Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.zweiten Zweiges, welcher bis zu den sieben Thürmen reichen müßte, bedürfen, um, Unter Gedanken ähnlicher Art hatte ich die Strecke zurückgelegt, welche meine Aus dem Wasser herrschte das bunteste Leben. Man übersieht hier zunächst Grenzboten. I. 40
zweiten Zweiges, welcher bis zu den sieben Thürmen reichen müßte, bedürfen, um, Unter Gedanken ähnlicher Art hatte ich die Strecke zurückgelegt, welche meine Aus dem Wasser herrschte das bunteste Leben. Man übersieht hier zunächst Grenzboten. I. 40
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0321" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99173"/> <p xml:id="ID_1117" prev="#ID_1116"> zweiten Zweiges, welcher bis zu den sieben Thürmen reichen müßte, bedürfen, um,<lb/> das ganze neue Byzanz mittelst eines einzigen Weges vom Bosporus aus bis zur<lb/> Propontis zu umgehen. Die beiden Endpunkte dieses großen Außenboulevards, —<lb/> um den Vergleich mit Paris festzuhalten — würden an ersterer Stelle, d. h. an der<lb/> Meerenge der neue Palast vou Dolma Bagdsche und am Mannorameer das Schieß<lb/> Jedri Knicker (sieben Thürme) sein. Wenn hier der Punkt ist, wo nothwendig die<lb/> Straßen, welche dereinst die Capitale mit den europäischen Provinzen, vornehmlich<lb/> und zunächst mit Adrianopel, Varna und Salonich verknüpfen werden, ihren Aus¬<lb/> gang nehmen werden, so ist das Palais von Dolma Bagdsche voraussichtlich der<lb/> dereinstige wichtige Vermittlungspunkt zwischen Asien und Europa, und die Bedeu¬<lb/> tung seiner Lage würde ihm auch dann nicht genommen sein, wenn die dereinstige<lb/> Tubenbrücke quer über die Seestraße hin nicht hier, sondern, in Rücksicht auf die ge¬<lb/> ringere Breite der Meerenge, zwischen Ortakoj und Beglerbeg placirt werden sollte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1118"> Unter Gedanken ähnlicher Art hatte ich die Strecke zurückgelegt, welche meine<lb/> Wohnung von dem erwähnten freien Aussichtspunkt trennt. Das Terrain senkt sich<lb/> hier wie ein Vorgebirge zu dem schmalen und flachen Uferstreifen ab, welcher den<lb/> Bosporus auf dem diesseitigen Gestade umsäumt und hier Gelegenheit zum Ausbau<lb/> der Vorstädte Findikli, Dolma Bagdsche, Befehlt Tahas und jener langen Reihe von<lb/> Dörfern und Tschiftliks (Güter) geboten hat, die in beinahe ununterbrochener Kette<lb/> bis Bujukdere reichen. Ich trat aus den äußersten Vorsprung; schade, daß ein<lb/> hölzerner Stall, der baufällig und morsch nicht mehr fünf Jahre aufrechtstehen<lb/> wird, einen Theil der Umsicht dem Beschauenden streitig macht; an die Breterwand<lb/> anlehnend, zog ich mein Fernrohr aus der Tasche und ließ den Blick durch die klaren<lb/> Gläser zum Bulgurlugipsel und zum eisgekrönten Scheitel des Olymp schweifen.<lb/> Frischer Morgenduft, jenes Etwas in der Atmosphäre, welches sich nicht bezeichnen<lb/> und nur schwer malen läßt, lag über der Landschaft, wie ein rosiger, violetter Hauch.<lb/> Die Lust wehte mich nicht kalt, aber mit jener Frische an, die stärkend in Mark<lb/> und Bein dringt und alle Nervenfasern belebt. Heute hatte das weite Stambul<lb/> einen seiner Glanztage, wo es in reichster Fülle der Schönheit strahlte. Die Spitzen<lb/> von hundert Minarets und abermals hundert Kuppeln ebensovieler stattlicher Dschamis<lb/> funkelten im Morgenschein, der Sonne, deren Strahlen rechts vom Serail die Fenster¬<lb/> scheiben der tausende übereinander zur Krone der sieben Hügel aufsteigenden Häuser<lb/> wie im rothen Feuer erglänzen ließen. Zwei Hammel, die aus dem Stall hinter<lb/> mir hinausgetrieben wurden, erinnerten mich daran, daß diese Stelle, welche selbst<lb/> im Zauberkreise der türkischen Metropole kaum ihresgleichen hat, jetzt von Men¬<lb/> schen ungenossen und unbenutzt dem unvernünftigen Thiere überwiesen ist. Ich<lb/> wage kaum den Preis zu schätzen, den man nach zehn Jahren vergebens für sie<lb/> bieten wird, um die Fundamente für eine ncidenswcrthe Villa hier einzusenken.</p><lb/> <p xml:id="ID_1119" next="#ID_1120"> Aus dem Wasser herrschte das bunteste Leben. Man übersieht hier zunächst<lb/> und zwar dicht unter seinen Füßen den Zusammenfluß dreier Flutcnbecken: des<lb/> Goldhornes, des Bosporus und der Propontis. Die Wogen waren ohne Schaum<lb/> und gingen dermaßen flach, daß sie die daraufschwimmcnden Kalks und Schiffsboote<lb/> eben nur sanft aus- und niederschaukelten. Vor der neuen Moschee des Großherrn<lb/> lag ein riesiger englischer Steamer vor Anker; weiter der Mitte der Meerenge zu<lb/> und mit dem scharfen Bug der Strömung zugewendet, ein französischer. Beide</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. I. 40</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0321]
