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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Wir Winter, wir biinnen Weiher und Bach
Und hängen die Kacheln Eis an das Dach
Wir decken den Molen und den Dreck mit Schrei
Und spielen die Bungar und die Schalmei,

Der Sommer aber antwortete:


Wirst den Winter in den Bach.
Den lieben Sommer bringen wir wieder.
Den Sommer mit den Maien
Mit Blümlein manchcrlcien,
Deß sind wir alle froh
Fri, fre, froh!

Veilchen und Blumen,
Die bringet der Sommer,
Ja, Blümlein weiß nud roth
Bringt er im bunten Korb.
Der Sommer ist nnvcrschrcckt
Und wirft den Winter in den Dreck.
Der Sommer ist nicht schwach

In andern Strichen wurden ähnliche dramatische Spiele am ersten Mai
aufgeführt. Die altschwedische Sitte, den Winter und Sommer sich in Ge¬
stalt zweier Neitergeschwader bekämpfen zu lassen, mag bei Grimm nachgelesen
werden. Sie ist die prächtigste Form des Frühlingsempsanges. In Dänemark
hielt man das Fest in friedlicherer Weise ab. ES hieß hier "den Sommer ins
Land reiten". Wer von den jungen Bauern den besten Sprung über das auf
Walpurgis angezündete Gadeilb (Gassenfeuer) that, ward zum Maigrascn oder
Gadebasse (Gassenbär) ernannt und mit zwei Kränzen geschmückt, während die
übrigen Theilnehmer am Zuge nur einen tragen durften. So herausgeputzt
ritt mau in das Dorf oder die Stadt. Hier wurden Lieder gesungen. Die
Jungfrauen bildeten um den Führer einen Kreis, derselbe wählte sich eine da¬
von zur Maigräfin (Gadelam--Gassenlamm, auch Gadinde oder Majinde ge¬
heißen) und schließlich tanzte man um einen mit Blumen und Bändern ver¬
zierten Baum.

In Norddeutschland waren diese Maigrafenaufzüge früher gleichfalls Ge¬
brauch. In Greifswald erhielten sie sich bis zum Ende des 16. Jahrhunderts.
In Hildesheim erlosch der schöne Brauch erst im achtzehnten. Am Nieder¬
rhein, im Herzogthum Berg erschien 1717 ein Edict gegen die Maikönigswahl,
weil der Landesherr solche grüne Potentaten aus Eisersucht nicht neben sich
leiden mochte. Bis dahin war es Sitte gewesen, daß die jungen Burschen der
Landgemeinden sich am Abend vor dem ersten Mai unter der Linde versammel¬
ten und das Maillet anhoben, welches von den Mädchen fern vom Dorfe her
erwidert wurde. Man wählte hierauf einen Maikönig, dem Maigrafen als
Richter zur Seite gestellt wurden. Der König ersah sich dann aus den in¬
zwischen 'herbeigekommenen Jungfern eine Königin und rief sie aus. Alsdann
wurde die Liste der Junggesellen und Junggfrauen des Orts neu entworfen/
Die im verwichnen Jahre Verheirateten oder Gestorbenen wurden gestrichen
und für sie neue aufgestellt. Der eine Maigraf rief hiernach die Burschen der
Reihe nach auf, und die Versammlung fragte bei jedem: "Wer soll seine Liebste
sein?" worauf ein anderer Maigraf den Namen des Mädchens aussprach, die


Wir Winter, wir biinnen Weiher und Bach
Und hängen die Kacheln Eis an das Dach
Wir decken den Molen und den Dreck mit Schrei
Und spielen die Bungar und die Schalmei,

Der Sommer aber antwortete:


Wirst den Winter in den Bach.
Den lieben Sommer bringen wir wieder.
Den Sommer mit den Maien
Mit Blümlein manchcrlcien,
Deß sind wir alle froh
Fri, fre, froh!

Veilchen und Blumen,
Die bringet der Sommer,
Ja, Blümlein weiß nud roth
Bringt er im bunten Korb.
Der Sommer ist nnvcrschrcckt
Und wirft den Winter in den Dreck.
Der Sommer ist nicht schwach

In andern Strichen wurden ähnliche dramatische Spiele am ersten Mai
aufgeführt. Die altschwedische Sitte, den Winter und Sommer sich in Ge¬
stalt zweier Neitergeschwader bekämpfen zu lassen, mag bei Grimm nachgelesen
werden. Sie ist die prächtigste Form des Frühlingsempsanges. In Dänemark
hielt man das Fest in friedlicherer Weise ab. ES hieß hier „den Sommer ins
Land reiten". Wer von den jungen Bauern den besten Sprung über das auf
Walpurgis angezündete Gadeilb (Gassenfeuer) that, ward zum Maigrascn oder
Gadebasse (Gassenbär) ernannt und mit zwei Kränzen geschmückt, während die
übrigen Theilnehmer am Zuge nur einen tragen durften. So herausgeputzt
ritt mau in das Dorf oder die Stadt. Hier wurden Lieder gesungen. Die
Jungfrauen bildeten um den Führer einen Kreis, derselbe wählte sich eine da¬
von zur Maigräfin (Gadelam—Gassenlamm, auch Gadinde oder Majinde ge¬
heißen) und schließlich tanzte man um einen mit Blumen und Bändern ver¬
zierten Baum.

