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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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immer ein Paria, den alle zehn Schritte eine Schildwache mit ganz besonderm
Vorwurfstone ihr Pascholl oder Bonn zudonnert. Freilich müssen alle Reisende,
die über den finnischen Meerbusen nach Petersburg kommen, im Hafen
von Kronstäbe anlanden, ehe ihnen der Zutritt zur Kaiserrestdenz gestattet
wird. Aber ihr Bewegungsraum ist eng bemessen, ihre kurzen Wege sind
auf das genauste bestimmt und vorgeschrieben. Vom Schiff die Stufen des
Hafens hinaus, unmittelbar in das Zoll-, Paß- und Untersuchungsbureau;
und wenn dort in längerer oder kürzerer Zeit die Ankunftsgeschäfte abgethan
sind, zurück ins harrende Localbot, das nach Petersburg hineindampft. Damit
sind die Kronstädter Erfahrungen abgeschlossen. Zwischen den düstern Geschütz-
luckeu der Etagen in granitnen Quaderbauten ist der Reisende durchgefahren, ein
kahles, flaches Uferland, wieder in einen Granitgürtel gefaßt, hat er ge¬
sehen. Einen viereckigen Hafenplatz, von der steinernen Eintönigkeit russischer
Kronbauten umstellt, hat er flüchtig durchschreiten dürfen; und nun, ehe er
hineinsegelt in die allmälig sich verengende Newamündung, strahlt über dem
Qualm und Nebel , welcher das Häusermeer der Residenz Merschleiert, die
goldumhüllte Kuppel der Jsaakskathedrale wie des unermeßlichen Reiches eigne
Sonne ihm entgegen. Während allmälig die Wunder der Newapracht an
beiden Säumen des Wasserwegs aus dem Nebeldufte auftauchen, hat ers
unvermerkt bereits vergessen, daß Kronstäbe hinter ihm liegt, von dem er
nichts sah.

Machen wir den entgegengesetzten Weg. -- Der Petersburger Stadtpracht
gewohnt, werfen wir kaum einen flüchtigen Blick auf die langgestreckten Palast¬
reihen hinter den wunderbar kolossalen Granitbalustraden, mit denen der Kaiser¬
befehl die Newafluten in ihrem Bett gefesselt hält. Am englischen Kai besteigen
wir früh um neun Uhr oder Nachmittag um fünf Uhr einen der schlanken Steamer,
die zwischen Petersburg und Kronstäbe hin- und wiederschießen. Die marmorne
Jsaakskathedrale mit dem goldnen Haupt, die Akademie der Wissenschaften, die
neue Admiralität, die gigantischen Bogen der steinernen Brücke, die Paläste
der Cadettenschulen, die Bergakademie, die Beardsche Maschinenfabrik mit
ihren glühenden Hochöfen und weitgestreckten Docks, die Kasernen der finn-
ländischen Garde, dann lockende Landhäuser in südlich anzuschauenden
Gärten -- all diese wunderbaren Wandelbilder weichen hinter uns zurück,
während das Dampfboot aus dem zerfaserten Newaliman in Schlangenlinien
und Zickzack zwischen Sandbänken, Tonnen, Boien, Baker und Flaggen sich
hinaushastet in den Beginn des finnischen Meeres.

Endlich versinkt zur Rechten und Linken das Uferland bis auf feine blaue
Streifen im Wellenhorizonte. Rechts, das ist nordostwärts, bedeutets Wälder,
Ufermvrräste, flache Seen, kaum bewohnte Wüsteneien des finnischen Strandes
dicht vor einer Hauptstadt, deren Ukase in drei Welttheilen Geltung haben.
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immer ein Paria, den alle zehn Schritte eine Schildwache mit ganz besonderm
Vorwurfstone ihr Pascholl oder Bonn zudonnert. Freilich müssen alle Reisende,
die über den finnischen Meerbusen nach Petersburg kommen, im Hafen
von Kronstäbe anlanden, ehe ihnen der Zutritt zur Kaiserrestdenz gestattet
wird. Aber ihr Bewegungsraum ist eng bemessen, ihre kurzen Wege sind
auf das genauste bestimmt und vorgeschrieben. Vom Schiff die Stufen des
Hafens hinaus, unmittelbar in das Zoll-, Paß- und Untersuchungsbureau;
und wenn dort in längerer oder kürzerer Zeit die Ankunftsgeschäfte abgethan
sind, zurück ins harrende Localbot, das nach Petersburg hineindampft. Damit
sind die Kronstädter Erfahrungen abgeschlossen. Zwischen den düstern Geschütz-
luckeu der Etagen in granitnen Quaderbauten ist der Reisende durchgefahren, ein
kahles, flaches Uferland, wieder in einen Granitgürtel gefaßt, hat er ge¬
sehen. Einen viereckigen Hafenplatz, von der steinernen Eintönigkeit russischer
Kronbauten umstellt, hat er flüchtig durchschreiten dürfen; und nun, ehe er
hineinsegelt in die allmälig sich verengende Newamündung, strahlt über dem
Qualm und Nebel , welcher das Häusermeer der Residenz Merschleiert, die
goldumhüllte Kuppel der Jsaakskathedrale wie des unermeßlichen Reiches eigne
Sonne ihm entgegen. Während allmälig die Wunder der Newapracht an
beiden Säumen des Wasserwegs aus dem Nebeldufte auftauchen, hat ers
unvermerkt bereits vergessen, daß Kronstäbe hinter ihm liegt, von dem er
nichts sah.

Machen wir den entgegengesetzten Weg. — Der Petersburger Stadtpracht
gewohnt, werfen wir kaum einen flüchtigen Blick auf die langgestreckten Palast¬
reihen hinter den wunderbar kolossalen Granitbalustraden, mit denen der Kaiser¬
befehl die Newafluten in ihrem Bett gefesselt hält. Am englischen Kai besteigen
wir früh um neun Uhr oder Nachmittag um fünf Uhr einen der schlanken Steamer,
die zwischen Petersburg und Kronstäbe hin- und wiederschießen. Die marmorne
Jsaakskathedrale mit dem goldnen Haupt, die Akademie der Wissenschaften, die
neue Admiralität, die gigantischen Bogen der steinernen Brücke, die Paläste
der Cadettenschulen, die Bergakademie, die Beardsche Maschinenfabrik mit
ihren glühenden Hochöfen und weitgestreckten Docks, die Kasernen der finn-
ländischen Garde, dann lockende Landhäuser in südlich anzuschauenden
Gärten — all diese wunderbaren Wandelbilder weichen hinter uns zurück,
während das Dampfboot aus dem zerfaserten Newaliman in Schlangenlinien
und Zickzack zwischen Sandbänken, Tonnen, Boien, Baker und Flaggen sich
hinaushastet in den Beginn des finnischen Meeres.

Endlich versinkt zur Rechten und Linken das Uferland bis auf feine blaue
Streifen im Wellenhorizonte. Rechts, das ist nordostwärts, bedeutets Wälder,
Ufermvrräste, flache Seen, kaum bewohnte Wüsteneien des finnischen Strandes
dicht vor einer Hauptstadt, deren Ukase in drei Welttheilen Geltung haben.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/251>, abgerufen am 01.10.2024.