Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.aufgehoben werde, sondern sich nur bemüht, der Natur des individuellen Or¬ Herr Röscher hat mehre Eigenschaften, die für diese Reform der Wissen¬ Die letztere Eigenschaft befähigt ihn auch, populär zu schreiben, wie er es In diesem Sinn ist das vorliegende Werk, welches den ersten Band eines aufgehoben werde, sondern sich nur bemüht, der Natur des individuellen Or¬ Herr Röscher hat mehre Eigenschaften, die für diese Reform der Wissen¬ Die letztere Eigenschaft befähigt ihn auch, populär zu schreiben, wie er es In diesem Sinn ist das vorliegende Werk, welches den ersten Band eines <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0460" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99312"/> <p xml:id="ID_1587" prev="#ID_1586"> aufgehoben werde, sondern sich nur bemüht, der Natur des individuellen Or¬<lb/> ganismus in die Hände zu arbeiten. Die zweite Bezeichnung spielt aus die<lb/> historische Schule an, welche in der Politik dem abstracten Idealismus ent¬<lb/> gegentrat und den Grundsatz feststellte, daß jede neue Verfassung nur die for¬<lb/> male Anerkennung eines bereits vorhandenen Inhalts sein könne.</p><lb/> <p xml:id="ID_1588"> Herr Röscher hat mehre Eigenschaften, die für diese Reform der Wissen¬<lb/> schaft unumgänglich nothwendig sind; einmal, wie sich von selbst versteht, eine<lb/> sehr ausgebreitete Gelehrsamkeit und jene scharfsinnige Spürkraft, die in dem<lb/> verworrenen Material überall die wesentlichen Momente herauserkennt; sodann<lb/> jene Besonnenheit des Gewissens, die auch dem glücklichsten Einfall Widerstand<lb/> leistet, bis er nach allen Seiten geprüft ist; endlich eine Klarheit, Bestimmtheit<lb/> ^ab Einfachheit des Ausdrucks, die nichts Anderes ist, als jener gesunde Men¬<lb/> schenverstand, den man in unsrer Zeit viel seltener findet, als man gewöhnlich<lb/> annimmt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1589"> Die letztere Eigenschaft befähigt ihn auch, populär zu schreiben, wie er es<lb/> unter andern, in mehren vortrefflichen Artikeln in der Brvckhausschen „Gegen¬<lb/> wart", wie er es jetzt wieder in seinem „Handbuch" beweist, welches nicht aus¬<lb/> schließlich für die Gelehrten, sondern für alle diejenigen geschrieben ist, die<lb/> einen Gegenstand, nur dann zu wissen glauben, wenn sie ihn wirklich studirt<lb/> haben. Mit dem Ausdruck Popularität wird häusig ein sehr sündhafter Mi߬<lb/> brauch getrieben. Für den Augenblick ist alles das populär, was irgendeiner<lb/> Tagesleidenschaft schmeichelt, und zwar um so populärer, je einseitiger es auf¬<lb/> tritt. Der Pöbel, der sich bekanntlich ebenso in der Hofkleidung wie in der<lb/> Blouse findet, will sich die Weisheit auf dem Wege des Dionysius zueignen,<lb/> er will mit zwei oder drei Redensarten fertig sein. Im Jahre 18i8 waren<lb/> diejenigen populär, die alle Fürsten, alle Minister, alle Soldaten u. s. w. als<lb/> Bösewichter darstellen; heute ist Herr von Gerlach populär. Was gibt es auch<lb/> in der That Bequemeres, als jede beliebige Frage, welchem Gebiete des Lebens<lb/> sie auch augehören möge, durch eine und dieselbe Formel zu erledigen? Freilich<lb/> dauert diese Popularität nicht lange, sie hört auf, sobald.ein neuer Schwindel<lb/> sich der Köpfe bemächtigt. — Die andre Popularität ist schwieriger, dafür hält<lb/> sie auch länger aus. Sie beruht einmal darin, daß man nicht daraus ausgeht,<lb/> seinen eignen Geist leuchten zu lassen, sondern sich streng an die Sache hält;<lb/> ferner darauf, daß man nichts Anderes sagt, als was man wirklich weiß, was<lb/> man also mit völliger Klarheit und Bestimmtheit ausdrücken kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_1590" next="#ID_1591"> In diesem Sinn ist das vorliegende Werk, welches den ersten Band eines<lb/> Systems der Volkswirtschaft enthält, im höchsten Grade populär. Es sucht<lb/> niemals durch Paradorien zu imponiren, sondern geht Schritt für Schritt weiter,<lb/> jeden einzelnen Satz zu völliger Klarheit entwickelnd; dagegen ist es nicht in<lb/> t>em Sinn populär, daß man etwa bei einer vorliegenden Frage nichts weiter</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0460]
aufgehoben werde, sondern sich nur bemüht, der Natur des individuellen Or¬
ganismus in die Hände zu arbeiten. Die zweite Bezeichnung spielt aus die
historische Schule an, welche in der Politik dem abstracten Idealismus ent¬
gegentrat und den Grundsatz feststellte, daß jede neue Verfassung nur die for¬
male Anerkennung eines bereits vorhandenen Inhalts sein könne.
