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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Sinn und Denken, .alle Tage gewiß einmal nach allen zu sehen; wie..die
Jungen wuchsen, wie das Gefieder zunahm, wie die Alten sie fütterten, u. dergl.
Anfangs trug ich einige mit mir nach Haus, oder brachte sie sonst an ein be¬
quemeres Ort. Aber dann waren sie dahin. Nun ließ ichs bleiben, und sie
lieber groß werden -- da flogen sie mir aus. -- Ebensoviel Freuden brachten
mir meist auch meine Geisen. Ich hatte von allen Farben, große und kleine,
kurz- und langhaarige, bös- und gutgeartete. Alle Tage ruft ich sie zwei bis
dreimal zusammen, und überzählte sie, ob ichs voll habe? Ich h^die sie ge¬
wöhnt, daß sie auf mein Zub, Zub! Leck, Leck! aus allen Büschen hergesprunge"
kamen. Einige liebten mich sonderbar, und gingen den ganzen Tag nie einen
Büchsenschuß weit von mir; und wenn ich mich verbarg, fingen sie alle ein
Zetergeschrei an. Von meinem Duglöörte (so hieß meine MittagsgeiS) konnt
ich mich nur mit List entfernen. Das war ganz mein Eigen. Wo ich mich
setzte oder legte, stellt es sich über mich, hin und war gleich parat zum Saugen '
oder Melken; und doch mußt ichs in der besten Sommerszeit oft noch
ganz voll heimführen. Andre Mal meill ich es einem Köhler, bei dem ich
manche liebe Stund zubrachte, wenn er Holz schrotete, oder Kohlhaufen
brannte.

Welch Vergnügen, dann am Abend meine Herde auf meinem Horn zur
Heimreise zu blasen! zuzuschauen wie sie alle mit runden Bauchen und vollen
Eutern dastuhnden und zu hören, wie munter sie sich heimblöckten. Wie stolz
war ich dann, wenn mich der Vater lobte, daß ich so gut gehütet habe! Nun
gings an ein Melken; bei gutem Wetter unter freiem Himmel. Da wollte
jede zuerst über dem Eimer von der drückenden Last ihrer Milch löffeln, und
beleckte dankbar ihren Befreier.

Nicht daß lauter Lust beim Hirtenleben wäre. -- Potz tausend, nein!
Da gibts Beschwerden genug. Für mich wars lang die empfindlichste, des
Morgens so früh mein warmes Bettlein zu verlassen, und bloß und barfuß
inS kalte Feld zu marschiren, wenns zumal einen baumstarken Reifen hatte,
oder ein dicker Nebel über die Berge herabhing. Wenn dann dieser gar so
hoch ging, daß ich ihn mit meiner bergansteigenden Herde das Feld nicht ab¬
gewinnen, und keine Sonn erreichen konnte, verwünscht ich denselben in Aegyp-
ten hinein, und eilte was ich eilen konnte, aus dieser Finsterniß wieder in ein
Thälchen hinab. Erhielt ich hingegen den Sieg, und gewann die Sonne
und den hellen Himmel über mir, und das große Weltmeer von Nebeln und
hier und da einen hervorragenden Bu'g, wie eine Insel, unter meinen Füßen --
was das dann für ein Stolz und eine Lust war! Da verließ ich den ganzen
Tag die Berge nicht, und mein Aug konnt sich nie satt schauen, wie die
Sonnenstrahlen auf diesem Ocean spielten, und Wogen von Dur/ten in den
seltsamsten Figuren sich drauf cherumtaumelteu, bis sie gegen Abend mich'wieder


Grn>jbvtcu. II. 54

Sinn und Denken, .alle Tage gewiß einmal nach allen zu sehen; wie..die
Jungen wuchsen, wie das Gefieder zunahm, wie die Alten sie fütterten, u. dergl.
Anfangs trug ich einige mit mir nach Haus, oder brachte sie sonst an ein be¬
quemeres Ort. Aber dann waren sie dahin. Nun ließ ichs bleiben, und sie
lieber groß werden — da flogen sie mir aus. — Ebensoviel Freuden brachten
mir meist auch meine Geisen. Ich hatte von allen Farben, große und kleine,
kurz- und langhaarige, bös- und gutgeartete. Alle Tage ruft ich sie zwei bis
dreimal zusammen, und überzählte sie, ob ichs voll habe? Ich h^die sie ge¬
wöhnt, daß sie auf mein Zub, Zub! Leck, Leck! aus allen Büschen hergesprunge»
kamen. Einige liebten mich sonderbar, und gingen den ganzen Tag nie einen
Büchsenschuß weit von mir; und wenn ich mich verbarg, fingen sie alle ein
Zetergeschrei an. Von meinem Duglöörte (so hieß meine MittagsgeiS) konnt
ich mich nur mit List entfernen. Das war ganz mein Eigen. Wo ich mich
setzte oder legte, stellt es sich über mich, hin und war gleich parat zum Saugen '
oder Melken; und doch mußt ichs in der besten Sommerszeit oft noch
ganz voll heimführen. Andre Mal meill ich es einem Köhler, bei dem ich
manche liebe Stund zubrachte, wenn er Holz schrotete, oder Kohlhaufen
brannte.

