz vom 1. August
über die Organisation der Provinzialstände ohne Mitwirkung der Provinzialstände
unrechtmäßig entstanden sei. Sie ging weiter, indem sie die Aushebung des
§ 180 über den Modus der Verfassungsänderungen für verfassungswidrig erklärte.

Dem traten die Mitglieder des Märzministenums von 1868 in einer
"Beleuchtung der k. hannov. Denkschrift" mit Kenntniß und Scharfsinn ent¬
gegen. Satz für Satz der Anklage wie sie Geh. Regierungsrath Zimmermann
mehr spitzfindig als gerade und juristisch gestützt formulirte, werden widerlegt.
Namentlich wird auf das Unerhörte und Gefährliche hingewiesen, durch
eine offici'elle Denkschrift die Rechtsbeständigkeit der Verfassung in Frage zu
stellen, welche seit sechs Jahren in anerkannter Wirksamkeit steht und gegen
welche der König selbst weder als Kronprinz noch bei seiner Thronbesteigung
den gen'ngsten Zweifel erhob. In Beziehung auf die einzelnen Streitpunkte
verweisen wir auf die "Beleuchtung" selbst. Nur auf N'e Gefahren, welche


die Herren von der Decken und von Bornes schieden um dieser Differenz
willen sehr bald aus dem Cabinet.

Jene Vorschläge, welche Herr von Sehele sodann in Bezug auf die Um¬
gestaltung der Verfassung, namentlich der ersten Kammer, imJab,re183Ä machte
und 1833 modificirt wiederholte, hätten vom damaligen Landtage nicht abgelehnt
werden sollen, Sie stützten sich auf die seit 18i8 gemachten Erfahrungen und
wünschten den abgeschnittenen historischen Faden der Entwicklung wieder anzu¬
knüpfen. Verstärkt sollte der große Grundbesitz in erster Kammer werden:
aber der Stand der Juristen, der Geistlichkeit und Lehrer sowie der Universi¬
tät und der großen Gewerbetreibenden sollte neben ihm Platz behalten. Ueber
das Zahlenverhältniß dieser Elemente konnte gestritten werden. Der ganze
Plan war ein aufrichtiger Vermittlungsvorschlag zwischen den kämpfenden
Parteien und außerdem den deutschen Verhältnissen, welchen sich der Einzelstaat
nicht ganz entziehen soll, angemessen. Als das Ministerium in der zweiten
Kammer trotz der Unterstützung der Stüve-Lindemannschen Partei wiederholt
in der Minorität geblieben, mußte es freilich zurücktreten.

Längst hatten sich inzwischen sechs von den neun Ritter- und Landschaf¬
ten des Königreichs an die Bundesversammlung gewendet. Sie wiederhol¬
ten ihre Eingaben 1831, 1832 und 1833. Herr von Münchhausen, sowie
Herr von Sehele widerstanden; nicht so der gegenwärtige Ministerpräsident
Herr von Lütcken. Im Gegentheil! Er ließ eine Denkschrift für die Bundes¬
versammlung ausarbeiten, welche die Begründung der ritterschaftlichen Be¬
schwerde zugab. Die Aufhebung der adligen Standschaft in erster Kammer
sei formell nicht rechtsbeständig, weil die ritterschaftlichen Deputirten, welche ihre
Zustimmung dazu ertheilten, unbefugt gewesen; denn sie hätten nur die Aus¬
übung der Standschaft, nicht daS Recht der Corporation auf Standschaft zu
repräsentiren gehabt. Ebenso wird behauptet, daß das Gesetz vom 1. August
über die Organisation der Provinzialstände ohne Mitwirkung der Provinzialstände
unrechtmäßig entstanden sei. Sie ging weiter, indem sie die Aushebung des
§ 180 über den Modus der Verfassungsänderungen für verfassungswidrig erklärte.

Dem traten die Mitglieder des Märzministenums von 1868 in einer
„Beleuchtung der k. hannov. Denkschrift" mit Kenntniß und Scharfsinn ent¬
gegen. Satz für Satz der Anklage wie sie Geh. Regierungsrath Zimmermann
mehr spitzfindig als gerade und juristisch gestützt formulirte, werden widerlegt.
Namentlich wird auf das Unerhörte und Gefährliche hingewiesen, durch
eine offici'elle Denkschrift die Rechtsbeständigkeit der Verfassung in Frage zu
stellen, welche seit sechs Jahren in anerkannter Wirksamkeit steht und gegen
welche der König selbst weder als Kronprinz noch bei seiner Thronbesteigung
den gen'ngsten Zweifel erhob. In Beziehung auf die einzelnen Streitpunkte
verweisen wir auf die „Beleuchtung" selbst. Nur auf N'e Gefahren, welche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/470>, abgerufen am 25.08.2024.