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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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tektonische Schönheit alle Chroniken nicht genug rühmen können. Den östlichen
Theil dieses Schlosses bildet die von Werner von Orseln erbaute Schlo߬
kirche, unter welcher die Se. Annengruft als Ruhestätte der Hochmeister,
von Dietrich von Altenburg erbaut, sich befindet. Dieses "hohe Schloß" ward
1K43 durch einen Brand hart mitgenommen und später durch Friedrich des
Großen Utilitätssystem in ein plumpes Magazin umgebaut. Neben der
Schloßkirche prangte der "Pfafsenthurm", der die Wohnungen der Geistlichen
des Ordenshauses enthielt und in polnischer Zeit in ein Jesuitencollegium,
unter Friedrich dem Großen aber in ein geschmackloses Zeughaus umgeformt
wurde. -- Die andre Burg, das "mittlere Schloß", besteht aus drei langen
Schloßflügeln, ein offenes Quadrat bildend. Neben dem Pfaffenthurm stand
die "Bartholomäuskirche", an welche die Wohnung der Ordensgebietiger
und Gastkammern für Fremde sich anschlössen. Dieser ganze Flügel ward 1803
ebenfalls in ein Magazin mit Schüttböden umgebaut. Der nach Norden ge¬
legene mittlere Schloßflügel mit dem Durchgangsportal in der Mitte enthielt
links des "Großkomthurs Wohnung" von besonderer Pracht, rechts die "Herren-
firmarie", d. h. ein Ritterhospital, dessen großer Saal mit einem Gram'tpfeiler
in der Mitte von ganz vorzüglicher Schönheit gewesen sein soll. Der ganze
Flügel wurde 1802 devastirt und zu Wohnungen für die Magazinbeamten ein¬
gerichtet und konnte bei der späteren Restauration der Burg nicht wieder herge¬
stellt werden. -- Der westliche Flügel endlich enthielt die eigentliche Wohnung
für den Hochmeister und nebenan den großen Conventsremter der Ritter; er
machte mithin das Residenzschloß aus. Dietrich von Altenburg, der die
Schloßkirche verlängerte und die Annengruft anlegte, hat wahrscheinlich auch
an der Stelle der ursprünglichen Vorburg den Bau dieses Prachtschlosseö be¬
gonnen, aber die wahre Vollendung desselben ist zweifelsohne in die Zeit des
großen Winrich zu setzen. Die Macht und der Reichthum des Ordens unter
diesem Hochmeister bot die Mittel dar, den Bau so imposant und prachtvoll
auszuführen, wie es des goldenen Zeitalters des Ordens würdig war. Schon
der äußere Schmuck dieses Schloßflügels deutete auf die Majestät der Person,
die in diesen Gemächern ihren Wohnsitz hatte, und das Innere derselben ent¬
spricht dem Aeußeren. Die ganze Wand vor uns erscheint als ein lichtes Fenster.
Aus dem durchbrochenen Mauerwerk tragen sechs vortretende schlanke Granit¬
pfeiler, mit Relieffiguren geschmückt, die oberen Mauerbogen, über denen zarte
Zinnen als schützende Brustwehr bis über das Dach steigend sich wie eine
Mauerkrone gegen den Himmel abkanten. Wir erblicken drei Eingangsthüren,
deren jede uns in eine, andre Etage fuhrt. Jede derselben ist auffallend niedrig.
Ueber der mittleren Eingangspforte erinnert das in Stein gehauene Wappen
der fürstlich reußischen Familie an einen Ahn derselben, Heinrich von Plauen,
der hinter diesen Pfeilern und Bogen in "Meisters morgenhellem Gemache"


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tektonische Schönheit alle Chroniken nicht genug rühmen können. Den östlichen
Theil dieses Schlosses bildet die von Werner von Orseln erbaute Schlo߬
kirche, unter welcher die Se. Annengruft als Ruhestätte der Hochmeister,
von Dietrich von Altenburg erbaut, sich befindet. Dieses „hohe Schloß" ward
1K43 durch einen Brand hart mitgenommen und später durch Friedrich des
Großen Utilitätssystem in ein plumpes Magazin umgebaut. Neben der
Schloßkirche prangte der „Pfafsenthurm", der die Wohnungen der Geistlichen
des Ordenshauses enthielt und in polnischer Zeit in ein Jesuitencollegium,
unter Friedrich dem Großen aber in ein geschmackloses Zeughaus umgeformt
wurde. — Die andre Burg, das „mittlere Schloß", besteht aus drei langen
Schloßflügeln, ein offenes Quadrat bildend. Neben dem Pfaffenthurm stand
die „Bartholomäuskirche", an welche die Wohnung der Ordensgebietiger
und Gastkammern für Fremde sich anschlössen. Dieser ganze Flügel ward 1803
ebenfalls in ein Magazin mit Schüttböden umgebaut. Der nach Norden ge¬
legene mittlere Schloßflügel mit dem Durchgangsportal in der Mitte enthielt
links des „Großkomthurs Wohnung" von besonderer Pracht, rechts die „Herren-
firmarie", d. h. ein Ritterhospital, dessen großer Saal mit einem Gram'tpfeiler
in der Mitte von ganz vorzüglicher Schönheit gewesen sein soll. Der ganze
Flügel wurde 1802 devastirt und zu Wohnungen für die Magazinbeamten ein¬
gerichtet und konnte bei der späteren Restauration der Burg nicht wieder herge¬
stellt werden. — Der westliche Flügel endlich enthielt die eigentliche Wohnung
für den Hochmeister und nebenan den großen Conventsremter der Ritter; er
machte mithin das Residenzschloß aus. Dietrich von Altenburg, der die
Schloßkirche verlängerte und die Annengruft anlegte, hat wahrscheinlich auch
an der Stelle der ursprünglichen Vorburg den Bau dieses Prachtschlosseö be¬
gonnen, aber die wahre Vollendung desselben ist zweifelsohne in die Zeit des
großen Winrich zu setzen. Die Macht und der Reichthum des Ordens unter
diesem Hochmeister bot die Mittel dar, den Bau so imposant und prachtvoll
auszuführen, wie es des goldenen Zeitalters des Ordens würdig war. Schon
der äußere Schmuck dieses Schloßflügels deutete auf die Majestät der Person,
die in diesen Gemächern ihren Wohnsitz hatte, und das Innere derselben ent¬
spricht dem Aeußeren. Die ganze Wand vor uns erscheint als ein lichtes Fenster.
