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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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als für das Theater und das Publicum. Mit dem Jahre 18i8 scheint darin
wieder ein Stillstand eingetreten zu sein; ein Theil der Dichter schreibt aus¬
schließlich für die Lectüre, ein anderer, wie Benedir und die Birch-Pfeiffer, aus¬
schließlich für die Aufführung. Bessere Erscheinungen tauchen nur ganz spora¬
disch auf. Wenn das längere Zeit so fortgeht, so werden die einzelnen Be¬
mühungen der Theater zur Förderung der Schauspielkunst keinen großen
Erfolg haben. --

Das folgende Stück "Pontius Pilatus" ist wol kaum für die Darstellung
berechnet; eigentlich aber auch nicht für die Lectüre. Es war ein merkwürdiger
Versuch des Greifswalder Docenten, die biblische Geschichte so aufs Theater
zu bringen. Er spricht in der Borrede manches Nichtige über die Verkehrtheiten
des "Judas" von Elise Schmidt und über die Möglichkeit, Fragmente der
Bibel dramatisch zu bearbeiten; eine Möglichkeit, die wir nicht im geringsten
bezweifeln, wenn der Dichter mit der nöthigen Diskretion verfährt; aber diese
Art von Schalen, lichtfreundlichem Nationalismus, mit der das Evangelium
travestirt wird, geht denn doch über alle Begriffe. Wir machen zunächst auf
eine Stelle aufmerksam, die unbeachtet zu lassen eine Sünde gegen den Gott
des Humors wäre. Jesus wird hinter der Scene gekreuzigt, das Theater wird
plötzlich finster, die Gemahlin des Pontius, die sich mit dem Landpfleger und
einem jüdischen Gelehrten unterhält, alle drei von der Vortrefflichkeit des neuen
Religionsstifters vollkommen überzeugt, macht die Bemerkung, daß diese Finster¬
niß ein Schreckenszeichen wäre, daraus:


Philo.

Die Sonnenfinsterniß ist schon zuvor
Von Aristoteles berechnet worden.


Pontius.

Doch wunderbar, daß heute sie erscheint,
Auch mich erschreckt das wunderbare Zeichen.


Philo.

Ich selbst sah nie zuvor ein ähnlich Beispiel u. s. w.


Ferner spricht ein junger begeisterter Christ sanft, aber mit Würde:


Ich will es nicht entscheiden, ob der Glaube
Der rvmschen Staatsreligion so sehr
Bevorzugt ist, nur das will ich bemerken,
Daß unsre neue Lehre nicht fanatisch
Den anders Denkenden verachtet und
Verdammt. Sie stimmt in manchen Dingen mit
- Dem jüdschen Glauben überein u. s. w

Pilatus erkundigt sich nach Jesus:


Wie lautet denn sein Name, woher stammt er? .

Pilatus.

Er nennt sich Jesus, ist von Nazareth.

Philo.

Der Name hat mir einen guten Klang (ü) u. s, w.

Pontius.

Herodes unterhält sich mit dem Landpfleger über denselben Gegenstand:


Grenzboten. I. I8klü. 49

als für das Theater und das Publicum. Mit dem Jahre 18i8 scheint darin
wieder ein Stillstand eingetreten zu sein; ein Theil der Dichter schreibt aus¬
schließlich für die Lectüre, ein anderer, wie Benedir und die Birch-Pfeiffer, aus¬
schließlich für die Aufführung. Bessere Erscheinungen tauchen nur ganz spora¬
disch auf. Wenn das längere Zeit so fortgeht, so werden die einzelnen Be¬
mühungen der Theater zur Förderung der Schauspielkunst keinen großen
Erfolg haben. —

Das folgende Stück „Pontius Pilatus" ist wol kaum für die Darstellung
berechnet; eigentlich aber auch nicht für die Lectüre. Es war ein merkwürdiger
Versuch des Greifswalder Docenten, die biblische Geschichte so aufs Theater
zu bringen. Er spricht in der Borrede manches Nichtige über die Verkehrtheiten
des „Judas" von Elise Schmidt und über die Möglichkeit, Fragmente der
Bibel dramatisch zu bearbeiten; eine Möglichkeit, die wir nicht im geringsten
bezweifeln, wenn der Dichter mit der nöthigen Diskretion verfährt; aber diese
Art von Schalen, lichtfreundlichem Nationalismus, mit der das Evangelium
travestirt wird, geht denn doch über alle Begriffe. Wir machen zunächst auf
eine Stelle aufmerksam, die unbeachtet zu lassen eine Sünde gegen den Gott
des Humors wäre. Jesus wird hinter der Scene gekreuzigt, das Theater wird
plötzlich finster, die Gemahlin des Pontius, die sich mit dem Landpfleger und
einem jüdischen Gelehrten unterhält, alle drei von der Vortrefflichkeit des neuen
Religionsstifters vollkommen überzeugt, macht die Bemerkung, daß diese Finster¬
niß ein Schreckenszeichen wäre, daraus:


Philo.

