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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Ordenstracht hier einst ihren Meister umstanden. Besonders zeichnet dieser Saal
sich durch seine breiten lichten Fenster voll prachtvoller Glasmalerei aus, die
nebeneinander auf drei Seiten eine unermeßliche Aussicht über die Nogat ins
lachende Werdermarschland eröffnen. Daß es in diesem Reuter froh zugegangen,
das zeigt uns die Schenkbank aus Marmor dort in der Wand. Und nach
alten Berichten war dieser Saal mit Kron- und Wandleuchtern versehen. Man
denke ihn sich also erleuchtet; Gewölbe, Gurte und Glasmalerei im Wieder¬
scheine der Kerzen, wie lebendig ineinander rankend, und von draußen den
Saal gesehen, fast lauter Fenster; bei dunkler Nacht wie eine Leuchte über dem
stillen Lande! -- Die jetzigen Glasmalereien der Fenster, aus der Geschichte
des Ordens genommen, sind sämmtlich von den Mitgliedern des königlichen
Hauses geschenkt worden. Das Fenster deS jetzigen Königs ist für die Rich¬
tung des damalige." Kronprinzen charakteristisch. Der Hochmeister empfängt
aus des deutschen Kaisers Hand den schwarzen Adler, in sein Wappen, während
letzterer mit dem Doppeladler geschmückt ist.

Aber auch der 110 Fuß lange Conventsremter mir seinen zartweißen,
luftigen Sterngewölben auf drei schlanken Granitpfeilern ruhend, bietet einen
Aufenthalt von unbeschreiblich milder Heiterkeit dar, zumal wenn die Abend¬
sonne die bunten Schildereien der acht hohen Spitzbogenfenster bespiegelt und
den farbigen Fliesenteppich mit phantastischen Blumen bestreut. Die ge¬
waltige Decke dreimal in kelchförmigen Wölbungen mit den Pfeilern zusam¬
menwachsend verwandelt die schlanken Steinstützen in majestätische Palmbäume,
die ihre Aeste in elastischer Biegung gen Himmel strecken und sanft zur
Erde wieder zurückneigen, oder in kolossale Lilienkelche, von Meisterhand aus
Stein geformt. Himmel und Erde erscheinen auch hier harmonisch vereint.
Es dürfte nicht zu viel gesagt sein, wenn mau behauptet, die gesammte gothi¬
sche Baukunst habe unter ihren Tausenden edler Bildungen kein Gewölbe her¬
vorgebracht, welches an Leichtigkeit wie Eleganz und schönem Verhältniß
der Stützen zum Gestützten diesem Meisterwerke der Kunst gleichkomme. Alle
frühern Gewölbeconstructionen scheinen nur Vorbereitungen zu diesem Triumphe;
alle spätern ein Hinabsteigen vom Gipfel. "Mir ist in keinem Lande," sagt
auch der erfahrene von Ouast, ,,ein andres Gewölbe vorgekommen, welches
diesem gleich drei Fontänen über den zarten Granitstützen emporsteigenden
Strahlengewölbe gleichkäme." Diese Halle umschloß keine gewöhnliche Gesell¬
schaft. Hier sah man die Gestalten der Ritter in lebhaftem Gespräche miteinander
dahinschreiten. Dort saßen andre, den Kopf in die Hand gestützt, einander
gegenüber am Schachbrete; andre Ritter umstanden einen eben angekommenen
fremden Bruder, her neue Mähren aus dem Reiche brachte und mancher saß
wol auch einsam auf der Steinbank am Fenster und träumte, über den Strom
in die weite Landschaft blickend, sich in Gedanken in die ferne Heimat hinein.


Ordenstracht hier einst ihren Meister umstanden. Besonders zeichnet dieser Saal
sich durch seine breiten lichten Fenster voll prachtvoller Glasmalerei aus, die
nebeneinander auf drei Seiten eine unermeßliche Aussicht über die Nogat ins
lachende Werdermarschland eröffnen. Daß es in diesem Reuter froh zugegangen,
das zeigt uns die Schenkbank aus Marmor dort in der Wand. Und nach
alten Berichten war dieser Saal mit Kron- und Wandleuchtern versehen. Man
denke ihn sich also erleuchtet; Gewölbe, Gurte und Glasmalerei im Wieder¬
scheine der Kerzen, wie lebendig ineinander rankend, und von draußen den
Saal gesehen, fast lauter Fenster; bei dunkler Nacht wie eine Leuchte über dem
stillen Lande! — Die jetzigen Glasmalereien der Fenster, aus der Geschichte
des Ordens genommen, sind sämmtlich von den Mitgliedern des königlichen
Hauses geschenkt worden. Das Fenster deS jetzigen Königs ist für die Rich¬
tung des damalige.« Kronprinzen charakteristisch. Der Hochmeister empfängt
aus des deutschen Kaisers Hand den schwarzen Adler, in sein Wappen, während
letzterer mit dem Doppeladler geschmückt ist.

