Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.denn dies würde voraussetzen, daß man binnen Monatsfrist 100.000 Mann von Wenn Sie mir gestatten wollen, meine Ansicht darüber zu entwickeln, so möchte ich Der Umschlag in der inneren Neichspotttik der Pforte, von 40*
denn dies würde voraussetzen, daß man binnen Monatsfrist 100.000 Mann von Wenn Sie mir gestatten wollen, meine Ansicht darüber zu entwickeln, so möchte ich Der Umschlag in der inneren Neichspotttik der Pforte, von 40*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0323" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99709"/> <p xml:id="ID_1107" prev="#ID_1106"> denn dies würde voraussetzen, daß man binnen Monatsfrist 100.000 Mann von<lb/> Marseille und Toulon nach Konstantinopel zu führen vermochte, was selbstredend<lb/> ein Unding ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1108"> Wenn Sie mir gestatten wollen, meine Ansicht darüber zu entwickeln, so möchte ich<lb/> zunächst die Behauptung aufstellen, daß Frankreich im Monat nicht mehr wie drei bis<lb/> höchstens vier Divisionen zu transportiren im Stande sein wird, und daß mithin nicht<lb/> vor.Beginn des Spätherbstes die fragliche Armee zwischen Balkan und Donau vereinigt<lb/> sein kann. Möglich, daß dieser Umstand auf die diesjährigen Operationen in der<lb/> Weise influiren wird, daß man ans einen entscheidenden Vorgang gegen Südruß-<lb/> land vorläufig verzichtet; andrerseits ist ^es aber anch zugleich wahrscheinlich, daß<lb/> man die Campagne ans der Linie des Prnth und der untersten Donau eröffnen<lb/> wird, sobald man französischerseits die ersten 30,000 Mann dort concentrirt hat-<lb/> Denn dieselben würden nicht allein stehen, sondern in Verbindung mit Oestreichern<lb/> und Türken fechten. Dazu kommt, daß die Natur des Kriegstheaters eine suc¬<lb/> cessive Vermehrung der Kräfte zweckmäßig macht. Das Bedürfniß nach solcher<lb/> wird nämlich beim weiteren Vormarsch stetig wachsen und man wird im Stande<lb/> sein, den Nachschub stets ans den Prust, oder nahe demselben, wo er seine Ver¬<lb/> wendung finden soll, direct und schnell hinzuführen, weil voraussichtlich die Opera-<lb/> tions- (Bormarsch-) Linie in der Nähe des Meeres hinlaufen wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_1109"> Der Umschlag in der inneren Neichspotttik der Pforte, von<lb/> dem schon vor längerer Zeit in hiesigen türkischen Kreisen im prophetischen Tone<lb/> gesprochen wurde, an welchen Ihr Berichterstatter indeß mir ungern glauben mochte,<lb/> weil er ihm unwahrscheinlich und außerdem als eine Quelle vielfacher Verlegen¬<lb/> heiten für den osmanischen Staat erschien, hat nnn zu meiner Ueberraschung den¬<lb/> noch stattgefunden: Neschid Pascha hat seinen Posten unter dem Drängen der<lb/> Alttürken, die in den letzten Tagen in der näheren Umgebung des Sultans über¬<lb/> mächtig geworden waren, aufgegeben, und ihn vorläufig den Händen des zur Zeit<lb/> in Wien weilenden Ministers der auswärtigen Angelegenheiten Aali Pascha über¬<lb/> geben, welcher mithin nnn Großvczier der hohen Pforte sSader Asam) ist. Es<lb/> läßt sich nicht verkennen, daß der abtretende Leiter des seitherigen Cabinets damit<lb/> die Modifikation, welche sein Ausscheiden bewirkt, so geringfügig wie möglich<lb/> machte, denn zwischen ihm und seinem Freund Aali Pascha besteht kaum eine leise<lb/> Nüanciruug. Wenn mich nicht alles täuscht, so wird der gewesene Großvezier sich<lb/> nicht eben sehr beeilen nach Wien zu reisen, wo er den ncncrnannten, bei den<lb/> dortigen Konferenzen, deren Schluß ohnedies wol nahe ist, ersetzen soll; sondern<lb/> die Rückkehr Lord Nedcliffcö aus dem Lager von Sebastopol erwarten, um mit<lb/> diesem vereint den Versuch zu machen, das verlorene Feld zurückzugewinnen.<lb/> Wenn er Aussicht auf Erfolg hat, so beruht d'icsclbe eben ans dem Umstände, daß<lb/> allen Einfluß, welchen Raschid einbüßt, die englische Politik mit verliert. Ans<lb/> diesem Grunde sieht man es hier allgemein auch als einen großen Fehler des<lb/> britischen Gesamten an, daß er den Ausflug nach dem Kriegstheater, dem doch<lb/> wol kein anderes Motiv wie Neugierde unterlag, in einer Zeit unternahm, wo<lb/> der Boden unter Ncschids Füßen bereits wankte, und derselbe seiner Unterstützung<lb/> dringend zu bedürfen begann.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 40*</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0323]
denn dies würde voraussetzen, daß man binnen Monatsfrist 100.000 Mann von
Marseille und Toulon nach Konstantinopel zu führen vermochte, was selbstredend
ein Unding ist.