Welch Vergnügen, dann am Abend meine Herde auf meinem Horn zur
Heimreise zu blasen! zuzuschauen wie sie alle mit runden Bauchen und vollen
Eutern dastuhnden und zu hören, wie munter sie sich heimblöckten. Wie stolz
war ich dann, wenn mich der Vater lobte, daß ich so gut gehütet habe! Nun
gings an ein Melken; bei gutem Wetter unter freiem Himmel. Da wollte
jede zuerst über dem Eimer von der drückenden Last ihrer Milch löffeln, und
beleckte dankbar ihren Befreier.

Nicht daß lauter Lust beim Hirtenleben wäre. — Potz tausend, nein!
Da gibts Beschwerden genug. Für mich wars lang die empfindlichste, des
Morgens so früh mein warmes Bettlein zu verlassen, und bloß und barfuß
inS kalte Feld zu marschiren, wenns zumal einen baumstarken Reifen hatte,
oder ein dicker Nebel über die Berge herabhing. Wenn dann dieser gar so
hoch ging, daß ich ihn mit meiner bergansteigenden Herde das Feld nicht ab¬
gewinnen, und keine Sonn erreichen konnte, verwünscht ich denselben in Aegyp-
ten hinein, und eilte was ich eilen konnte, aus dieser Finsterniß wieder in ein
Thälchen hinab. Erhielt ich hingegen den Sieg, und gewann die Sonne
und den hellen Himmel über mir, und das große Weltmeer von Nebeln und
hier und da einen hervorragenden Bu'g, wie eine Insel, unter meinen Füßen —
was das dann für ein Stolz und eine Lust war! Da verließ ich den ganzen
Tag die Berge nicht, und mein Aug konnt sich nie satt schauen, wie die
Sonnenstrahlen auf diesem Ocean spielten, und Wogen von Dur/ten in den
seltsamsten Figuren sich drauf cherumtaumelteu, bis sie gegen Abend mich'wieder


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[0433] Sinn und Denken, .alle Tage gewiß einmal nach allen zu sehen; wie..die Jungen wuchsen, wie das Gefieder zunahm, wie die Alten sie fütterten, u. dergl. Anfangs trug ich einige mit mir nach Haus, oder brachte sie sonst an ein be¬ quemeres Ort. Aber dann waren sie dahin. Nun ließ ichs bleiben, und sie lieber groß werden — da flogen sie mir aus. — Ebensoviel Freuden brachten mir meist auch meine Geisen. Ich hatte von allen Farben, große und kleine, kurz- und langhaarige, bös- und gutgeartete. Alle Tage ruft ich sie zwei bis dreimal zusammen, und überzählte sie, ob ichs voll habe? Ich h^die sie ge¬ wöhnt, daß sie auf mein Zub, Zub! Leck, Leck! aus allen Büschen hergesprunge» kamen. Einige liebten mich sonderbar, und gingen den ganzen Tag nie einen Büchsenschuß weit von mir; und wenn ich mich verbarg, fingen sie alle ein Zetergeschrei an. Von meinem Duglöörte (so hieß meine MittagsgeiS) konnt ich mich nur mit List entfernen. Das war ganz mein Eigen. Wo ich mich setzte oder legte, stellt es sich über mich, hin und war gleich parat zum Saugen ' oder Melken; und doch mußt ichs in der besten Sommerszeit oft noch ganz voll heimführen. Andre Mal meill ich es einem Köhler, bei dem ich manche liebe Stund zubrachte, wenn er Holz schrotete, oder Kohlhaufen brannte. Welch Vergnügen, dann am Abend meine Herde auf meinem Horn zur Heimreise zu blasen! zuzuschauen wie sie alle mit runden Bauchen und vollen Eutern dastuhnden und zu hören, wie munter sie sich heimblöckten. Wie stolz war ich dann, wenn mich der Vater lobte, daß ich so gut gehütet habe! Nun gings an ein Melken; bei gutem Wetter unter freiem Himmel. Da wollte jede zuerst über dem Eimer von der drückenden Last ihrer Milch löffeln, und beleckte dankbar ihren Befreier. Nicht daß lauter Lust beim Hirtenleben wäre. — Potz tausend, nein! Da gibts Beschwerden genug. Für mich wars lang die empfindlichste, des Morgens so früh mein warmes Bettlein zu verlassen, und bloß und barfuß inS kalte Feld zu marschiren, wenns zumal einen baumstarken Reifen hatte, oder ein dicker Nebel über die Berge herabhing. Wenn dann dieser gar so hoch ging, daß ich ihn mit meiner bergansteigenden Herde das Feld nicht ab¬ gewinnen, und keine Sonn erreichen konnte, verwünscht ich denselben in Aegyp- ten hinein, und eilte was ich eilen konnte, aus dieser Finsterniß wieder in ein Thälchen hinab. Erhielt ich hingegen den Sieg, und gewann die Sonne und den hellen Himmel über mir, und das große Weltmeer von Nebeln und hier und da einen hervorragenden Bu'g, wie eine Insel, unter meinen Füßen — was das dann für ein Stolz und eine Lust war! Da verließ ich den ganzen Tag die Berge nicht, und mein Aug konnt sich nie satt schauen, wie die Sonnenstrahlen auf diesem Ocean spielten, und Wogen von Dur/ten in den seltsamsten Figuren sich drauf cherumtaumelteu, bis sie gegen Abend mich'wieder Grn>jbvtcu. II. 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/433>, abgerufen am 22.07.2024.