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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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im Lande zurückbleiben. Die Strenge dieser Garnison würde dann als An¬
maßung ausgelebt werden, die ohnehin in ganz Amerika verbreitete Gering¬
schätzung des Soldaten bei dem jetzt näher gerückten Vergleich ihrer Trägheit
mit dem eignen Bienenfleisie zur Entrüstung anwachsen, die sprichwörtliche
Galanterie der Epauletten gegen das schöne Geschlecht endlich bei den
Haremsbesitzern nnter den Latterday-Saints die Dämonen der Eifersucht
wecken, und wer weiß, ob dann nicht die Timpanogaberge ein Seitenstück
zur sicilianischen Vesper sähen. Möchten die Mormonen sich also den Drago¬
nern Arete sans unterwerfen oder nicht, in beiden Fällen würde man
einen großen Krieg führen müssen. Dieser Krieg würde in seinem Aus¬
gange zwar nicht zweifelhaft sein, er würde aber bei der Entfernung Deserets
von den Grenzen der Civilisation, bei der Schwierigkeit des Transports
von Geschütz und Proviant durch die Wüsten, welche daS Mormonenland von
allen Seiten umgeben, bei der kriegerischen Tüchtigkeit der dann für ihren
Glauben kämpfenden Heiligen außerordentliche Opfer an Geld und Menschen
erfordern und vielleicht Jahre dauern, ganz abgesehen davon, daß er das erste
Beispiel eines Bürgerkriegs wäre -- ein Beispiel, welches die Vereinigten
Staaten bei dem Zwiespalt? zwischen dem Norden und dem Süden mehr wie
irgendein andrer Staat zu fürchten haben.

Und was wäre dann erreicht? Unser Jahrhundert gestattet keine Albi-
genserkriege, und so könnte das Kriegsgcsetz nur einige von den Schuldigen
treffen. Die große Masse abermals von Haus und Hof zu vertreiben, würde
ebenfalls nicht thunlich sein. Man mußte sie deshalb in ihrem Besitze lassen
und sie durch eine Truppenmacht, welche die halbe Armee der Vereinigten
Staaten in Anspruch nehmen würde, im Zaume zu halten suchen. Das Be¬
wußtsein erlittenen Unrechts würde sich bei den Unterworfenen von Geschlecht
zu Geschlecht fortpflanzen, und man hätte sich mitten auf dem Wege von den
Staaten nach Californien, mitten unter den Rothhäuten, einen heimlichen
Feind geschaffen, statt daß man an dem Gebirgsstaate Descret jetzt eine Herberge
der Wanderer nach dem Goldlande und eine Beste gegen die Wilden besitzt,
die mit der Zeit bessere Dienste zur Zähmung und Abwehr derselben leisten
wird, als alle die Grenzsorts zusammengenommen. Endlich aber hätte man
die Bestedelung dieser wüsten Strecken, die von dem fleißigen Volke der Latter¬
day-Saints mit so überraschendem Erfolge begonnen worden ist, auf Jahre und
Jahrzehnte hin gehemmt, ja vielleicht für immer unmöglich gemacht, da schwer¬
lich andere, als religiös Verfolgte und durch religiöse Bande Zusammen¬
gehaltene, diese Einöden zum Wohnplatze wählen und sich dort behaupten
dürsten.

Man wird deshalb aller Wahrscheinlichkeit nach die Mormonen gewähren
und ihren Staat zur Mündigkeit Heranreifen lassen. Noung und die übrigen


im Lande zurückbleiben. Die Strenge dieser Garnison würde dann als An¬
maßung ausgelebt werden, die ohnehin in ganz Amerika verbreitete Gering¬
schätzung des Soldaten bei dem jetzt näher gerückten Vergleich ihrer Trägheit
mit dem eignen Bienenfleisie zur Entrüstung anwachsen, die sprichwörtliche
Galanterie der Epauletten gegen das schöne Geschlecht endlich bei den
Haremsbesitzern nnter den Latterday-Saints die Dämonen der Eifersucht
wecken, und wer weiß, ob dann nicht die Timpanogaberge ein Seitenstück
zur sicilianischen Vesper sähen. Möchten die Mormonen sich also den Drago¬
nern Arete sans unterwerfen oder nicht, in beiden Fällen würde man
einen großen Krieg führen müssen. Dieser Krieg würde in seinem Aus¬
gange zwar nicht zweifelhaft sein, er würde aber bei der Entfernung Deserets
von den Grenzen der Civilisation, bei der Schwierigkeit des Transports
von Geschütz und Proviant durch die Wüsten, welche daS Mormonenland von
allen Seiten umgeben, bei der kriegerischen Tüchtigkeit der dann für ihren
Glauben kämpfenden Heiligen außerordentliche Opfer an Geld und Menschen
erfordern und vielleicht Jahre dauern, ganz abgesehen davon, daß er das erste
Beispiel eines Bürgerkriegs wäre — ein Beispiel, welches die Vereinigten
Staaten bei dem Zwiespalt? zwischen dem Norden und dem Süden mehr wie
irgendein andrer Staat zu fürchten haben.

