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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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fallende Linie sei (woraus weiter mit Recht geschlossen wurde, wie Preußen natur¬
gemäß in diesem Kriege die Hauptaufgabe zufällt)/so weist der Umstand, daß
auf ver nämlichen Linie ein gefährlicher Rückschlag zu gewärtigen ist, doppelt
darauf hin, hier auf seiner Hut zu sein; wenn man Entscheidendes will, hier
mit der Hauptmacht vorzugehen und zunächst den Widerstand der großen
Weichselfestungen zu brechen; wenn man dagegen nach geringeren Zielen
trachtet, mindestens nicht die Maßnahmen der höchsten Vorsicht zu versäumen,
und unter allen Umständen wuchtvolle Massen Polen gegenüber zu concentriven.

Ich kann hier füglich diesen letztern Fall außer Acht lassen, da schon im
ersten Theil des Aufsatzes das Einrücken einer östreichischen Armee in Polen
als das wahrscheinlichere hingestellt wurde. Geschähe dies nicht, so wäre die
baltische Erpedition der Westmächtc in Hinsicht aus ihre Entschließungen und
das zu wählende Object frei; im andern Falle, d. h. wenn Oestreich sich an
das große Werk macht, Rußlands Macht an der Weichsel zwischen Motum (Rooo
Gcorgiewök) und Demblin (Jwangorod) zu brechen, wird vermöge der Anziehungs¬
kraft, welche große Unternehmungen auf die Bestimmung der Kräfte üben, auch
die Expedition der Westmächte zum Auftreten auf einem Kriegsschauplatze veranlaßt,
der durch seine Nähe die Unterstützung der östreichischen Operationen erleichtert.

Keine Behauptung steht so fest, daß nicht bedeutende Einwände ihr ent¬
gegengestellt werden könnten. Was die Annahme, daß Oestreich den entschei¬
denden Punkt an der Weichsel aufsuchen werde, angeht, so wird es ein leichtes
'sein, darauf zu erwidern, daß es bei solchem Verfahren in denselben Fehler
wie die Verbündeten vor Sebastopol fallen, nämlich dem Gegner den Vortheil
gestatten werde, seine Festungen zu verwerthen. Aber diese Festungen würden
auch andern Falles auf die Entscheidung influiren; sie sind es, die an dem
Strom, den sie beherrschen, jede vorherige diesseitige Basirung unmöglich
machen; wozu die Chancen kommen, welche sie einem etwaigen offensiven
Rückschlag des Gegners bieten. Alles erwogen hat der Einwand daher wenig
Halt, womit nicht weggeleugnet werden soll, daß die Operationen in Polen zu
den schwierigsten im ganzen Kriege gehören.


Es ist die Eigenthümlichkeit dieses Krieges, d. h. eines Kampfes gegen
einen räumlichen Koloß, dessen Dimensionen noch ganz außer Verhältniß zu
denen aller sonstigen europäischen Staaten stehen, daß der Angriff sich auf
seiner Fläche nur einzelne Brennpunkte für die Entscheidung aussuchen, nicht
aber in !?er umfassenden radikalen Weise gegen ihn vorgehen kann, wie Na¬
poleon zu mehren Malen Oestreich und auch Preußen angriff, wie endlich
die Verbündeten gegen Frankreich agirten und in der muthmaßlich alle
spätern. Kriege im mittlern und westlichen Europa geführt werden dürsten.


fallende Linie sei (woraus weiter mit Recht geschlossen wurde, wie Preußen natur¬
gemäß in diesem Kriege die Hauptaufgabe zufällt)/so weist der Umstand, daß
auf ver nämlichen Linie ein gefährlicher Rückschlag zu gewärtigen ist, doppelt
darauf hin, hier auf seiner Hut zu sein; wenn man Entscheidendes will, hier
mit der Hauptmacht vorzugehen und zunächst den Widerstand der großen
Weichselfestungen zu brechen; wenn man dagegen nach geringeren Zielen
trachtet, mindestens nicht die Maßnahmen der höchsten Vorsicht zu versäumen,
und unter allen Umständen wuchtvolle Massen Polen gegenüber zu concentriven.

Ich kann hier füglich diesen letztern Fall außer Acht lassen, da schon im
ersten Theil des Aufsatzes das Einrücken einer östreichischen Armee in Polen
als das wahrscheinlichere hingestellt wurde. Geschähe dies nicht, so wäre die
baltische Erpedition der Westmächtc in Hinsicht aus ihre Entschließungen und
das zu wählende Object frei; im andern Falle, d. h. wenn Oestreich sich an
das große Werk macht, Rußlands Macht an der Weichsel zwischen Motum (Rooo
Gcorgiewök) und Demblin (Jwangorod) zu brechen, wird vermöge der Anziehungs¬
kraft, welche große Unternehmungen auf die Bestimmung der Kräfte üben, auch
die Expedition der Westmächte zum Auftreten auf einem Kriegsschauplatze veranlaßt,
der durch seine Nähe die Unterstützung der östreichischen Operationen erleichtert.

Keine Behauptung steht so fest, daß nicht bedeutende Einwände ihr ent¬
gegengestellt werden könnten. Was die Annahme, daß Oestreich den entschei¬
denden Punkt an der Weichsel aufsuchen werde, angeht, so wird es ein leichtes
'sein, darauf zu erwidern, daß es bei solchem Verfahren in denselben Fehler
wie die Verbündeten vor Sebastopol fallen, nämlich dem Gegner den Vortheil
gestatten werde, seine Festungen zu verwerthen. Aber diese Festungen würden
auch andern Falles auf die Entscheidung influiren; sie sind es, die an dem
Strom, den sie beherrschen, jede vorherige diesseitige Basirung unmöglich
machen; wozu die Chancen kommen, welche sie einem etwaigen offensiven
Rückschlag des Gegners bieten. Alles erwogen hat der Einwand daher wenig
Halt, womit nicht weggeleugnet werden soll, daß die Operationen in Polen zu
den schwierigsten im ganzen Kriege gehören.


Es ist die Eigenthümlichkeit dieses Krieges, d. h. eines Kampfes gegen
einen räumlichen Koloß, dessen Dimensionen noch ganz außer Verhältniß zu
denen aller sonstigen europäischen Staaten stehen, daß der Angriff sich auf
seiner Fläche nur einzelne Brennpunkte für die Entscheidung aussuchen, nicht
aber in !?er umfassenden radikalen Weise gegen ihn vorgehen kann, wie Na¬
poleon zu mehren Malen Oestreich und auch Preußen angriff, wie endlich
die Verbündeten gegen Frankreich agirten und in der muthmaßlich alle
spätern. Kriege im mittlern und westlichen Europa geführt werden dürsten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/314>, abgerufen am 22.07.2024.