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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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wol manche Stunde in drückender Sorge über die Bedrängnisse seines geliebten
Ordenslandes hingebracht haben mochte.

Nicht minder stattlich ist der Anblick, wenn wir von der Zugbrücke des'
trockenen Grabens, der das Hochschloß vom mittleren trennt, die Südseite
des hochmeisterlichen Palastes vor uns haben und den ganzen Bau im
vollen Bilde von seinen untersten Geschossen vier Stockwerke durch bis hinauf
an die hochragenden Zinnen ins Auge fassen; die riesige Kraft des unerschütter¬
lichen MauerwerkK im Fundamente, der Ernst in den Anstalten zur Verthei¬
digung, die heitere Ansprache der Kunst in dem ringsumgewundenen Kranze
der Fenster aus feiner Stuckatur, die Freiheit der schlanken Strebepfeiler im
Endeck des hochmeisterlichen Reuters, die Kühnheit der Zinnenbrüstung und
der Einklang, in welchem alles zueinander steht, -- das ist ein selten großes
Bild, welches der Betrachtung sich hier darbietet! Tief aus dem Boden, von
den mächtigen Kellern, die wie der gebändigte Erdgeist sich unwillig beugend
das Ganze tragen, erhebt sich der kühne Bau, Pfeiler auf Pfeiler und Gewölbe
über Gewölbe durch vier Geschosse wie ein Münster, immer höher, leichter
und lustiger bis in die lichten Sterngewölbe der oberen Prachtgemächer, die
das Ganze mehr überschweben als bedecken.

Aber den großartigsten Eindruck gibt die Nogatseite dieses Schlosses. Man
hat, stolz übereinandergethürmt, die vier Stockwerke im vorspringenden Flügel,
des Meisters fürstliche Wohnung; -- oben im höchsten Geschoß den Prachtsaal,
"Meisters großen Reuter" mit seinen lichten Fenstern voll Glasmalerei; dar¬
über oben die Brustwehr mit dem Zinnenkranze. Die vielen Fenster, welche in
immer neuen Reihen bis zum Erdgeschoß sich hinabsenken, sind durch überaus
zierliche, vorspringende Granitpfeiler voneinander geschieden, und auch unter
den mächtigen Eckbrustwehren oben treten gleiche Pfeiler aus der vollen Masse
hervor; sie gleichen, aus der Entfernung gesehen, feinen weißen Stäben. Die
Steinverzierungen unterhalb der Zinnen hängen wie ein leichter Schleier über
die Fenster hinab. Je -höher der Bau hinaufsteigt, desto größer die Kühn¬
heit, und je höher das Gestein dort oben sich thürmt, desto leichter wird es
mit all seiner ungeheuren Masse. In der That wird man nirgend an einem
weltlichen Bau soviel Größe und Würde, soviel Masse und Kraft vereint mit
Leichtigkeit und Freiheit im kühnsten Aufschwung beisammen finden, als an
diesem Mittelschlosse der Marienburg. Zwar ist dasselbe nur ein kleiner Theil
des großen Ganzen, aber in ihm offenbart sich am meisten der Kunstsinn des Er¬
bauers und eine Erhabenheit deutscher Baukunst, wie sie in Deutschland sonst nur
an Kirchenbauten sichtbar wird. Links von diesem vorspringenden Schloßflügel
schließt sich der untere große "Cvnveutsremter" an, als früherer Speise-und gemein¬
schaftlicher Vergnügungssaal der Ritter. Wir gewahren vor uns eine stattliche
Reihe von acht großen farbigen Fenstern, in schön harmonischer Form zugespitzt,


wol manche Stunde in drückender Sorge über die Bedrängnisse seines geliebten
Ordenslandes hingebracht haben mochte.

Nicht minder stattlich ist der Anblick, wenn wir von der Zugbrücke des'
trockenen Grabens, der das Hochschloß vom mittleren trennt, die Südseite
des hochmeisterlichen Palastes vor uns haben und den ganzen Bau im
vollen Bilde von seinen untersten Geschossen vier Stockwerke durch bis hinauf
an die hochragenden Zinnen ins Auge fassen; die riesige Kraft des unerschütter¬
lichen MauerwerkK im Fundamente, der Ernst in den Anstalten zur Verthei¬
digung, die heitere Ansprache der Kunst in dem ringsumgewundenen Kranze
der Fenster aus feiner Stuckatur, die Freiheit der schlanken Strebepfeiler im
Endeck des hochmeisterlichen Reuters, die Kühnheit der Zinnenbrüstung und
der Einklang, in welchem alles zueinander steht, — das ist ein selten großes
Bild, welches der Betrachtung sich hier darbietet! Tief aus dem Boden, von
den mächtigen Kellern, die wie der gebändigte Erdgeist sich unwillig beugend
das Ganze tragen, erhebt sich der kühne Bau, Pfeiler auf Pfeiler und Gewölbe
über Gewölbe durch vier Geschosse wie ein Münster, immer höher, leichter
und lustiger bis in die lichten Sterngewölbe der oberen Prachtgemächer, die
das Ganze mehr überschweben als bedecken.