Aus dem durchbrochenen Mauerwerk tragen sechs vortretende schlanke Granit¬
pfeiler, mit Relieffiguren geschmückt, die oberen Mauerbogen, über denen zarte
Zinnen als schützende Brustwehr bis über das Dach steigend sich wie eine
Mauerkrone gegen den Himmel abkanten. Wir erblicken drei Eingangsthüren,
deren jede uns in eine, andre Etage fuhrt. Jede derselben ist auffallend niedrig.
Ueber der mittleren Eingangspforte erinnert das in Stein gehauene Wappen
der fürstlich reußischen Familie an einen Ahn derselben, Heinrich von Plauen,
der hinter diesen Pfeilern und Bogen in „Meisters morgenhellem Gemache"


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[0171] tektonische Schönheit alle Chroniken nicht genug rühmen können. Den östlichen Theil dieses Schlosses bildet die von Werner von Orseln erbaute Schlo߬ kirche, unter welcher die Se. Annengruft als Ruhestätte der Hochmeister, von Dietrich von Altenburg erbaut, sich befindet. Dieses „hohe Schloß" ward 1K43 durch einen Brand hart mitgenommen und später durch Friedrich des Großen Utilitätssystem in ein plumpes Magazin umgebaut. Neben der Schloßkirche prangte der „Pfafsenthurm", der die Wohnungen der Geistlichen des Ordenshauses enthielt und in polnischer Zeit in ein Jesuitencollegium, unter Friedrich dem Großen aber in ein geschmackloses Zeughaus umgeformt wurde. — Die andre Burg, das „mittlere Schloß", besteht aus drei langen Schloßflügeln, ein offenes Quadrat bildend. Neben dem Pfaffenthurm stand die „Bartholomäuskirche", an welche die Wohnung der Ordensgebietiger und Gastkammern für Fremde sich anschlössen. Dieser ganze Flügel ward 1803 ebenfalls in ein Magazin mit Schüttböden umgebaut. Der nach Norden ge¬ legene mittlere Schloßflügel mit dem Durchgangsportal in der Mitte enthielt links des „Großkomthurs Wohnung" von besonderer Pracht, rechts die „Herren- firmarie", d. h. ein Ritterhospital, dessen großer Saal mit einem Gram'tpfeiler in der Mitte von ganz vorzüglicher Schönheit gewesen sein soll. Der ganze Flügel wurde 1802 devastirt und zu Wohnungen für die Magazinbeamten ein¬ gerichtet und konnte bei der späteren Restauration der Burg nicht wieder herge¬ stellt werden. — Der westliche Flügel endlich enthielt die eigentliche Wohnung für den Hochmeister und nebenan den großen Conventsremter der Ritter; er machte mithin das Residenzschloß aus. Dietrich von Altenburg, der die Schloßkirche verlängerte und die Annengruft anlegte, hat wahrscheinlich auch an der Stelle der ursprünglichen Vorburg den Bau dieses Prachtschlosseö be¬ gonnen, aber die wahre Vollendung desselben ist zweifelsohne in die Zeit des großen Winrich zu setzen. Die Macht und der Reichthum des Ordens unter diesem Hochmeister bot die Mittel dar, den Bau so imposant und prachtvoll auszuführen, wie es des goldenen Zeitalters des Ordens würdig war. Schon der äußere Schmuck dieses Schloßflügels deutete auf die Majestät der Person, die in diesen Gemächern ihren Wohnsitz hatte, und das Innere derselben ent¬ spricht dem Aeußeren. Die ganze Wand vor uns erscheint als ein lichtes Fenster. Aus dem durchbrochenen Mauerwerk tragen sechs vortretende schlanke Granit¬ pfeiler, mit Relieffiguren geschmückt, die oberen Mauerbogen, über denen zarte Zinnen als schützende Brustwehr bis über das Dach steigend sich wie eine Mauerkrone gegen den Himmel abkanten. Wir erblicken drei Eingangsthüren, deren jede uns in eine, andre Etage fuhrt. Jede derselben ist auffallend niedrig. Ueber der mittleren Eingangspforte erinnert das in Stein gehauene Wappen der fürstlich reußischen Familie an einen Ahn derselben, Heinrich von Plauen, der hinter diesen Pfeilern und Bogen in „Meisters morgenhellem Gemache" 21 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/171>, abgerufen am 01.10.2024.