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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Nach Besprechung dieser allgemeinen Verhältnisse, von denen ich hoffe,
daß sie durch das Vorhergehende in ein ausreichend klares Licht gesetzt worden
sind, ist es an der Zeit, die Grundzüge der Operationen selbst in Erwägung
zu ziehen. In erster Instanz hängen dieselben stets von den Maßnahmen
desjenigen kriegführenden Theiles ab, der sich in der Offensive befindet,
wobei indeß nicht übersehen werden darf, daß auf ebendiese Maßnahmen auch
wiederum das influirt, was der Angriff von der Vertheidigung gewärtigen zu
müssen glaubt.

Allenthalben, wo Mächte im Kriege widereinander begriffen sind, haben
beide Parteien selbstredend das lebhafteste Interesse, den Schauplatz auf das
Gebiet des respectiven Gegners zu verlegen. Der Angriff will dies direct,
indem er über die feindliche Grenze schreitet; die Vertheidigung aber will es
ebenfalls, nur nicht auf unmittelbarem Wege, sondern indem sie bemüht ist,
durch einen vorherigen ausreichenden Rückgang Kraft, Gelegenheit und die
Gunst der Umstände behufs eines offensiven Rückschlages zu gewinnen, von
dem sie erwartet, daß er bis tief in das Gebiet der feindlichen Macht hinein¬
reichen werde. Wäre dies nicht der Fall, d. h. begönne der in der Defensive
befindliche Staat den Krieg nicht mindestens mit dem Schein einer solchen
Hoffnung, so würde er unter allen Umständen besser thun, sich den Be¬
dingungen zu fügen, deren Nichtannahme den Krieg herbeiführte; denn von
der Grenze auf das Innere seiner Länder zurückgeworfen und ohne die Fähigkeit,
das Verlorne zurückzugewinnen, wird er nur um so härtere Verpflichtungen ein¬
zugehen haben.

Auf den hier vorliegenden Fall angewendet heißt dies: Rußland befindet
sich gegenüber von Europa und im Besonderen von Oestreich, wenn der
Krieg zwischen dieser Macht und ihm erklärt sein wird, in der Defensive, weil
eS voraussichtlich nicht Kräfte genug besitzt, um seinerseits zum Angriff zu
schreiten; aber dabei hält es an der Hoffnung fest und macht dieselbe zur Basis
und Richtschnur seiner Maßregeln: vermöge der Annäherung an seine Hilfs¬
mittel, welche ihm der Rückgang ins'Innere gestattet und der Abziehung des
Feindes von den seinigen, dann auch infolge der Wechselfälle des Krieges,
zuletzt auf die Offensive zurückzukommen, und, indem es dieselbe bis in
das Herz seines Gegners trägt, den Krieg zu Gunsten seiner Interessen
zu heutigen. Hätte es diese Hoffnung nicht, so würde es, unter welcher
Form es auch immer sei, den ihm zugemutheten Bedingungen sich gefügt
haben.

Oestreich seinerseits hat zunächst diesen möglichen Ausgang, bei Ordnung
der dem Kriege zu gebenden Anlage ins Auge zu fassen und zwar wird es
sich dabei die Frage vorzulegen haben: aus welcher Richtung ein möglicher
Rückschlag am gefährlichsten und entscheidendsten zu treffen vermöchte. Daß


Nach Besprechung dieser allgemeinen Verhältnisse, von denen ich hoffe,
daß sie durch das Vorhergehende in ein ausreichend klares Licht gesetzt worden
sind, ist es an der Zeit, die Grundzüge der Operationen selbst in Erwägung
zu ziehen. In erster Instanz hängen dieselben stets von den Maßnahmen
desjenigen kriegführenden Theiles ab, der sich in der Offensive befindet,
wobei indeß nicht übersehen werden darf, daß auf ebendiese Maßnahmen auch
wiederum das influirt, was der Angriff von der Vertheidigung gewärtigen zu
müssen glaubt.

Allenthalben, wo Mächte im Kriege widereinander begriffen sind, haben
beide Parteien selbstredend das lebhafteste Interesse, den Schauplatz auf das
Gebiet des respectiven Gegners zu verlegen. Der Angriff will dies direct,
indem er über die feindliche Grenze schreitet; die Vertheidigung aber will es
ebenfalls, nur nicht auf unmittelbarem Wege, sondern indem sie bemüht ist,
durch einen vorherigen ausreichenden Rückgang Kraft, Gelegenheit und die
Gunst der Umstände behufs eines offensiven Rückschlages zu gewinnen, von
dem sie erwartet, daß er bis tief in das Gebiet der feindlichen Macht hinein¬
reichen werde. Wäre dies nicht der Fall, d. h. begönne der in der Defensive
befindliche Staat den Krieg nicht mindestens mit dem Schein einer solchen
Hoffnung, so würde er unter allen Umständen besser thun, sich den Be¬
dingungen zu fügen, deren Nichtannahme den Krieg herbeiführte; denn von
der Grenze auf das Innere seiner Länder zurückgeworfen und ohne die Fähigkeit,
das Verlorne zurückzugewinnen, wird er nur um so härtere Verpflichtungen ein¬
zugehen haben.

