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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Man nahm zu Verkleidungen jeder Art Zuflucht und der bekannte Iivmms as
i'im Herr Lommie erzählt selbst, wie er als Kaminfeger bei Georges Sand
sich eingeschlichen habe. Die unbescheidene Plauderhaftigkeit der Kritiker, der
Touristen, der schriftstellernden Commis voyageurs aller Länder, die ihre Pflichten
nicht erfüllt glauben, solange sie sich nicht an jeder Berühmtheit von Paris
gerieben haben, machte die liebenswürdige, vertrauensvolle Natur verschlossen.
Sie zog sich scheu in den Kreis ihrer vertrauten Freunde zurück und wenn
die Zudringlichkeit der Neugierigen zu arg wurde, erlaubte sich die Umgebung
der geplagten Schriftstellerin auch zuweilen die Rache einer unschuldigen Mysti¬
fikation. So stellte man einem Advocaten, der um jeden Preis die Bekannt¬
schaft von Georges Sand machen wollte, deren Kammerfrau vor, wahrend
Mutter und Tochter in einem Alkoven verborgen das komische Quiproquo mit
ansahen. Der Advocat erzählte einige Tage später entzückt von der geistreichen
Unterhaltung mit der berühmten Dichterin und hätte sich beinahe ein Duell
zugezogen, weil er die bedauernde Bemerkung aussprach, daß Georges "Sand
keine Zähne mehr habe. Ein ander Mal zog Maurice Sand die Kleider seiner
Mutter an und ging an einer reisenden Familie von Engländern vorüber,
welche auf der Terrasse eines benachbarten Gasthauses der Eigenthümern!
des Schlosses von Nohaut auflauerten. Wer wird sich da noch wundern
wenn man die sonderbarsten Geschichten vom Leben Georges Sands liest.

Man macht sich auch in der Regel einen ganz falschen Begriff von der
Persönlichkeit dieser Schriftstellerin; denn was die Entstellungen der Biographen
zu thun übrigließen, das vollendete die Einbildungskraft der romantischen
Leser und Leserinnen, welche stets Nomanhelden und Heldinnen im Verfasser
verpersönlicheu. So ist auch Georges Sand in der Vorstellung der meisten
ein Tvpus des Excentrischen geworden, welcher mit dem Originale keinen
Zug von Ähnlichkeit besitzt. Ein Fremder, denk Madame Viardot ver¬
sprochen hatte, ihn der geliebten Schriftstellerin vorzustellen, fand beim Ein¬
tritt in den Arbeitösalon der genialen Sängerin eine kleine Frau, welche
emsig an einem Kleide zuschritt. Die lebhaft beschäftigte' Frau sing den fra¬
genden Blick des Besuchers an Madame Viardot auf und rief mit komischer
Ernsthaftigkeit aus,' >,"ni o'estium! eel-i vous viormv?^ das hat den erwählen
Fremden nicht grade in Verwunderung gesetzt, aber es wird wol manchen
Leser und manche Leserin in Erstaunen setzen zu hören, daß Madame Georges
Sand sich auf Hauswirthschaft verstehe, vortrefflich Kleiber nähe (die Theater-
garderobe ihres Haustheaters in Nohaut wird von ihr und der Tochter ange¬
fertigt) in Stickereien zuweilen Zeitvertreib suche und die vorzüglichsten Con¬
fitüren berate, die je eine schaffende Hausfrau ihren Gästen vorgesetzt hat.
Es fehlt ihr nur an Zeit, um die trefflichste Hauswirthin zu sein und wenn
sie, deren Werke mit Tausenden bezahlt werden, noch jetzt an eine Freundin
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Man nahm zu Verkleidungen jeder Art Zuflucht und der bekannte Iivmms as
i'im Herr Lommie erzählt selbst, wie er als Kaminfeger bei Georges Sand
sich eingeschlichen habe. Die unbescheidene Plauderhaftigkeit der Kritiker, der
Touristen, der schriftstellernden Commis voyageurs aller Länder, die ihre Pflichten
nicht erfüllt glauben, solange sie sich nicht an jeder Berühmtheit von Paris
gerieben haben, machte die liebenswürdige, vertrauensvolle Natur verschlossen.
Sie zog sich scheu in den Kreis ihrer vertrauten Freunde zurück und wenn
die Zudringlichkeit der Neugierigen zu arg wurde, erlaubte sich die Umgebung
der geplagten Schriftstellerin auch zuweilen die Rache einer unschuldigen Mysti¬
fikation. So stellte man einem Advocaten, der um jeden Preis die Bekannt¬
schaft von Georges Sand machen wollte, deren Kammerfrau vor, wahrend
Mutter und Tochter in einem Alkoven verborgen das komische Quiproquo mit
ansahen. Der Advocat erzählte einige Tage später entzückt von der geistreichen
Unterhaltung mit der berühmten Dichterin und hätte sich beinahe ein Duell
zugezogen, weil er die bedauernde Bemerkung aussprach, daß Georges «Sand
keine Zähne mehr habe. Ein ander Mal zog Maurice Sand die Kleider seiner
Mutter an und ging an einer reisenden Familie von Engländern vorüber,
welche auf der Terrasse eines benachbarten Gasthauses der Eigenthümern!
des Schlosses von Nohaut auflauerten. Wer wird sich da noch wundern
wenn man die sonderbarsten Geschichten vom Leben Georges Sands liest.

