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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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willig die Doppelherrschast im Reiche deutscher Poesie getheilt den? Hat ihm
Kant die Blässe des Gedankens angekränkelt? Aber wenn Bilder fühlten, würde
seine ernste Wange und Stirn die Nöthe des Unwillens gefärbt haben, des
zürnenden Unwillens, daß er seinen Meister Kant neben sich so hätte behan¬
deln sehen.

Doch ich mache dem Maler keinen Vorwurf für Auslassungen, im Gegen¬
theil für das, was er gegeben hat, möchte ich dankbar sein können. Leider kann
ich ihm nicht in allem folgen; so sollen denn meine Fragen nur dazu dienen,
mir seine Vorstellungen klarzumachen.

Oder haben Goethe, Humboldt, Grimm, fern von aller Theorie, nur die
goldnen Früchte vom grünen Baume des Lebens gebrochen? Nein, sie alle
haben es sich sauer werden lassen; und das ist ihr Verdienst: sie alle haben
der grauen Theorie gehuldigt; und sie haben auch nich't alle das Glück gehabt,
in ihren Theorien immer etwas Haltbares zu Tage zu fördern.

Oder spiegelt sich der begeisternde Hauch, der ihre Werke durchathmet, in
ihren Gesichtern wieder? Wie, und ihr hättet keine Ahnung von dem andauern¬
den Enthusiasmus, der tiefen Andacht, welche einen Kepler, einen Newton,
einen Kant, einen Laplace in ihren großen Werken und Thaten getrieben
und belebt haben? Das große Buch des gestirnten Himmels autzuschlagen und
seine vielverschlungene Zeichenschrift zu deuten, beweist denn doch eine ebenso
hohe Glut des Geistes, als Lautwandlungen nachzugehen.

Oder ist es die Begeisterung, die sie in andern entzündet haben? Freilich,
ihre Schriften sind größtentheils auch Laien verständlich und zugänglich. Daß
die Laien nicht, daß nur Wissende dem dAlembert, Kant, Laplace in ihren
mathematischen, philosophischen, astronomischen und physikalischen Specula-
tionen folgen können, ist das die Schuld dieser Männer, oder ist es die
Schuld der Laien, die zu träge oder zu einfältig sind, auch Wissende zu
werden?

Aber es ist klar, daß dies alles nicht die Rücksichten sind, die hier zur
Verherrlichung Goethes, Humboldts, Grimms geführt haben. Um sich davon
zu überzeugen, braucht man nur die erste Seite des Bildes zu betrachten.

Man will dort der Wissenschaft zu Leibe, welche die Vernunft zu ihrer'
alleinigen Grundlage nimmt. -- -- --

Im Uebrigen fängt man bereits an, die mathematischen Studien auf Schulen
zum Besten der Geschichte zu beschränken. Die Philosophie schweigt längst.

Steht es aber fest, welche Wissenschaft man in dAlembert,-Kant, Laplace
verhöhnt, so ist auch deutlich, welche Wissenschaft man in Goethe, Humboldt,
Grimm verherrlichen will. Aber grade das drängt uns eine Reihe von Be¬
trachtungen auf. In seiner Literaturgeschichte it, 27z, preist Nilmar "den
tiefen und feinen historischen Sinn, der seit fünfzig Jahren in der Naturforschung


willig die Doppelherrschast im Reiche deutscher Poesie getheilt den? Hat ihm
Kant die Blässe des Gedankens angekränkelt? Aber wenn Bilder fühlten, würde
seine ernste Wange und Stirn die Nöthe des Unwillens gefärbt haben, des
zürnenden Unwillens, daß er seinen Meister Kant neben sich so hätte behan¬
deln sehen.

Doch ich mache dem Maler keinen Vorwurf für Auslassungen, im Gegen¬
theil für das, was er gegeben hat, möchte ich dankbar sein können. Leider kann
ich ihm nicht in allem folgen; so sollen denn meine Fragen nur dazu dienen,
mir seine Vorstellungen klarzumachen.

Oder haben Goethe, Humboldt, Grimm, fern von aller Theorie, nur die
goldnen Früchte vom grünen Baume des Lebens gebrochen? Nein, sie alle
haben es sich sauer werden lassen; und das ist ihr Verdienst: sie alle haben
der grauen Theorie gehuldigt; und sie haben auch nich't alle das Glück gehabt,
in ihren Theorien immer etwas Haltbares zu Tage zu fördern.

Oder spiegelt sich der begeisternde Hauch, der ihre Werke durchathmet, in
ihren Gesichtern wieder? Wie, und ihr hättet keine Ahnung von dem andauern¬
den Enthusiasmus, der tiefen Andacht, welche einen Kepler, einen Newton,
einen Kant, einen Laplace in ihren großen Werken und Thaten getrieben
und belebt haben? Das große Buch des gestirnten Himmels autzuschlagen und
seine vielverschlungene Zeichenschrift zu deuten, beweist denn doch eine ebenso
hohe Glut des Geistes, als Lautwandlungen nachzugehen.

Oder ist es die Begeisterung, die sie in andern entzündet haben? Freilich,
ihre Schriften sind größtentheils auch Laien verständlich und zugänglich. Daß
die Laien nicht, daß nur Wissende dem dAlembert, Kant, Laplace in ihren
mathematischen, philosophischen, astronomischen und physikalischen Specula-
tionen folgen können, ist das die Schuld dieser Männer, oder ist es die
Schuld der Laien, die zu träge oder zu einfältig sind, auch Wissende zu
werden?

Aber es ist klar, daß dies alles nicht die Rücksichten sind, die hier zur
Verherrlichung Goethes, Humboldts, Grimms geführt haben. Um sich davon
zu überzeugen, braucht man nur die erste Seite des Bildes zu betrachten.

Man will dort der Wissenschaft zu Leibe, welche die Vernunft zu ihrer'
alleinigen Grundlage nimmt. — — —

Im Uebrigen fängt man bereits an, die mathematischen Studien auf Schulen
zum Besten der Geschichte zu beschränken. Die Philosophie schweigt längst.

Steht es aber fest, welche Wissenschaft man in dAlembert,-Kant, Laplace
verhöhnt, so ist auch deutlich, welche Wissenschaft man in Goethe, Humboldt,
Grimm verherrlichen will. Aber grade das drängt uns eine Reihe von Be¬
trachtungen auf. In seiner Literaturgeschichte it, 27z, preist Nilmar „den
tiefen und feinen historischen Sinn, der seit fünfzig Jahren in der Naturforschung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/114>, abgerufen am 22.07.2024.