Und was wäre dann erreicht? Unser Jahrhundert gestattet keine Albi-
genserkriege, und so könnte das Kriegsgcsetz nur einige von den Schuldigen
treffen. Die große Masse abermals von Haus und Hof zu vertreiben, würde
ebenfalls nicht thunlich sein. Man mußte sie deshalb in ihrem Besitze lassen
und sie durch eine Truppenmacht, welche die halbe Armee der Vereinigten
Staaten in Anspruch nehmen würde, im Zaume zu halten suchen. Das Be¬
wußtsein erlittenen Unrechts würde sich bei den Unterworfenen von Geschlecht
zu Geschlecht fortpflanzen, und man hätte sich mitten auf dem Wege von den
Staaten nach Californien, mitten unter den Rothhäuten, einen heimlichen
Feind geschaffen, statt daß man an dem Gebirgsstaate Descret jetzt eine Herberge
der Wanderer nach dem Goldlande und eine Beste gegen die Wilden besitzt,
die mit der Zeit bessere Dienste zur Zähmung und Abwehr derselben leisten
wird, als alle die Grenzsorts zusammengenommen. Endlich aber hätte man
die Bestedelung dieser wüsten Strecken, die von dem fleißigen Volke der Latter¬
day-Saints mit so überraschendem Erfolge begonnen worden ist, auf Jahre und
Jahrzehnte hin gehemmt, ja vielleicht für immer unmöglich gemacht, da schwer¬
lich andere, als religiös Verfolgte und durch religiöse Bande Zusammen¬
gehaltene, diese Einöden zum Wohnplatze wählen und sich dort behaupten
dürsten.

Man wird deshalb aller Wahrscheinlichkeit nach die Mormonen gewähren
und ihren Staat zur Mündigkeit Heranreifen lassen. Noung und die übrigen


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[0141] im Lande zurückbleiben. Die Strenge dieser Garnison würde dann als An¬ maßung ausgelebt werden, die ohnehin in ganz Amerika verbreitete Gering¬ schätzung des Soldaten bei dem jetzt näher gerückten Vergleich ihrer Trägheit mit dem eignen Bienenfleisie zur Entrüstung anwachsen, die sprichwörtliche Galanterie der Epauletten gegen das schöne Geschlecht endlich bei den Haremsbesitzern nnter den Latterday-Saints die Dämonen der Eifersucht wecken, und wer weiß, ob dann nicht die Timpanogaberge ein Seitenstück zur sicilianischen Vesper sähen. Möchten die Mormonen sich also den Drago¬ nern Arete sans unterwerfen oder nicht, in beiden Fällen würde man einen großen Krieg führen müssen. Dieser Krieg würde in seinem Aus¬ gange zwar nicht zweifelhaft sein, er würde aber bei der Entfernung Deserets von den Grenzen der Civilisation, bei der Schwierigkeit des Transports von Geschütz und Proviant durch die Wüsten, welche daS Mormonenland von allen Seiten umgeben, bei der kriegerischen Tüchtigkeit der dann für ihren Glauben kämpfenden Heiligen außerordentliche Opfer an Geld und Menschen erfordern und vielleicht Jahre dauern, ganz abgesehen davon, daß er das erste Beispiel eines Bürgerkriegs wäre — ein Beispiel, welches die Vereinigten Staaten bei dem Zwiespalt? zwischen dem Norden und dem Süden mehr wie irgendein andrer Staat zu fürchten haben. Und was wäre dann erreicht? Unser Jahrhundert gestattet keine Albi- genserkriege, und so könnte das Kriegsgcsetz nur einige von den Schuldigen treffen. Die große Masse abermals von Haus und Hof zu vertreiben, würde ebenfalls nicht thunlich sein. Man mußte sie deshalb in ihrem Besitze lassen und sie durch eine Truppenmacht, welche die halbe Armee der Vereinigten Staaten in Anspruch nehmen würde, im Zaume zu halten suchen. Das Be¬ wußtsein erlittenen Unrechts würde sich bei den Unterworfenen von Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzen, und man hätte sich mitten auf dem Wege von den Staaten nach Californien, mitten unter den Rothhäuten, einen heimlichen Feind geschaffen, statt daß man an dem Gebirgsstaate Descret jetzt eine Herberge der Wanderer nach dem Goldlande und eine Beste gegen die Wilden besitzt, die mit der Zeit bessere Dienste zur Zähmung und Abwehr derselben leisten wird, als alle die Grenzsorts zusammengenommen. Endlich aber hätte man die Bestedelung dieser wüsten Strecken, die von dem fleißigen Volke der Latter¬ day-Saints mit so überraschendem Erfolge begonnen worden ist, auf Jahre und Jahrzehnte hin gehemmt, ja vielleicht für immer unmöglich gemacht, da schwer¬ lich andere, als religiös Verfolgte und durch religiöse Bande Zusammen¬ gehaltene, diese Einöden zum Wohnplatze wählen und sich dort behaupten dürsten. Man wird deshalb aller Wahrscheinlichkeit nach die Mormonen gewähren und ihren Staat zur Mündigkeit Heranreifen lassen. Noung und die übrigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/141>, abgerufen am 02.10.2024.