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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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unabweisbaren Nothwendigkeit gewordene militärisch-politische Arbeit, nach
einem einzigen, höchstens nach zwei Feldzügen dem Zaren aufgezwungen
werden könnte.

Ich komme hiernächst auf die Besprechung der oben angeregten Frage
zurück, ob Oestreich die von Preußen freigelassene Lücke in der Angriffsfront
allein auszufüllen haben wird, oder ob die Westmächte ihre Anstrengungen
dabei mit den seinigen vereinigen werden. Da ich keine diplomatischen Ver¬
bindungen habe, vermöge welcher ich in das Geheimniß der über diesen hoch¬
wichtigen Punkt ohne Zweifel schon zwischen den Cabineten von Wien, London
und Paris getroffenen Verabredungen einzudringen vermöchte, auch schwerlich
darüber etwas früher verlauten wird, bevor die in Wirksamkeit tretenden mili¬
tärischen Maßregeln selbst es verkündigen, so bin ich lediglich auf die Schlu߬
folgerungen hingewiesen, welche die Sachlage an sich und die Logik der Krieg¬
führung an die Hand geben. Ohne Frage können die gedachten Regierungen,
sofern sie rationell handeln, sich weder von jener noch von dieser losmachen,
und beide sind insofern eine gemeinsame Basis, auf welcher nicht minder die
Entschlüsse der Mächte als meine hier näher zu entwickelnden Vermuthungen
zu fußen haben.

Bei Feststellung der Sachlage ist es von höchster Bedeutung, über einen
Punkt, die zu erwartende Haltung Preußens während des Kampfes, vollkom¬
men im Klaren zu sein, das heißt soviel als: diese Haltung ist ein wesentliches
Bedingniß für die in Frage kommenden Verhältnisse, welche nicht firirt werden
können, wenn jene selbst nicht als fest anzunehmen ist. Die Nichttheilnahme
der norddeutschen Großmacht an dem Offensivbündniß wider Rußland läßt
Raum für eine Anzahl von Möglichkeiten, welche erst durch einen besonderen
Vertrag zwischen den Wcstmächten und Oestreich einerseits und Preußen anderer¬
seits beschränkt, und auf eine unverschiebbare Grundlage zurückgeführt werden
könnten. Preußen vermag einmal, sofern es die Contrahenten des December¬
vertrags gestatten wollen, diesem beizutreten, mit Ausschluß der Uebernahme
derjenigen Verpflichtungen, welche es zum activen Vorgehen gegen das Zaren¬
reich zwingen würden. Der Gegensatz davon wäre, wenn das Cabinet von
Berlin eine Schutz- und Trutzallianz mit Rußland abschlösse, in welchem Falle
es gegen die alliirten Mächte als kriegführender Staat auftreten würde. Es
darf wohl behauptet werden, daß dieser letztere Fall unmöglich ist. Aber es
genügt keineswegs, hiervon die Ueberzeugung zu gewinnen: es ist auch noth¬
wendig, sich zu vergewissern, ob Preußen sür jedwede Chance des zu erwar¬
tenden europäischen Kampfes seine Neutralität bewahren wird. In dieser
Hinsicht sind zweierlei Chancen der Erwägung zu unterziehen: die einer unglück¬
lichen Kriegführung der Verbündeten, in deren Folge (ich greife hier absichtlich
das Ertrem heraus) Nußland nicht nur nicht zum Frieden gedrängt, sondern


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unabweisbaren Nothwendigkeit gewordene militärisch-politische Arbeit, nach
einem einzigen, höchstens nach zwei Feldzügen dem Zaren aufgezwungen
werden könnte.

Ich komme hiernächst auf die Besprechung der oben angeregten Frage
zurück, ob Oestreich die von Preußen freigelassene Lücke in der Angriffsfront
allein auszufüllen haben wird, oder ob die Westmächte ihre Anstrengungen
dabei mit den seinigen vereinigen werden. Da ich keine diplomatischen Ver¬
bindungen habe, vermöge welcher ich in das Geheimniß der über diesen hoch¬
wichtigen Punkt ohne Zweifel schon zwischen den Cabineten von Wien, London
und Paris getroffenen Verabredungen einzudringen vermöchte, auch schwerlich
darüber etwas früher verlauten wird, bevor die in Wirksamkeit tretenden mili¬
tärischen Maßregeln selbst es verkündigen, so bin ich lediglich auf die Schlu߬
folgerungen hingewiesen, welche die Sachlage an sich und die Logik der Krieg¬
führung an die Hand geben. Ohne Frage können die gedachten Regierungen,
sofern sie rationell handeln, sich weder von jener noch von dieser losmachen,
und beide sind insofern eine gemeinsame Basis, auf welcher nicht minder die
Entschlüsse der Mächte als meine hier näher zu entwickelnden Vermuthungen
zu fußen haben.

Bei Feststellung der Sachlage ist es von höchster Bedeutung, über einen
Punkt, die zu erwartende Haltung Preußens während des Kampfes, vollkom¬
men im Klaren zu sein, das heißt soviel als: diese Haltung ist ein wesentliches
Bedingniß für die in Frage kommenden Verhältnisse, welche nicht firirt werden
können, wenn jene selbst nicht als fest anzunehmen ist. Die Nichttheilnahme
der norddeutschen Großmacht an dem Offensivbündniß wider Rußland läßt
Raum für eine Anzahl von Möglichkeiten, welche erst durch einen besonderen
Vertrag zwischen den Wcstmächten und Oestreich einerseits und Preußen anderer¬
seits beschränkt, und auf eine unverschiebbare Grundlage zurückgeführt werden
könnten. Preußen vermag einmal, sofern es die Contrahenten des December¬
vertrags gestatten wollen, diesem beizutreten, mit Ausschluß der Uebernahme
derjenigen Verpflichtungen, welche es zum activen Vorgehen gegen das Zaren¬
reich zwingen würden. Der Gegensatz davon wäre, wenn das Cabinet von
Berlin eine Schutz- und Trutzallianz mit Rußland abschlösse, in welchem Falle
es gegen die alliirten Mächte als kriegführender Staat auftreten würde. Es
darf wohl behauptet werden, daß dieser letztere Fall unmöglich ist. Aber es
genügt keineswegs, hiervon die Ueberzeugung zu gewinnen: es ist auch noth¬
wendig, sich zu vergewissern, ob Preußen sür jedwede Chance des zu erwar¬
tenden europäischen Kampfes seine Neutralität bewahren wird. In dieser
Hinsicht sind zweierlei Chancen der Erwägung zu unterziehen: die einer unglück¬
lichen Kriegführung der Verbündeten, in deren Folge (ich greife hier absichtlich
das Ertrem heraus) Nußland nicht nur nicht zum Frieden gedrängt, sondern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/187>, abgerufen am 01.10.2024.