In Norddeutschland waren diese Maigrafenaufzüge früher gleichfalls Ge¬
brauch. In Greifswald erhielten sie sich bis zum Ende des 16. Jahrhunderts.
In Hildesheim erlosch der schöne Brauch erst im achtzehnten. Am Nieder¬
rhein, im Herzogthum Berg erschien 1717 ein Edict gegen die Maikönigswahl,
weil der Landesherr solche grüne Potentaten aus Eisersucht nicht neben sich
leiden mochte. Bis dahin war es Sitte gewesen, daß die jungen Burschen der
Landgemeinden sich am Abend vor dem ersten Mai unter der Linde versammel¬
ten und das Maillet anhoben, welches von den Mädchen fern vom Dorfe her
erwidert wurde. Man wählte hierauf einen Maikönig, dem Maigrafen als
Richter zur Seite gestellt wurden. Der König ersah sich dann aus den in¬
zwischen 'herbeigekommenen Jungfern eine Königin und rief sie aus. Alsdann
wurde die Liste der Junggesellen und Junggfrauen des Orts neu entworfen/
Die im verwichnen Jahre Verheirateten oder Gestorbenen wurden gestrichen
und für sie neue aufgestellt. Der eine Maigraf rief hiernach die Burschen der
Reihe nach auf, und die Versammlung fragte bei jedem: „Wer soll seine Liebste
sein?" worauf ein anderer Maigraf den Namen des Mädchens aussprach, die


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[0332] Wir Winter, wir biinnen Weiher und Bach Und hängen die Kacheln Eis an das Dach Wir decken den Molen und den Dreck mit Schrei Und spielen die Bungar und die Schalmei, Der Sommer aber antwortete: Wirst den Winter in den Bach. Den lieben Sommer bringen wir wieder. Den Sommer mit den Maien Mit Blümlein manchcrlcien, Deß sind wir alle froh Fri, fre, froh! Veilchen und Blumen, Die bringet der Sommer, Ja, Blümlein weiß nud roth Bringt er im bunten Korb. Der Sommer ist nnvcrschrcckt Und wirft den Winter in den Dreck. Der Sommer ist nicht schwach In andern Strichen wurden ähnliche dramatische Spiele am ersten Mai aufgeführt. Die altschwedische Sitte, den Winter und Sommer sich in Ge¬ stalt zweier Neitergeschwader bekämpfen zu lassen, mag bei Grimm nachgelesen werden. Sie ist die prächtigste Form des Frühlingsempsanges. In Dänemark hielt man das Fest in friedlicherer Weise ab. ES hieß hier „den Sommer ins Land reiten". Wer von den jungen Bauern den besten Sprung über das auf Walpurgis angezündete Gadeilb (Gassenfeuer) that, ward zum Maigrascn oder Gadebasse (Gassenbär) ernannt und mit zwei Kränzen geschmückt, während die übrigen Theilnehmer am Zuge nur einen tragen durften. So herausgeputzt ritt mau in das Dorf oder die Stadt. Hier wurden Lieder gesungen. Die Jungfrauen bildeten um den Führer einen Kreis, derselbe wählte sich eine da¬ von zur Maigräfin (Gadelam—Gassenlamm, auch Gadinde oder Majinde ge¬ heißen) und schließlich tanzte man um einen mit Blumen und Bändern ver¬ zierten Baum. In Norddeutschland waren diese Maigrafenaufzüge früher gleichfalls Ge¬ brauch. In Greifswald erhielten sie sich bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. In Hildesheim erlosch der schöne Brauch erst im achtzehnten. Am Nieder¬ rhein, im Herzogthum Berg erschien 1717 ein Edict gegen die Maikönigswahl, weil der Landesherr solche grüne Potentaten aus Eisersucht nicht neben sich leiden mochte. Bis dahin war es Sitte gewesen, daß die jungen Burschen der Landgemeinden sich am Abend vor dem ersten Mai unter der Linde versammel¬ ten und das Maillet anhoben, welches von den Mädchen fern vom Dorfe her erwidert wurde. Man wählte hierauf einen Maikönig, dem Maigrafen als Richter zur Seite gestellt wurden. Der König ersah sich dann aus den in¬ zwischen 'herbeigekommenen Jungfern eine Königin und rief sie aus. Alsdann wurde die Liste der Junggesellen und Junggfrauen des Orts neu entworfen/ Die im verwichnen Jahre Verheirateten oder Gestorbenen wurden gestrichen und für sie neue aufgestellt. Der eine Maigraf rief hiernach die Burschen der Reihe nach auf, und die Versammlung fragte bei jedem: „Wer soll seine Liebste sein?" worauf ein anderer Maigraf den Namen des Mädchens aussprach, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/332>, abgerufen am 22.07.2024.