Herr Röscher hat mehre Eigenschaften, die für diese Reform der Wissen¬
schaft unumgänglich nothwendig sind; einmal, wie sich von selbst versteht, eine
sehr ausgebreitete Gelehrsamkeit und jene scharfsinnige Spürkraft, die in dem
verworrenen Material überall die wesentlichen Momente herauserkennt; sodann
jene Besonnenheit des Gewissens, die auch dem glücklichsten Einfall Widerstand
leistet, bis er nach allen Seiten geprüft ist; endlich eine Klarheit, Bestimmtheit
^ab Einfachheit des Ausdrucks, die nichts Anderes ist, als jener gesunde Men¬
schenverstand, den man in unsrer Zeit viel seltener findet, als man gewöhnlich
annimmt.
Die letztere Eigenschaft befähigt ihn auch, populär zu schreiben, wie er es
unter andern, in mehren vortrefflichen Artikeln in der Brvckhausschen „Gegen¬
wart", wie er es jetzt wieder in seinem „Handbuch" beweist, welches nicht aus¬
schließlich für die Gelehrten, sondern für alle diejenigen geschrieben ist, die
einen Gegenstand, nur dann zu wissen glauben, wenn sie ihn wirklich studirt
haben. Mit dem Ausdruck Popularität wird häusig ein sehr sündhafter Mi߬
brauch getrieben. Für den Augenblick ist alles das populär, was irgendeiner
Tagesleidenschaft schmeichelt, und zwar um so populärer, je einseitiger es auf¬
tritt. Der Pöbel, der sich bekanntlich ebenso in der Hofkleidung wie in der
Blouse findet, will sich die Weisheit auf dem Wege des Dionysius zueignen,
er will mit zwei oder drei Redensarten fertig sein. Im Jahre 18i8 waren
diejenigen populär, die alle Fürsten, alle Minister, alle Soldaten u. s. w. als
Bösewichter darstellen; heute ist Herr von Gerlach populär. Was gibt es auch
in der That Bequemeres, als jede beliebige Frage, welchem Gebiete des Lebens
sie auch augehören möge, durch eine und dieselbe Formel zu erledigen? Freilich
dauert diese Popularität nicht lange, sie hört auf, sobald.ein neuer Schwindel
sich der Köpfe bemächtigt. — Die andre Popularität ist schwieriger, dafür hält
sie auch länger aus. Sie beruht einmal darin, daß man nicht daraus ausgeht,
seinen eignen Geist leuchten zu lassen, sondern sich streng an die Sache hält;
ferner darauf, daß man nichts Anderes sagt, als was man wirklich weiß, was
man also mit völliger Klarheit und Bestimmtheit ausdrücken kann.
In diesem Sinn ist das vorliegende Werk, welches den ersten Band eines
Systems der Volkswirtschaft enthält, im höchsten Grade populär. Es sucht
niemals durch Paradorien zu imponiren, sondern geht Schritt für Schritt weiter,
jeden einzelnen Satz zu völliger Klarheit entwickelnd; dagegen ist es nicht in
t>em Sinn populär, daß man etwa bei einer vorliegenden Frage nichts weiter
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