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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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bürg kommend, der Burg seinen Besuch abstattete. Freilich konnte das große
Ganze nicht mehr in seinem ganzen Umfange hergestellt werden. Die mehrfach
ausgemauerten Graben, die gewaltigen Wehrmauern und Thürme von mannig¬
facher Form und Größe, die einst in furchtbar schützender Pracht die Beste um¬
gaben, zeugen größtentheils nur in ihren Trümmern noch von der ursprünglichen
Größe und Unbezwingbarkeit dieser weitläufigen Festungswerke. Das Hochschloß
wurde 1801--3 in ein plumpes Magazin verunstaltet und die eingeschlagenen
Prachtgewölbe und zertrümmerten Thürme und Arkaden konnten neuerdings nicht
wiederhergestellt werden; dennoch erregen die kolossalen Mauern und die ge¬
ringen Ueberbleibsel der alten Verzierung noch immer unsre Bewundrung, auch
die alte Schloßkirche erhebt das Gemüth des Beschauers. Die Pracht und
Kunst, die in den beiden andern Flügeln des Mittelschlosses geherrscht und den
Fremden ergötzt hat, ist wie gesagt ein Raub vernichtender Zeiten geworden,
selbst die alte "Vorburg", welche bis zum Butlermilchthurm sich hinzog, hat
moderneren Gebäuden und der Anlage zur Nogateisenbahnbrücke Platz machen
müssen. Nur die Prachtgemächer der Hvchmeisterwohnung und der Convents-
remter konnten erhalten und restaurirt werden; aber auch in diesem kleinen
Theile des großen Ganzen offenbart sich der Kunstsinn des Ordens und die
Erhabenheit seiner Baukunst. Ein eigenthümlicher Geist lebt in dem Bau.
In den deutschen Domen sehen wir die Kirche allein in einer großartigen
Idee verkörpert. Hier in der Marienburg ist Religion und Heldenleben des
Mittelalters in ein großes Gemälde gebracht. Wie der Ritter, der deS Ordens
Glied war, Kreuz und Schwert trug, so ist in diesem Ordenshause auch über¬
all eine Vereinigung deS Heiligen mit dem Weltlichen sichtbar. Das Haus
war Burg, eine Landeswehr gegen Feindesgewalt, und gleichzeitig Palast
des Fürsten; es war aber auch Kirche mit geheiligter Stätte, denn außer Meisters
stiller Kapelle im Mittelschloß gab es der Kapellen noch zwei in der Vorburg
und noch heute befindet sich im "hohen" Schlosse d,le Schloßkirche mit der
Annenkapelle und dem kolossalen Marienbilde aus Mosaik; es ist als die einzige Ur¬
kunde deutschen Geschmacks bei Vereinbarung von fürstlicher Prachtwohnung
mit kirchlichen und Vertheidigungszwecken zu betrachten und müßte als ein
volksthümliches Angehör angesehen werden, soweit die deutsche Zunge reicht
und das gesammte deutsche Volk sollte sich stolz dünken, in den Besitz desselben
gekommen zu sein.

Gehen wir auf Einzelnes ein, so zeichnen sich vorzüglich folgende Schlo߬
theile ihrer architektonischen Originalität wegen aus: der "obere Gang",
der zu "Meisters großem Reuter" fuhrt. Auch bei diesem wunder¬
vollem Reuter muß ich mich kurz fassen. Seine lichten Sterngewölbe ruhen
in der Mitte kühn nur auf einem Granitpfeiler und scheinen in schönster Sym¬
metrie um diesen herumgestellt den Kreis der Männer nachzubilden, die in


bürg kommend, der Burg seinen Besuch abstattete. Freilich konnte das große
Ganze nicht mehr in seinem ganzen Umfange hergestellt werden. Die mehrfach
ausgemauerten Graben, die gewaltigen Wehrmauern und Thürme von mannig¬
facher Form und Größe, die einst in furchtbar schützender Pracht die Beste um¬
gaben, zeugen größtentheils nur in ihren Trümmern noch von der ursprünglichen
Größe und Unbezwingbarkeit dieser weitläufigen Festungswerke. Das Hochschloß
wurde 1801—3 in ein plumpes Magazin verunstaltet und die eingeschlagenen
Prachtgewölbe und zertrümmerten Thürme und Arkaden konnten neuerdings nicht
wiederhergestellt werden; dennoch erregen die kolossalen Mauern und die ge¬
ringen Ueberbleibsel der alten Verzierung noch immer unsre Bewundrung, auch
die alte Schloßkirche erhebt das Gemüth des Beschauers. Die Pracht und
Kunst, die in den beiden andern Flügeln des Mittelschlosses geherrscht und den
Fremden ergötzt hat, ist wie gesagt ein Raub vernichtender Zeiten geworden,
selbst die alte „Vorburg", welche bis zum Butlermilchthurm sich hinzog, hat
moderneren Gebäuden und der Anlage zur Nogateisenbahnbrücke Platz machen
müssen. Nur die Prachtgemächer der Hvchmeisterwohnung und der Convents-
remter konnten erhalten und restaurirt werden; aber auch in diesem kleinen
Theile des großen Ganzen offenbart sich der Kunstsinn des Ordens und die
Erhabenheit seiner Baukunst. Ein eigenthümlicher Geist lebt in dem Bau.
In den deutschen Domen sehen wir die Kirche allein in einer großartigen
Idee verkörpert. Hier in der Marienburg ist Religion und Heldenleben des
Mittelalters in ein großes Gemälde gebracht. Wie der Ritter, der deS Ordens
Glied war, Kreuz und Schwert trug, so ist in diesem Ordenshause auch über¬
all eine Vereinigung deS Heiligen mit dem Weltlichen sichtbar. Das Haus
war Burg, eine Landeswehr gegen Feindesgewalt, und gleichzeitig Palast
des Fürsten; es war aber auch Kirche mit geheiligter Stätte, denn außer Meisters
stiller Kapelle im Mittelschloß gab es der Kapellen noch zwei in der Vorburg
und noch heute befindet sich im „hohen" Schlosse d,le Schloßkirche mit der
Annenkapelle und dem kolossalen Marienbilde aus Mosaik; es ist als die einzige Ur¬
kunde deutschen Geschmacks bei Vereinbarung von fürstlicher Prachtwohnung
mit kirchlichen und Vertheidigungszwecken zu betrachten und müßte als ein
volksthümliches Angehör angesehen werden, soweit die deutsche Zunge reicht
und das gesammte deutsche Volk sollte sich stolz dünken, in den Besitz desselben
gekommen zu sein.