Aber auch der 110 Fuß lange Conventsremter mir seinen zartweißen,
luftigen Sterngewölben auf drei schlanken Granitpfeilern ruhend, bietet einen
Aufenthalt von unbeschreiblich milder Heiterkeit dar, zumal wenn die Abend¬
sonne die bunten Schildereien der acht hohen Spitzbogenfenster bespiegelt und
den farbigen Fliesenteppich mit phantastischen Blumen bestreut. Die ge¬
waltige Decke dreimal in kelchförmigen Wölbungen mit den Pfeilern zusam¬
menwachsend verwandelt die schlanken Steinstützen in majestätische Palmbäume,
die ihre Aeste in elastischer Biegung gen Himmel strecken und sanft zur
Erde wieder zurückneigen, oder in kolossale Lilienkelche, von Meisterhand aus
Stein geformt. Himmel und Erde erscheinen auch hier harmonisch vereint.
Es dürfte nicht zu viel gesagt sein, wenn mau behauptet, die gesammte gothi¬
sche Baukunst habe unter ihren Tausenden edler Bildungen kein Gewölbe her¬
vorgebracht, welches an Leichtigkeit wie Eleganz und schönem Verhältniß
der Stützen zum Gestützten diesem Meisterwerke der Kunst gleichkomme. Alle
frühern Gewölbeconstructionen scheinen nur Vorbereitungen zu diesem Triumphe;
alle spätern ein Hinabsteigen vom Gipfel. „Mir ist in keinem Lande," sagt
auch der erfahrene von Ouast, ,,ein andres Gewölbe vorgekommen, welches
diesem gleich drei Fontänen über den zarten Granitstützen emporsteigenden
Strahlengewölbe gleichkäme." Diese Halle umschloß keine gewöhnliche Gesell¬
schaft. Hier sah man die Gestalten der Ritter in lebhaftem Gespräche miteinander
dahinschreiten. Dort saßen andre, den Kopf in die Hand gestützt, einander
gegenüber am Schachbrete; andre Ritter umstanden einen eben angekommenen
fremden Bruder, her neue Mähren aus dem Reiche brachte und mancher saß
wol auch einsam auf der Steinbank am Fenster und träumte, über den Strom
in die weite Landschaft blickend, sich in Gedanken in die ferne Heimat hinein.


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[0175] Ordenstracht hier einst ihren Meister umstanden. Besonders zeichnet dieser Saal sich durch seine breiten lichten Fenster voll prachtvoller Glasmalerei aus, die nebeneinander auf drei Seiten eine unermeßliche Aussicht über die Nogat ins lachende Werdermarschland eröffnen. Daß es in diesem Reuter froh zugegangen, das zeigt uns die Schenkbank aus Marmor dort in der Wand. Und nach alten Berichten war dieser Saal mit Kron- und Wandleuchtern versehen. Man denke ihn sich also erleuchtet; Gewölbe, Gurte und Glasmalerei im Wieder¬ scheine der Kerzen, wie lebendig ineinander rankend, und von draußen den Saal gesehen, fast lauter Fenster; bei dunkler Nacht wie eine Leuchte über dem stillen Lande! — Die jetzigen Glasmalereien der Fenster, aus der Geschichte des Ordens genommen, sind sämmtlich von den Mitgliedern des königlichen Hauses geschenkt worden. Das Fenster deS jetzigen Königs ist für die Rich¬ tung des damalige.« Kronprinzen charakteristisch. Der Hochmeister empfängt aus des deutschen Kaisers Hand den schwarzen Adler, in sein Wappen, während letzterer mit dem Doppeladler geschmückt ist. Aber auch der 110 Fuß lange Conventsremter mir seinen zartweißen, luftigen Sterngewölben auf drei schlanken Granitpfeilern ruhend, bietet einen Aufenthalt von unbeschreiblich milder Heiterkeit dar, zumal wenn die Abend¬ sonne die bunten Schildereien der acht hohen Spitzbogenfenster bespiegelt und den farbigen Fliesenteppich mit phantastischen Blumen bestreut. Die ge¬ waltige Decke dreimal in kelchförmigen Wölbungen mit den Pfeilern zusam¬ menwachsend verwandelt die schlanken Steinstützen in majestätische Palmbäume, die ihre Aeste in elastischer Biegung gen Himmel strecken und sanft zur Erde wieder zurückneigen, oder in kolossale Lilienkelche, von Meisterhand aus Stein geformt. Himmel und Erde erscheinen auch hier harmonisch vereint. Es dürfte nicht zu viel gesagt sein, wenn mau behauptet, die gesammte gothi¬ sche Baukunst habe unter ihren Tausenden edler Bildungen kein Gewölbe her¬ vorgebracht, welches an Leichtigkeit wie Eleganz und schönem Verhältniß der Stützen zum Gestützten diesem Meisterwerke der Kunst gleichkomme. Alle frühern Gewölbeconstructionen scheinen nur Vorbereitungen zu diesem Triumphe; alle spätern ein Hinabsteigen vom Gipfel. „Mir ist in keinem Lande," sagt auch der erfahrene von Ouast, ,,ein andres Gewölbe vorgekommen, welches diesem gleich drei Fontänen über den zarten Granitstützen emporsteigenden Strahlengewölbe gleichkäme." Diese Halle umschloß keine gewöhnliche Gesell¬ schaft. Hier sah man die Gestalten der Ritter in lebhaftem Gespräche miteinander dahinschreiten. Dort saßen andre, den Kopf in die Hand gestützt, einander gegenüber am Schachbrete; andre Ritter umstanden einen eben angekommenen fremden Bruder, her neue Mähren aus dem Reiche brachte und mancher saß wol auch einsam auf der Steinbank am Fenster und träumte, über den Strom in die weite Landschaft blickend, sich in Gedanken in die ferne Heimat hinein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/175>, abgerufen am 03.07.2024.