Auf den hier vorliegenden Fall angewendet heißt dies: Rußland befindet
sich gegenüber von Europa und im Besonderen von Oestreich, wenn der
Krieg zwischen dieser Macht und ihm erklärt sein wird, in der Defensive, weil
eS voraussichtlich nicht Kräfte genug besitzt, um seinerseits zum Angriff zu
schreiten; aber dabei hält es an der Hoffnung fest und macht dieselbe zur Basis
und Richtschnur seiner Maßregeln: vermöge der Annäherung an seine Hilfs¬
mittel, welche ihm der Rückgang ins'Innere gestattet und der Abziehung des
Feindes von den seinigen, dann auch infolge der Wechselfälle des Krieges,
zuletzt auf die Offensive zurückzukommen, und, indem es dieselbe bis in
das Herz seines Gegners trägt, den Krieg zu Gunsten seiner Interessen
zu heutigen. Hätte es diese Hoffnung nicht, so würde es, unter welcher
Form es auch immer sei, den ihm zugemutheten Bedingungen sich gefügt
haben.

Oestreich seinerseits hat zunächst diesen möglichen Ausgang, bei Ordnung
der dem Kriege zu gebenden Anlage ins Auge zu fassen und zwar wird es
sich dabei die Frage vorzulegen haben: aus welcher Richtung ein möglicher
Rückschlag am gefährlichsten und entscheidendsten zu treffen vermöchte. Daß


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[0312] Nach Besprechung dieser allgemeinen Verhältnisse, von denen ich hoffe, daß sie durch das Vorhergehende in ein ausreichend klares Licht gesetzt worden sind, ist es an der Zeit, die Grundzüge der Operationen selbst in Erwägung zu ziehen. In erster Instanz hängen dieselben stets von den Maßnahmen desjenigen kriegführenden Theiles ab, der sich in der Offensive befindet, wobei indeß nicht übersehen werden darf, daß auf ebendiese Maßnahmen auch wiederum das influirt, was der Angriff von der Vertheidigung gewärtigen zu müssen glaubt. Allenthalben, wo Mächte im Kriege widereinander begriffen sind, haben beide Parteien selbstredend das lebhafteste Interesse, den Schauplatz auf das Gebiet des respectiven Gegners zu verlegen. Der Angriff will dies direct, indem er über die feindliche Grenze schreitet; die Vertheidigung aber will es ebenfalls, nur nicht auf unmittelbarem Wege, sondern indem sie bemüht ist, durch einen vorherigen ausreichenden Rückgang Kraft, Gelegenheit und die Gunst der Umstände behufs eines offensiven Rückschlages zu gewinnen, von dem sie erwartet, daß er bis tief in das Gebiet der feindlichen Macht hinein¬ reichen werde. Wäre dies nicht der Fall, d. h. begönne der in der Defensive befindliche Staat den Krieg nicht mindestens mit dem Schein einer solchen Hoffnung, so würde er unter allen Umständen besser thun, sich den Be¬ dingungen zu fügen, deren Nichtannahme den Krieg herbeiführte; denn von der Grenze auf das Innere seiner Länder zurückgeworfen und ohne die Fähigkeit, das Verlorne zurückzugewinnen, wird er nur um so härtere Verpflichtungen ein¬ zugehen haben. Auf den hier vorliegenden Fall angewendet heißt dies: Rußland befindet sich gegenüber von Europa und im Besonderen von Oestreich, wenn der Krieg zwischen dieser Macht und ihm erklärt sein wird, in der Defensive, weil eS voraussichtlich nicht Kräfte genug besitzt, um seinerseits zum Angriff zu schreiten; aber dabei hält es an der Hoffnung fest und macht dieselbe zur Basis und Richtschnur seiner Maßregeln: vermöge der Annäherung an seine Hilfs¬ mittel, welche ihm der Rückgang ins'Innere gestattet und der Abziehung des Feindes von den seinigen, dann auch infolge der Wechselfälle des Krieges, zuletzt auf die Offensive zurückzukommen, und, indem es dieselbe bis in das Herz seines Gegners trägt, den Krieg zu Gunsten seiner Interessen zu heutigen. Hätte es diese Hoffnung nicht, so würde es, unter welcher Form es auch immer sei, den ihm zugemutheten Bedingungen sich gefügt haben. Oestreich seinerseits hat zunächst diesen möglichen Ausgang, bei Ordnung der dem Kriege zu gebenden Anlage ins Auge zu fassen und zwar wird es sich dabei die Frage vorzulegen haben: aus welcher Richtung ein möglicher Rückschlag am gefährlichsten und entscheidendsten zu treffen vermöchte. Daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/312>, abgerufen am 22.07.2024.