Gehen wir auf Einzelnes ein, so zeichnen sich vorzüglich folgende Schlo߬
theile ihrer architektonischen Originalität wegen aus: der „obere Gang",
der zu „Meisters großem Reuter" fuhrt. Auch bei diesem wunder¬
vollem Reuter muß ich mich kurz fassen. Seine lichten Sterngewölbe ruhen
in der Mitte kühn nur auf einem Granitpfeiler und scheinen in schönster Sym¬
metrie um diesen herumgestellt den Kreis der Männer nachzubilden, die in


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[0174] bürg kommend, der Burg seinen Besuch abstattete. Freilich konnte das große Ganze nicht mehr in seinem ganzen Umfange hergestellt werden. Die mehrfach ausgemauerten Graben, die gewaltigen Wehrmauern und Thürme von mannig¬ facher Form und Größe, die einst in furchtbar schützender Pracht die Beste um¬ gaben, zeugen größtentheils nur in ihren Trümmern noch von der ursprünglichen Größe und Unbezwingbarkeit dieser weitläufigen Festungswerke. Das Hochschloß wurde 1801—3 in ein plumpes Magazin verunstaltet und die eingeschlagenen Prachtgewölbe und zertrümmerten Thürme und Arkaden konnten neuerdings nicht wiederhergestellt werden; dennoch erregen die kolossalen Mauern und die ge¬ ringen Ueberbleibsel der alten Verzierung noch immer unsre Bewundrung, auch die alte Schloßkirche erhebt das Gemüth des Beschauers. Die Pracht und Kunst, die in den beiden andern Flügeln des Mittelschlosses geherrscht und den Fremden ergötzt hat, ist wie gesagt ein Raub vernichtender Zeiten geworden, selbst die alte „Vorburg", welche bis zum Butlermilchthurm sich hinzog, hat moderneren Gebäuden und der Anlage zur Nogateisenbahnbrücke Platz machen müssen. Nur die Prachtgemächer der Hvchmeisterwohnung und der Convents- remter konnten erhalten und restaurirt werden; aber auch in diesem kleinen Theile des großen Ganzen offenbart sich der Kunstsinn des Ordens und die Erhabenheit seiner Baukunst. Ein eigenthümlicher Geist lebt in dem Bau. In den deutschen Domen sehen wir die Kirche allein in einer großartigen Idee verkörpert. Hier in der Marienburg ist Religion und Heldenleben des Mittelalters in ein großes Gemälde gebracht. Wie der Ritter, der deS Ordens Glied war, Kreuz und Schwert trug, so ist in diesem Ordenshause auch über¬ all eine Vereinigung deS Heiligen mit dem Weltlichen sichtbar. Das Haus war Burg, eine Landeswehr gegen Feindesgewalt, und gleichzeitig Palast des Fürsten; es war aber auch Kirche mit geheiligter Stätte, denn außer Meisters stiller Kapelle im Mittelschloß gab es der Kapellen noch zwei in der Vorburg und noch heute befindet sich im „hohen" Schlosse d,le Schloßkirche mit der Annenkapelle und dem kolossalen Marienbilde aus Mosaik; es ist als die einzige Ur¬ kunde deutschen Geschmacks bei Vereinbarung von fürstlicher Prachtwohnung mit kirchlichen und Vertheidigungszwecken zu betrachten und müßte als ein volksthümliches Angehör angesehen werden, soweit die deutsche Zunge reicht und das gesammte deutsche Volk sollte sich stolz dünken, in den Besitz desselben gekommen zu sein. Gehen wir auf Einzelnes ein, so zeichnen sich vorzüglich folgende Schlo߬ theile ihrer architektonischen Originalität wegen aus: der „obere Gang", der zu „Meisters großem Reuter" fuhrt. Auch bei diesem wunder¬ vollem Reuter muß ich mich kurz fassen. Seine lichten Sterngewölbe ruhen in der Mitte kühn nur auf einem Granitpfeiler und scheinen in schönster Sym¬ metrie um diesen herumgestellt den Kreis der Männer nachzubilden, die in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/174>, abgerufen am 03.07.2024.