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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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eit 1832 fortsetzte und viel von historischer Entwicklung, von Recht, Freiheit,
Emancipation aus der Hand der Bureaukratie redete, aber wenn es der praktischen
Anwendung galt, nie eine Stadt, eine Gemeinde, einen neuerdings emporge¬
kommenen Gewerbszweig in das Auge faßte, sondern höchstens Patrimonialgerichte,
Dienst bei Hofe, Eremtioncn u, s. w. Nur Prälaten, Ritter, allenfalls Städte
und höchstens Bauern sollten als Stände gelten. Was sind Prälaten beson¬
ders im Königreich Hannover? Was Ritter? Vertheidigen sie noch von ihren
Schlössern aus das platte Land? Auch der Lehrstand schreitet nicht mehr in
der geistigen Entwicklung den übrigen Ständen voran. Unmöglich darf der
Wehrstand als der Inbegriff der männlichen Kraft aller Freien betrachtet wer¬
den. Im gesicherten Frieden sind vielmehr die Vertheidiger des Rechts, die
löFis, nach deutscher Eigenthümlichkeit stark entwickelt, und Richter und
Advocaten zeigten entschiedenen Drang nach korporativer Verfassung, wie denn
auch in England der Richterstand im Oberhause sitzt. Als Nährstand stehen
in einem vorwiegend landwirtschaftlichen Staate, wie Hannover, großer und
kleiner Grundbesitz nahe beisammen. Am meisten hat der Bürgerstand seine
Bedeutung gewahrt. Allein vertritt denn irgend eine Stadt das bedeutende
Gewerbe, das sich außer ihnen, auf dem Lande als Hammer- und Hüttenwerk,
als Fabrik entwickelte? Die Gewerbesteuer der Städte bringt etwa ?>i,000, die
des Landes 67,000 Thlr. aus.

Aus diesen Grundgedanken ging die Gestaltung der neuen ersten Kammer
hervor. Noch wurden die Bausteine roh zusammengebracht; manches sollte erst
eine Probe bestehen; vieles erst seinen richtigen Unterbau, erlangen. Nament¬
lich sollten die Grundeigenthümer in der Verwaltung der Provinzen, der Aemter
und der Gemeindet! ihre feste Stellung erhalten; die Gewerbevereine sollten
dem Gewerbwesen korporative Verfassung verschaffen. Die Vertretung der
Rechtsgelehrten sollte erst durch die Umgestaltung des Gerichtswesens eine
feste Basis erlangen; aber auch jetzt schon sollten sie einen gesetzlichen Einfluß
auf die Gestaltung der öffentlichen Dinge gewinnen, um dort nicht zurückgesetzt
zu erscheinen, wo sie mit vollem Fug einen wesentlichen Einfluß verlangen
konnten. Die Vertretung des Lehrerstandes hatte manches Mißliche, doch
mochte sie versucht werden. Hatten die Verhältnisse den Lehrstand in zwei
Hälften gespalten, in Kirche und Schule, so mußte neben der Kirche auch der
andern Hälfte, der Schule, die Standesbedeutung gegönnt werden. Man bringe
ihre eigenthümlichen Richtungen an das Licht, damit man erkenne, was dort
vorhanden ist. Man knüpfe sie an die Verfassung, damit sie in dieser ihr
eignes Recht achten lernen.

Die Mitglieder der Adelskammer waren im Wesentlichen mit diesen Sätzen
einverstanden. Herr von der Decken gab ausdrücklich zu. daß die Bildung der
ersten Kammer durch Wahlen aus der Ritterschaft nicht mehr haltbar sei. Er


eit 1832 fortsetzte und viel von historischer Entwicklung, von Recht, Freiheit,
Emancipation aus der Hand der Bureaukratie redete, aber wenn es der praktischen
Anwendung galt, nie eine Stadt, eine Gemeinde, einen neuerdings emporge¬
kommenen Gewerbszweig in das Auge faßte, sondern höchstens Patrimonialgerichte,
Dienst bei Hofe, Eremtioncn u, s. w. Nur Prälaten, Ritter, allenfalls Städte
und höchstens Bauern sollten als Stände gelten. Was sind Prälaten beson¬
ders im Königreich Hannover? Was Ritter? Vertheidigen sie noch von ihren
Schlössern aus das platte Land? Auch der Lehrstand schreitet nicht mehr in
der geistigen Entwicklung den übrigen Ständen voran. Unmöglich darf der
Wehrstand als der Inbegriff der männlichen Kraft aller Freien betrachtet wer¬
den. Im gesicherten Frieden sind vielmehr die Vertheidiger des Rechts, die
löFis, nach deutscher Eigenthümlichkeit stark entwickelt, und Richter und
Advocaten zeigten entschiedenen Drang nach korporativer Verfassung, wie denn
auch in England der Richterstand im Oberhause sitzt. Als Nährstand stehen
in einem vorwiegend landwirtschaftlichen Staate, wie Hannover, großer und
kleiner Grundbesitz nahe beisammen. Am meisten hat der Bürgerstand seine
Bedeutung gewahrt. Allein vertritt denn irgend eine Stadt das bedeutende
Gewerbe, das sich außer ihnen, auf dem Lande als Hammer- und Hüttenwerk,
als Fabrik entwickelte? Die Gewerbesteuer der Städte bringt etwa ?>i,000, die
des Landes 67,000 Thlr. aus.

Aus diesen Grundgedanken ging die Gestaltung der neuen ersten Kammer
hervor. Noch wurden die Bausteine roh zusammengebracht; manches sollte erst
eine Probe bestehen; vieles erst seinen richtigen Unterbau, erlangen. Nament¬
lich sollten die Grundeigenthümer in der Verwaltung der Provinzen, der Aemter
und der Gemeindet! ihre feste Stellung erhalten; die Gewerbevereine sollten
dem Gewerbwesen korporative Verfassung verschaffen. Die Vertretung der
Rechtsgelehrten sollte erst durch die Umgestaltung des Gerichtswesens eine
feste Basis erlangen; aber auch jetzt schon sollten sie einen gesetzlichen Einfluß
auf die Gestaltung der öffentlichen Dinge gewinnen, um dort nicht zurückgesetzt
zu erscheinen, wo sie mit vollem Fug einen wesentlichen Einfluß verlangen
konnten. Die Vertretung des Lehrerstandes hatte manches Mißliche, doch
mochte sie versucht werden. Hatten die Verhältnisse den Lehrstand in zwei
Hälften gespalten, in Kirche und Schule, so mußte neben der Kirche auch der
andern Hälfte, der Schule, die Standesbedeutung gegönnt werden. Man bringe
ihre eigenthümlichen Richtungen an das Licht, damit man erkenne, was dort
vorhanden ist. Man knüpfe sie an die Verfassung, damit sie in dieser ihr
eignes Recht achten lernen.

Die Mitglieder der Adelskammer waren im Wesentlichen mit diesen Sätzen
einverstanden. Herr von der Decken gab ausdrücklich zu. daß die Bildung der
ersten Kammer durch Wahlen aus der Ritterschaft nicht mehr haltbar sei. Er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/468>, abgerufen am 25.08.2024.