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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Nun hat der Verfasser allerdings nu't mehren llebelständen zu kämpfen ge¬
habt. Einmal bleibt in der innern Geschichte der Städte "och vieles im Ein¬
zelnen zu untersuchen, ehe an einen ernstlichen Abschluß gedacht werden kann;
vielleicht wird die monographische Geschichte Wullenwebers, die uns Prof. Waitz
mit nächstem verheißen hat, eine wichtige Vorstudie für eine künftige allgemeine
Geschichte sein. Indeß wenn auch die Unfertigkeit der Forschungen für man¬
ches Gebiet der Geschichte ein hinreichender Grund ist, mit der Darstellung zu
zögern, so kann das doch nicht bei einem Gegenstand der Fall sein, der ebenso-
wol einem unmittelbaren sittlichen Zweck dient, als einem wissenschaftlichen.
Für die richtige Würdigung dessen, was das deutsche Volk leisten kann und
soll, ist die richtige Einsicht in das, was es geleistet Hai, die nothwendige
Boraussetzung, und grade in dieser Beziehung ist die allgemeine Bildung unsres
Bolkes noch sehr weit zurück. Was unsre Kaiser und unsre Edelleute in Italien
und Palästina gethan haben, das lernen wir schon in der Schule, aber voll
dem stillen, schöpferischen und folgerichtigen Wirken deS Volks empfangen wir
keine Ahnung. DaS echte Volk in Deutschland ist der Bürgerstand, dessen
Geschichte man sich nicht in so abgeblaßten Farben vorstellen muß, wie er in
der Gegenwart erscheint, der vielleicht seine wilden, abenteuerlichen Züge, oder
wenn man will, seine Romantik ebenso gehabt hat, als der Adel. Rum ist
zwar die Entwicklungsgeschichte des Bürgerstandes, die in der Hansa ihren
Gipfel findet, für uns leider abgeschnitten, und ihre Früchte sind durch die Schuld
unsrer Kaiser und Fürsten verloren gegangen; aber der Keim dieses echten
deutschen Lebens ist noch vorhanden und wird sich trotz der veränderten Voraus¬
setzungen auf eine ähnliche Weise wieder entwickeln müssen. Emancipation des
arbeitenden Bürgerthums von der amtlichen und diplomatischen Bevormundung,
das ist einer der wichtigsten Schritte, die unsrer Entwicklung bevorstehen. Ruht
erst das Bürgerthum wieder aus festen Grundlagen, so wird uns eine große
Bewegung, sie mag eintreten, woher sie will, nicht wieder so rathlos finden,
wie die Bewegung von 18i8. -- Um uns das frühere Leben des deutschen
Bürgers zu vergegenwärtigen, hat sich Herr Barthold nicht damit begnügt, die
Chroniken zu durchstöbern, er hat das Wesen und die Einrichtung der wichtig¬
sten Städte aus eigner Anschauung kennen gelernt und sich in sie hineingelebt.
Gewiß hätte auch hier noch manches besser gemacht werden können, denn das
plastische -Talent des Verfassers ist nicht grade glänzend, aber wir können uns
mit dem begnügen, was wirklich geleistet ist.

Eine zweite Schwierigkeit bei Behandlung des Stoffs war die Zersplitterung
desselben, die einer anschaulichen Gruppirung im Wege stand. Denn im Großen
und Ganzen betrachtet zeigt die Geschichte der Städte allerdings, eine organische
Einheit, eine gegliederte Entwicklung, und dem philosophischen Geschichtschreiber,
dem es nur darauf ankommt, die wesentlichen Punkte in scharfen Umrissen her-


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Nun hat der Verfasser allerdings nu't mehren llebelständen zu kämpfen ge¬
habt. Einmal bleibt in der innern Geschichte der Städte »och vieles im Ein¬
zelnen zu untersuchen, ehe an einen ernstlichen Abschluß gedacht werden kann;
vielleicht wird die monographische Geschichte Wullenwebers, die uns Prof. Waitz
mit nächstem verheißen hat, eine wichtige Vorstudie für eine künftige allgemeine
Geschichte sein. Indeß wenn auch die Unfertigkeit der Forschungen für man¬
ches Gebiet der Geschichte ein hinreichender Grund ist, mit der Darstellung zu
zögern, so kann das doch nicht bei einem Gegenstand der Fall sein, der ebenso-
wol einem unmittelbaren sittlichen Zweck dient, als einem wissenschaftlichen.
Für die richtige Würdigung dessen, was das deutsche Volk leisten kann und
soll, ist die richtige Einsicht in das, was es geleistet Hai, die nothwendige
Boraussetzung, und grade in dieser Beziehung ist die allgemeine Bildung unsres
Bolkes noch sehr weit zurück. Was unsre Kaiser und unsre Edelleute in Italien
und Palästina gethan haben, das lernen wir schon in der Schule, aber voll
dem stillen, schöpferischen und folgerichtigen Wirken deS Volks empfangen wir
keine Ahnung. DaS echte Volk in Deutschland ist der Bürgerstand, dessen
Geschichte man sich nicht in so abgeblaßten Farben vorstellen muß, wie er in
der Gegenwart erscheint, der vielleicht seine wilden, abenteuerlichen Züge, oder
wenn man will, seine Romantik ebenso gehabt hat, als der Adel. Rum ist
zwar die Entwicklungsgeschichte des Bürgerstandes, die in der Hansa ihren
Gipfel findet, für uns leider abgeschnitten, und ihre Früchte sind durch die Schuld
unsrer Kaiser und Fürsten verloren gegangen; aber der Keim dieses echten
deutschen Lebens ist noch vorhanden und wird sich trotz der veränderten Voraus¬
setzungen auf eine ähnliche Weise wieder entwickeln müssen. Emancipation des
arbeitenden Bürgerthums von der amtlichen und diplomatischen Bevormundung,
das ist einer der wichtigsten Schritte, die unsrer Entwicklung bevorstehen. Ruht
erst das Bürgerthum wieder aus festen Grundlagen, so wird uns eine große
Bewegung, sie mag eintreten, woher sie will, nicht wieder so rathlos finden,
wie die Bewegung von 18i8. — Um uns das frühere Leben des deutschen
Bürgers zu vergegenwärtigen, hat sich Herr Barthold nicht damit begnügt, die
Chroniken zu durchstöbern, er hat das Wesen und die Einrichtung der wichtig¬
sten Städte aus eigner Anschauung kennen gelernt und sich in sie hineingelebt.
Gewiß hätte auch hier noch manches besser gemacht werden können, denn das
plastische -Talent des Verfassers ist nicht grade glänzend, aber wir können uns
mit dem begnügen, was wirklich geleistet ist.

