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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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denn die Schwärmerei allenthalben auf der Grenze zwischen Erhabenheit und
Lächerlichkeit hinbalancirt. So erzählt Gunnison eine Anekdote von einer Frau,
welche während des Gottesdienstes Plötzlich aufsprang und in Zungen redete,
indem sie mehrmals die Worte ,,Melai. Melei, Meil!" hören ließ. Dieses
Zungenspiel der frommen Seele wurde auf der Stelle von einem Witzbold, der
vorher bemerkt haben wollte, daß die Gabe des Dolmetschers über ihn gekommen
sei, dahin gedeutet, daß jene auf Neuägyptisch zu sich selbst gesagt habe: lex,
ti^d, Kniziz" (Mein Bein, mein Schenkel, mein Knie.) Die Leicht¬
fertigen lachten, die Ernsthaften aber,' welche die Mehrzahl bildeten, nahmen
schweren Anstoß, und der Witzbold wurde, der Verspottung des heiligen Geistes
angeklagt, vor das hohe Concilium gefordert. Er war indeß ein entschlossener
Bursch von flinker Zunge und kecker Stirn, und mit diesen Eigenschaften gelang
es ihm, die Mitglieder des Rathes wenigstens halb zu überzeugen, daß er jene
neuägyptischen Worte richtig interpretirt habe. Man hielt es jedoch für an¬
gemessen, ihn erst nach einer Vermahnung vor Leichtsinn und einer Warnung
vor den Schlingen des Teufels zu entlassen.

Das gesellschaftliche Leben in Deseret ist im Allgemeinen nach den Schilderun¬
gen aller Berichterstatter ebenso herzlicher als lustiger Art. Ihre Gastfreundschaft
läßt nichts zu wünschen übrig und würde gegen Fremde noch mehr ausgedehnt
werden, wenn man nicht in den Räumlichkeiten noch ziemlich beschränkt wäre.
Die Auswanderung nach Kalifornien hat sich vielfacher Förderung durch sie zu
erfreuen gehabt, und mancher kranke und erschöpfte Goldsucher hat hier barm¬
herzige Samariter gefunden, wo er sie nicht erwarten konnte. Ja mancher ist
einestheils durch diese Menschenfreundlichkeit, anbrentheils durch die fröhliche
Art der Mormonen zu ihrem Glauben bekehrt worden und in Neujerusalem
geblieben, statt weiter nach dem Eldorado im Westen zu ziehen.

Ihre gesellschaftlichen Zusammenkünfte und Abendunterhaltungen, die häusig
durch die Anwesenheit der Kirchenhäupter beehrt werden, sind außerordentlich
heiter. Sie werden gemeiniglich mit einem Gebete eröffnet, in welchem man
den Segen des Allmächtigen auf sein Vergnügen herabfleht, dann folgt un¬
mittelbar der munterste Walzer, Galopp oder Schottisch, an welchem alle ohne
Ausnahme vom höchsten Würdenträger bis herab zum niedrigsten Gläubigen
theilnehmen. Ein wunderlicher Anblick ohne Zweifel, hier einen verehrungs¬
würdigen Patriarchen nach dem Takte eines Hopsers sich im Wirbel drehen zu
sehen und dort ein andres Kirchenlicht zu gewahren, welches sich mit dem Pas
eines Cvntretanzes abmüht. Noch wunderlicher aber dürfte unsern Consistorial-
räthen die verbürgte Nachricht erscheinen, daß diese Bälle einst, wenn der große
Tempel vollendet ist, einen integrirenden Theil des mormonischen Gottesdienstes
in demselben bilden sollen. Wir unsres Theils finden darin nichts Wunder¬
liches, da wir uns an Davids Beispiel erinnern, der Jehova zu Ehren vor der


denn die Schwärmerei allenthalben auf der Grenze zwischen Erhabenheit und
Lächerlichkeit hinbalancirt. So erzählt Gunnison eine Anekdote von einer Frau,
welche während des Gottesdienstes Plötzlich aufsprang und in Zungen redete,
indem sie mehrmals die Worte ,,Melai. Melei, Meil!" hören ließ. Dieses
Zungenspiel der frommen Seele wurde auf der Stelle von einem Witzbold, der
vorher bemerkt haben wollte, daß die Gabe des Dolmetschers über ihn gekommen
sei, dahin gedeutet, daß jene auf Neuägyptisch zu sich selbst gesagt habe: lex,
ti^d, Kniziz" (Mein Bein, mein Schenkel, mein Knie.) Die Leicht¬
fertigen lachten, die Ernsthaften aber,' welche die Mehrzahl bildeten, nahmen
schweren Anstoß, und der Witzbold wurde, der Verspottung des heiligen Geistes
angeklagt, vor das hohe Concilium gefordert. Er war indeß ein entschlossener
Bursch von flinker Zunge und kecker Stirn, und mit diesen Eigenschaften gelang
es ihm, die Mitglieder des Rathes wenigstens halb zu überzeugen, daß er jene
neuägyptischen Worte richtig interpretirt habe. Man hielt es jedoch für an¬
gemessen, ihn erst nach einer Vermahnung vor Leichtsinn und einer Warnung
vor den Schlingen des Teufels zu entlassen.

Das gesellschaftliche Leben in Deseret ist im Allgemeinen nach den Schilderun¬
gen aller Berichterstatter ebenso herzlicher als lustiger Art. Ihre Gastfreundschaft
läßt nichts zu wünschen übrig und würde gegen Fremde noch mehr ausgedehnt
werden, wenn man nicht in den Räumlichkeiten noch ziemlich beschränkt wäre.
Die Auswanderung nach Kalifornien hat sich vielfacher Förderung durch sie zu
erfreuen gehabt, und mancher kranke und erschöpfte Goldsucher hat hier barm¬
herzige Samariter gefunden, wo er sie nicht erwarten konnte. Ja mancher ist
einestheils durch diese Menschenfreundlichkeit, anbrentheils durch die fröhliche
Art der Mormonen zu ihrem Glauben bekehrt worden und in Neujerusalem
geblieben, statt weiter nach dem Eldorado im Westen zu ziehen.

Ihre gesellschaftlichen Zusammenkünfte und Abendunterhaltungen, die häusig
durch die Anwesenheit der Kirchenhäupter beehrt werden, sind außerordentlich
heiter. Sie werden gemeiniglich mit einem Gebete eröffnet, in welchem man
den Segen des Allmächtigen auf sein Vergnügen herabfleht, dann folgt un¬
mittelbar der munterste Walzer, Galopp oder Schottisch, an welchem alle ohne
Ausnahme vom höchsten Würdenträger bis herab zum niedrigsten Gläubigen
theilnehmen. Ein wunderlicher Anblick ohne Zweifel, hier einen verehrungs¬
würdigen Patriarchen nach dem Takte eines Hopsers sich im Wirbel drehen zu
sehen und dort ein andres Kirchenlicht zu gewahren, welches sich mit dem Pas
eines Cvntretanzes abmüht. Noch wunderlicher aber dürfte unsern Consistorial-
räthen die verbürgte Nachricht erscheinen, daß diese Bälle einst, wenn der große
Tempel vollendet ist, einen integrirenden Theil des mormonischen Gottesdienstes
in demselben bilden sollen. Wir unsres Theils finden darin nichts Wunder¬
liches, da wir uns an Davids Beispiel erinnern, der Jehova zu Ehren vor der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/102>, abgerufen am 01.10.2024.