Aber den großartigsten Eindruck gibt die Nogatseite dieses Schlosses. Man
hat, stolz übereinandergethürmt, die vier Stockwerke im vorspringenden Flügel,
des Meisters fürstliche Wohnung; — oben im höchsten Geschoß den Prachtsaal,
„Meisters großen Reuter" mit seinen lichten Fenstern voll Glasmalerei; dar¬
über oben die Brustwehr mit dem Zinnenkranze. Die vielen Fenster, welche in
immer neuen Reihen bis zum Erdgeschoß sich hinabsenken, sind durch überaus
zierliche, vorspringende Granitpfeiler voneinander geschieden, und auch unter
den mächtigen Eckbrustwehren oben treten gleiche Pfeiler aus der vollen Masse
hervor; sie gleichen, aus der Entfernung gesehen, feinen weißen Stäben. Die
Steinverzierungen unterhalb der Zinnen hängen wie ein leichter Schleier über
die Fenster hinab. Je -höher der Bau hinaufsteigt, desto größer die Kühn¬
heit, und je höher das Gestein dort oben sich thürmt, desto leichter wird es
mit all seiner ungeheuren Masse. In der That wird man nirgend an einem
weltlichen Bau soviel Größe und Würde, soviel Masse und Kraft vereint mit
Leichtigkeit und Freiheit im kühnsten Aufschwung beisammen finden, als an
diesem Mittelschlosse der Marienburg. Zwar ist dasselbe nur ein kleiner Theil
des großen Ganzen, aber in ihm offenbart sich am meisten der Kunstsinn des Er¬
bauers und eine Erhabenheit deutscher Baukunst, wie sie in Deutschland sonst nur
an Kirchenbauten sichtbar wird. Links von diesem vorspringenden Schloßflügel
schließt sich der untere große „Cvnveutsremter" an, als früherer Speise-und gemein¬
schaftlicher Vergnügungssaal der Ritter. Wir gewahren vor uns eine stattliche
Reihe von acht großen farbigen Fenstern, in schön harmonischer Form zugespitzt,


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[0172] wol manche Stunde in drückender Sorge über die Bedrängnisse seines geliebten Ordenslandes hingebracht haben mochte. Nicht minder stattlich ist der Anblick, wenn wir von der Zugbrücke des' trockenen Grabens, der das Hochschloß vom mittleren trennt, die Südseite des hochmeisterlichen Palastes vor uns haben und den ganzen Bau im vollen Bilde von seinen untersten Geschossen vier Stockwerke durch bis hinauf an die hochragenden Zinnen ins Auge fassen; die riesige Kraft des unerschütter¬ lichen MauerwerkK im Fundamente, der Ernst in den Anstalten zur Verthei¬ digung, die heitere Ansprache der Kunst in dem ringsumgewundenen Kranze der Fenster aus feiner Stuckatur, die Freiheit der schlanken Strebepfeiler im Endeck des hochmeisterlichen Reuters, die Kühnheit der Zinnenbrüstung und der Einklang, in welchem alles zueinander steht, — das ist ein selten großes Bild, welches der Betrachtung sich hier darbietet! Tief aus dem Boden, von den mächtigen Kellern, die wie der gebändigte Erdgeist sich unwillig beugend das Ganze tragen, erhebt sich der kühne Bau, Pfeiler auf Pfeiler und Gewölbe über Gewölbe durch vier Geschosse wie ein Münster, immer höher, leichter und lustiger bis in die lichten Sterngewölbe der oberen Prachtgemächer, die das Ganze mehr überschweben als bedecken. Aber den großartigsten Eindruck gibt die Nogatseite dieses Schlosses. Man hat, stolz übereinandergethürmt, die vier Stockwerke im vorspringenden Flügel, des Meisters fürstliche Wohnung; — oben im höchsten Geschoß den Prachtsaal, „Meisters großen Reuter" mit seinen lichten Fenstern voll Glasmalerei; dar¬ über oben die Brustwehr mit dem Zinnenkranze. Die vielen Fenster, welche in immer neuen Reihen bis zum Erdgeschoß sich hinabsenken, sind durch überaus zierliche, vorspringende Granitpfeiler voneinander geschieden, und auch unter den mächtigen Eckbrustwehren oben treten gleiche Pfeiler aus der vollen Masse hervor; sie gleichen, aus der Entfernung gesehen, feinen weißen Stäben. Die Steinverzierungen unterhalb der Zinnen hängen wie ein leichter Schleier über die Fenster hinab. Je -höher der Bau hinaufsteigt, desto größer die Kühn¬ heit, und je höher das Gestein dort oben sich thürmt, desto leichter wird es mit all seiner ungeheuren Masse. In der That wird man nirgend an einem weltlichen Bau soviel Größe und Würde, soviel Masse und Kraft vereint mit Leichtigkeit und Freiheit im kühnsten Aufschwung beisammen finden, als an diesem Mittelschlosse der Marienburg. Zwar ist dasselbe nur ein kleiner Theil des großen Ganzen, aber in ihm offenbart sich am meisten der Kunstsinn des Er¬ bauers und eine Erhabenheit deutscher Baukunst, wie sie in Deutschland sonst nur an Kirchenbauten sichtbar wird. Links von diesem vorspringenden Schloßflügel schließt sich der untere große „Cvnveutsremter" an, als früherer Speise-und gemein¬ schaftlicher Vergnügungssaal der Ritter. Wir gewahren vor uns eine stattliche Reihe von acht großen farbigen Fenstern, in schön harmonischer Form zugespitzt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/172>, abgerufen am 03.07.2024.