Die Sonnenfinsterniß ist schon zuvor
Von Aristoteles berechnet worden.


Pontius.

Doch wunderbar, daß heute sie erscheint,
Auch mich erschreckt das wunderbare Zeichen.


Philo.

Ich selbst sah nie zuvor ein ähnlich Beispiel u. s. w.


Ferner spricht ein junger begeisterter Christ sanft, aber mit Würde:


Ich will es nicht entscheiden, ob der Glaube
Der rvmschen Staatsreligion so sehr
Bevorzugt ist, nur das will ich bemerken,
Daß unsre neue Lehre nicht fanatisch
Den anders Denkenden verachtet und
Verdammt. Sie stimmt in manchen Dingen mit
- Dem jüdschen Glauben überein u. s. w

Pilatus erkundigt sich nach Jesus:


Wie lautet denn sein Name, woher stammt er? .

Pilatus.

Er nennt sich Jesus, ist von Nazareth.

Philo.

Der Name hat mir einen guten Klang (ü) u. s, w.

Pontius.

Herodes unterhält sich mit dem Landpfleger über denselben Gegenstand:


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[0393] als für das Theater und das Publicum. Mit dem Jahre 18i8 scheint darin wieder ein Stillstand eingetreten zu sein; ein Theil der Dichter schreibt aus¬ schließlich für die Lectüre, ein anderer, wie Benedir und die Birch-Pfeiffer, aus¬ schließlich für die Aufführung. Bessere Erscheinungen tauchen nur ganz spora¬ disch auf. Wenn das längere Zeit so fortgeht, so werden die einzelnen Be¬ mühungen der Theater zur Förderung der Schauspielkunst keinen großen Erfolg haben. — Das folgende Stück „Pontius Pilatus" ist wol kaum für die Darstellung berechnet; eigentlich aber auch nicht für die Lectüre. Es war ein merkwürdiger Versuch des Greifswalder Docenten, die biblische Geschichte so aufs Theater zu bringen. Er spricht in der Borrede manches Nichtige über die Verkehrtheiten des „Judas" von Elise Schmidt und über die Möglichkeit, Fragmente der Bibel dramatisch zu bearbeiten; eine Möglichkeit, die wir nicht im geringsten bezweifeln, wenn der Dichter mit der nöthigen Diskretion verfährt; aber diese Art von Schalen, lichtfreundlichem Nationalismus, mit der das Evangelium travestirt wird, geht denn doch über alle Begriffe. Wir machen zunächst auf eine Stelle aufmerksam, die unbeachtet zu lassen eine Sünde gegen den Gott des Humors wäre. Jesus wird hinter der Scene gekreuzigt, das Theater wird plötzlich finster, die Gemahlin des Pontius, die sich mit dem Landpfleger und einem jüdischen Gelehrten unterhält, alle drei von der Vortrefflichkeit des neuen Religionsstifters vollkommen überzeugt, macht die Bemerkung, daß diese Finster¬ niß ein Schreckenszeichen wäre, daraus: Philo. Die Sonnenfinsterniß ist schon zuvor Von Aristoteles berechnet worden. Pontius. Doch wunderbar, daß heute sie erscheint, Auch mich erschreckt das wunderbare Zeichen. Philo. Ich selbst sah nie zuvor ein ähnlich Beispiel u. s. w. Ferner spricht ein junger begeisterter Christ sanft, aber mit Würde: Ich will es nicht entscheiden, ob der Glaube Der rvmschen Staatsreligion so sehr Bevorzugt ist, nur das will ich bemerken, Daß unsre neue Lehre nicht fanatisch Den anders Denkenden verachtet und Verdammt. Sie stimmt in manchen Dingen mit - Dem jüdschen Glauben überein u. s. w Pilatus erkundigt sich nach Jesus: Wie lautet denn sein Name, woher stammt er? . Pilatus. Er nennt sich Jesus, ist von Nazareth. Philo. Der Name hat mir einen guten Klang (ü) u. s, w. Pontius. Herodes unterhält sich mit dem Landpfleger über denselben Gegenstand: Grenzboten. I. I8klü. 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/393>, abgerufen am 23.07.2024.