zweiten Zweiges, welcher bis zu den sieben Thürmen reichen müßte, bedürfen, um,
das ganze neue Byzanz mittelst eines einzigen Weges vom Bosporus aus bis zur
Propontis zu umgehen. Die beiden Endpunkte dieses großen Außenboulevards, —
um den Vergleich mit Paris festzuhalten — würden an ersterer Stelle, d. h. an der
Meerenge der neue Palast vou Dolma Bagdsche und am Mannorameer das Schieß
Jedri Knicker (sieben Thürme) sein. Wenn hier der Punkt ist, wo nothwendig die
Straßen, welche dereinst die Capitale mit den europäischen Provinzen, vornehmlich
und zunächst mit Adrianopel, Varna und Salonich verknüpfen werden, ihren Aus¬
gang nehmen werden, so ist das Palais von Dolma Bagdsche voraussichtlich der
dereinstige wichtige Vermittlungspunkt zwischen Asien und Europa, und die Bedeu¬
tung seiner Lage würde ihm auch dann nicht genommen sein, wenn die dereinstige
Tubenbrücke quer über die Seestraße hin nicht hier, sondern, in Rücksicht auf die ge¬
ringere Breite der Meerenge, zwischen Ortakoj und Beglerbeg placirt werden sollte.
Unter Gedanken ähnlicher Art hatte ich die Strecke zurückgelegt, welche meine
Wohnung von dem erwähnten freien Aussichtspunkt trennt. Das Terrain senkt sich
hier wie ein Vorgebirge zu dem schmalen und flachen Uferstreifen ab, welcher den
Bosporus auf dem diesseitigen Gestade umsäumt und hier Gelegenheit zum Ausbau
der Vorstädte Findikli, Dolma Bagdsche, Befehlt Tahas und jener langen Reihe von
Dörfern und Tschiftliks (Güter) geboten hat, die in beinahe ununterbrochener Kette
bis Bujukdere reichen. Ich trat aus den äußersten Vorsprung; schade, daß ein
hölzerner Stall, der baufällig und morsch nicht mehr fünf Jahre aufrechtstehen
wird, einen Theil der Umsicht dem Beschauenden streitig macht; an die Breterwand
anlehnend, zog ich mein Fernrohr aus der Tasche und ließ den Blick durch die klaren
Gläser zum Bulgurlugipsel und zum eisgekrönten Scheitel des Olymp schweifen.
Frischer Morgenduft, jenes Etwas in der Atmosphäre, welches sich nicht bezeichnen
und nur schwer malen läßt, lag über der Landschaft, wie ein rosiger, violetter Hauch.
Die Lust wehte mich nicht kalt, aber mit jener Frische an, die stärkend in Mark
und Bein dringt und alle Nervenfasern belebt. Heute hatte das weite Stambul
einen seiner Glanztage, wo es in reichster Fülle der Schönheit strahlte. Die Spitzen
von hundert Minarets und abermals hundert Kuppeln ebensovieler stattlicher Dschamis
funkelten im Morgenschein, der Sonne, deren Strahlen rechts vom Serail die Fenster¬
scheiben der tausende übereinander zur Krone der sieben Hügel aufsteigenden Häuser
wie im rothen Feuer erglänzen ließen. Zwei Hammel, die aus dem Stall hinter
mir hinausgetrieben wurden, erinnerten mich daran, daß diese Stelle, welche selbst
im Zauberkreise der türkischen Metropole kaum ihresgleichen hat, jetzt von Men¬
schen ungenossen und unbenutzt dem unvernünftigen Thiere überwiesen ist. Ich
wage kaum den Preis zu schätzen, den man nach zehn Jahren vergebens für sie
bieten wird, um die Fundamente für eine ncidenswcrthe Villa hier einzusenken.
Aus dem Wasser herrschte das bunteste Leben. Man übersieht hier zunächst
und zwar dicht unter seinen Füßen den Zusammenfluß dreier Flutcnbecken: des
Goldhornes, des Bosporus und der Propontis. Die Wogen waren ohne Schaum
und gingen dermaßen flach, daß sie die daraufschwimmcnden Kalks und Schiffsboote
eben nur sanft aus- und niederschaukelten. Vor der neuen Moschee des Großherrn
lag ein riesiger englischer Steamer vor Anker; weiter der Mitte der Meerenge zu
und mit dem scharfen Bug der Strömung zugewendet, ein französischer. Beide
Grenzboten. I. 40
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