Wenn Sie mir gestatten wollen, meine Ansicht darüber zu entwickeln, so möchte ich
zunächst die Behauptung aufstellen, daß Frankreich im Monat nicht mehr wie drei bis
höchstens vier Divisionen zu transportiren im Stande sein wird, und daß mithin nicht
vor.Beginn des Spätherbstes die fragliche Armee zwischen Balkan und Donau vereinigt
sein kann. Möglich, daß dieser Umstand auf die diesjährigen Operationen in der
Weise influiren wird, daß man ans einen entscheidenden Vorgang gegen Südruß-
land vorläufig verzichtet; andrerseits ist ^es aber anch zugleich wahrscheinlich, daß
man die Campagne ans der Linie des Prnth und der untersten Donau eröffnen
wird, sobald man französischerseits die ersten 30,000 Mann dort concentrirt hat-
Denn dieselben würden nicht allein stehen, sondern in Verbindung mit Oestreichern
und Türken fechten. Dazu kommt, daß die Natur des Kriegstheaters eine suc¬
cessive Vermehrung der Kräfte zweckmäßig macht. Das Bedürfniß nach solcher
wird nämlich beim weiteren Vormarsch stetig wachsen und man wird im Stande
sein, den Nachschub stets ans den Prust, oder nahe demselben, wo er seine Ver¬
wendung finden soll, direct und schnell hinzuführen, weil voraussichtlich die Opera-
tions- (Bormarsch-) Linie in der Nähe des Meeres hinlaufen wird.
Der Umschlag in der inneren Neichspotttik der Pforte, von
dem schon vor längerer Zeit in hiesigen türkischen Kreisen im prophetischen Tone
gesprochen wurde, an welchen Ihr Berichterstatter indeß mir ungern glauben mochte,
weil er ihm unwahrscheinlich und außerdem als eine Quelle vielfacher Verlegen¬
heiten für den osmanischen Staat erschien, hat nnn zu meiner Ueberraschung den¬
noch stattgefunden: Neschid Pascha hat seinen Posten unter dem Drängen der
Alttürken, die in den letzten Tagen in der näheren Umgebung des Sultans über¬
mächtig geworden waren, aufgegeben, und ihn vorläufig den Händen des zur Zeit
in Wien weilenden Ministers der auswärtigen Angelegenheiten Aali Pascha über¬
geben, welcher mithin nnn Großvczier der hohen Pforte sSader Asam) ist. Es
läßt sich nicht verkennen, daß der abtretende Leiter des seitherigen Cabinets damit
die Modifikation, welche sein Ausscheiden bewirkt, so geringfügig wie möglich
machte, denn zwischen ihm und seinem Freund Aali Pascha besteht kaum eine leise
Nüanciruug. Wenn mich nicht alles täuscht, so wird der gewesene Großvezier sich
nicht eben sehr beeilen nach Wien zu reisen, wo er den ncncrnannten, bei den
dortigen Konferenzen, deren Schluß ohnedies wol nahe ist, ersetzen soll; sondern
die Rückkehr Lord Nedcliffcö aus dem Lager von Sebastopol erwarten, um mit
diesem vereint den Versuch zu machen, das verlorene Feld zurückzugewinnen.
Wenn er Aussicht auf Erfolg hat, so beruht d'icsclbe eben ans dem Umstände, daß
allen Einfluß, welchen Raschid einbüßt, die englische Politik mit verliert. Ans
diesem Grunde sieht man es hier allgemein auch als einen großen Fehler des
britischen Gesamten an, daß er den Ausflug nach dem Kriegstheater, dem doch
wol kein anderes Motiv wie Neugierde unterlag, in einer Zeit unternahm, wo
der Boden unter Ncschids Füßen bereits wankte, und derselbe seiner Unterstützung
dringend zu bedürfen begann.
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