Eine zweite Schwierigkeit bei Behandlung des Stoffs war die Zersplitterung
desselben, die einer anschaulichen Gruppirung im Wege stand. Denn im Großen
und Ganzen betrachtet zeigt die Geschichte der Städte allerdings, eine organische
Einheit, eine gegliederte Entwicklung, und dem philosophischen Geschichtschreiber,
dem es nur darauf ankommt, die wesentlichen Punkte in scharfen Umrissen her-


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[0131] Nun hat der Verfasser allerdings nu't mehren llebelständen zu kämpfen ge¬ habt. Einmal bleibt in der innern Geschichte der Städte »och vieles im Ein¬ zelnen zu untersuchen, ehe an einen ernstlichen Abschluß gedacht werden kann; vielleicht wird die monographische Geschichte Wullenwebers, die uns Prof. Waitz mit nächstem verheißen hat, eine wichtige Vorstudie für eine künftige allgemeine Geschichte sein. Indeß wenn auch die Unfertigkeit der Forschungen für man¬ ches Gebiet der Geschichte ein hinreichender Grund ist, mit der Darstellung zu zögern, so kann das doch nicht bei einem Gegenstand der Fall sein, der ebenso- wol einem unmittelbaren sittlichen Zweck dient, als einem wissenschaftlichen. Für die richtige Würdigung dessen, was das deutsche Volk leisten kann und soll, ist die richtige Einsicht in das, was es geleistet Hai, die nothwendige Boraussetzung, und grade in dieser Beziehung ist die allgemeine Bildung unsres Bolkes noch sehr weit zurück. Was unsre Kaiser und unsre Edelleute in Italien und Palästina gethan haben, das lernen wir schon in der Schule, aber voll dem stillen, schöpferischen und folgerichtigen Wirken deS Volks empfangen wir keine Ahnung. DaS echte Volk in Deutschland ist der Bürgerstand, dessen Geschichte man sich nicht in so abgeblaßten Farben vorstellen muß, wie er in der Gegenwart erscheint, der vielleicht seine wilden, abenteuerlichen Züge, oder wenn man will, seine Romantik ebenso gehabt hat, als der Adel. Rum ist zwar die Entwicklungsgeschichte des Bürgerstandes, die in der Hansa ihren Gipfel findet, für uns leider abgeschnitten, und ihre Früchte sind durch die Schuld unsrer Kaiser und Fürsten verloren gegangen; aber der Keim dieses echten deutschen Lebens ist noch vorhanden und wird sich trotz der veränderten Voraus¬ setzungen auf eine ähnliche Weise wieder entwickeln müssen. Emancipation des arbeitenden Bürgerthums von der amtlichen und diplomatischen Bevormundung, das ist einer der wichtigsten Schritte, die unsrer Entwicklung bevorstehen. Ruht erst das Bürgerthum wieder aus festen Grundlagen, so wird uns eine große Bewegung, sie mag eintreten, woher sie will, nicht wieder so rathlos finden, wie die Bewegung von 18i8. — Um uns das frühere Leben des deutschen Bürgers zu vergegenwärtigen, hat sich Herr Barthold nicht damit begnügt, die Chroniken zu durchstöbern, er hat das Wesen und die Einrichtung der wichtig¬ sten Städte aus eigner Anschauung kennen gelernt und sich in sie hineingelebt. Gewiß hätte auch hier noch manches besser gemacht werden können, denn das plastische -Talent des Verfassers ist nicht grade glänzend, aber wir können uns mit dem begnügen, was wirklich geleistet ist. Eine zweite Schwierigkeit bei Behandlung des Stoffs war die Zersplitterung desselben, die einer anschaulichen Gruppirung im Wege stand. Denn im Großen und Ganzen betrachtet zeigt die Geschichte der Städte allerdings, eine organische Einheit, eine gegliederte Entwicklung, und dem philosophischen Geschichtschreiber, dem es nur darauf ankommt, die wesentlichen Punkte in scharfen Umrissen her- 16*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/131>, abgerufen am 03.07.2024.