Man macht sich auch in der Regel einen ganz falschen Begriff von der
Persönlichkeit dieser Schriftstellerin; denn was die Entstellungen der Biographen
zu thun übrigließen, das vollendete die Einbildungskraft der romantischen
Leser und Leserinnen, welche stets Nomanhelden und Heldinnen im Verfasser
verpersönlicheu. So ist auch Georges Sand in der Vorstellung der meisten
ein Tvpus des Excentrischen geworden, welcher mit dem Originale keinen
Zug von Ähnlichkeit besitzt. Ein Fremder, denk Madame Viardot ver¬
sprochen hatte, ihn der geliebten Schriftstellerin vorzustellen, fand beim Ein¬
tritt in den Arbeitösalon der genialen Sängerin eine kleine Frau, welche
emsig an einem Kleide zuschritt. Die lebhaft beschäftigte' Frau sing den fra¬
genden Blick des Besuchers an Madame Viardot auf und rief mit komischer
Ernsthaftigkeit aus,' >,»ni o'estium! eel-i vous viormv?^ das hat den erwählen
Fremden nicht grade in Verwunderung gesetzt, aber es wird wol manchen
Leser und manche Leserin in Erstaunen setzen zu hören, daß Madame Georges
Sand sich auf Hauswirthschaft verstehe, vortrefflich Kleiber nähe (die Theater-
garderobe ihres Haustheaters in Nohaut wird von ihr und der Tochter ange¬
fertigt) in Stickereien zuweilen Zeitvertreib suche und die vorzüglichsten Con¬
fitüren berate, die je eine schaffende Hausfrau ihren Gästen vorgesetzt hat.
Es fehlt ihr nur an Zeit, um die trefflichste Hauswirthin zu sein und wenn
sie, deren Werke mit Tausenden bezahlt werden, noch jetzt an eine Freundin
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[0219] Man nahm zu Verkleidungen jeder Art Zuflucht und der bekannte Iivmms as i'im Herr Lommie erzählt selbst, wie er als Kaminfeger bei Georges Sand sich eingeschlichen habe. Die unbescheidene Plauderhaftigkeit der Kritiker, der Touristen, der schriftstellernden Commis voyageurs aller Länder, die ihre Pflichten nicht erfüllt glauben, solange sie sich nicht an jeder Berühmtheit von Paris gerieben haben, machte die liebenswürdige, vertrauensvolle Natur verschlossen. Sie zog sich scheu in den Kreis ihrer vertrauten Freunde zurück und wenn die Zudringlichkeit der Neugierigen zu arg wurde, erlaubte sich die Umgebung der geplagten Schriftstellerin auch zuweilen die Rache einer unschuldigen Mysti¬ fikation. So stellte man einem Advocaten, der um jeden Preis die Bekannt¬ schaft von Georges Sand machen wollte, deren Kammerfrau vor, wahrend Mutter und Tochter in einem Alkoven verborgen das komische Quiproquo mit ansahen. Der Advocat erzählte einige Tage später entzückt von der geistreichen Unterhaltung mit der berühmten Dichterin und hätte sich beinahe ein Duell zugezogen, weil er die bedauernde Bemerkung aussprach, daß Georges «Sand keine Zähne mehr habe. Ein ander Mal zog Maurice Sand die Kleider seiner Mutter an und ging an einer reisenden Familie von Engländern vorüber, welche auf der Terrasse eines benachbarten Gasthauses der Eigenthümern! des Schlosses von Nohaut auflauerten. Wer wird sich da noch wundern wenn man die sonderbarsten Geschichten vom Leben Georges Sands liest. Man macht sich auch in der Regel einen ganz falschen Begriff von der Persönlichkeit dieser Schriftstellerin; denn was die Entstellungen der Biographen zu thun übrigließen, das vollendete die Einbildungskraft der romantischen Leser und Leserinnen, welche stets Nomanhelden und Heldinnen im Verfasser verpersönlicheu. So ist auch Georges Sand in der Vorstellung der meisten ein Tvpus des Excentrischen geworden, welcher mit dem Originale keinen Zug von Ähnlichkeit besitzt. Ein Fremder, denk Madame Viardot ver¬ sprochen hatte, ihn der geliebten Schriftstellerin vorzustellen, fand beim Ein¬ tritt in den Arbeitösalon der genialen Sängerin eine kleine Frau, welche emsig an einem Kleide zuschritt. Die lebhaft beschäftigte' Frau sing den fra¬ genden Blick des Besuchers an Madame Viardot auf und rief mit komischer Ernsthaftigkeit aus,' >,»ni o'estium! eel-i vous viormv?^ das hat den erwählen Fremden nicht grade in Verwunderung gesetzt, aber es wird wol manchen Leser und manche Leserin in Erstaunen setzen zu hören, daß Madame Georges Sand sich auf Hauswirthschaft verstehe, vortrefflich Kleiber nähe (die Theater- garderobe ihres Haustheaters in Nohaut wird von ihr und der Tochter ange¬ fertigt) in Stickereien zuweilen Zeitvertreib suche und die vorzüglichsten Con¬ fitüren berate, die je eine schaffende Hausfrau ihren Gästen vorgesetzt hat. Es fehlt ihr nur an Zeit, um die trefflichste Hauswirthin zu sein und wenn sie, deren Werke mit Tausenden bezahlt werden, noch jetzt an eine Freundin '^ 27*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/219>, abgerufen am 25.08.2024.