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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Das Bild innerhalb der Windungen des Bospors ist unendlich kleiner,
begrenzter; wenn dort das Auge Hunderte von Geviertmeilen mit einem Blicke
durchschweift, reicht es hier an wenigen Stellen nur über tausend Schritte in
den Umkreis hinein, so nahe liegen die Ufer, so schroff und steil sind sie zu¬
meist, so selten tritt der Fall ein, wo wir noch einen Blick auf das obere
Plateau hinauswerfen können, dessen unmittelbaren seewärtigen Rand sie
bilden. Indeß verlieren wir nichts dabei. Der Bosp^r und seine Schönhei¬
ten stehen in unmittelbarem Bezug zum flutenden Element. Seine Ufer sind,
den Bedingungen nach, welche hier eine unvergleichliche Vegeianon sprießen
läßt, der Oase zu vergleichen inmitten der Wüste; denn wüste beinahe sind
die binnenwärtigen Gegenden sowol auf dem asiatischen als auf dem euro¬
päischen Ufer, mehr freilich noch auf diesem wie auf jenem. Es ist der Hauch
des Meeres, das hier an dieser Stelle in einer ausnahmsweise", strömenden
Action auftritt, was in der Seeenge selbst alles belebt; aber die Sphäre, in
welcher das wunderbare Fluidum wirkt, ist nur klein.

Unser Schiff hat die Anker gelichtet und treibt abwärts der letzten jener
drei parallellaufenden Brücken, welche über das goldene Horn hinfuhren, dem
eigentlichen Flutenbereich der Meerenge entgegen, dem brausenden "singenden
Sunde", wie ihn Fallmerayr nennt. Wir haben auf dem letzten Ausläufer
des Perahügrls, da wo das Terrain sich schroffer zum Niveau des Hafens hin
abzubuchen beginnt, den hohen Thurm von Galata zu unsrer linken Seite
und rechts die Spitze des Serails. Eine Reihe dicht am Nordufer des Hafens
geankerter griechischer Kauffahrer trennt uns nur von den schmucken Häusern,
mit denen der Strand von Toppana, besetzt ist. Es sino zumeist Frauen -
Wohnungen, die Fenster hat türkische Eifersucht mit feinen, Licht und Sonne
aber keinen Männerblick hindurchstrahlen lassenden Holzgittern zartester Arbeit
verwahrt. Aber schon ist der Ausgang des goldnen Horns erreicht; der rasch
von Norden kommenden Strömung wendet sich unser Dampfer mit scharfer
Rechtsschwenkung entgegen. Welches rasche Kreisfliegcn der Ufer, als das
Schiff sich dreht! Vom Dorfe Kadikoj an bis zum Palaste Beglerbey wechseln
wir in Minutenfrist tausend Perspectiven. Endlich greifen wiederum die Räder
mit gleicher Macht in die Flut ein und treiben das Fahrzeug langsam und
feierlich der starken Strömung entgegen. Links haben wir Toppana, rechts
den Kiß Kulessi (Leanderthurm). Auf Steinwurfsweite fahren wir an den
Geschützmündungen der türkischen Batterie vorüber, passiren einen hier nahebei
geankerten Dreidecker auf der Backbordseite und befinden uns einige Augen¬
blicke danach gegenüber dem ebenfalls aus dem europäischen oder rumelischen
Ufer gelegenen Dolma Bagdsche Serai lSemi des ausgefüllten Gartens). Es
ist dies das neue Schloß, dessen Bau vor einer Reihe von Jahren begonnen
ward und nun nahezu vollendet ist. Der Stil ist arabisch-byzantinisch. Bau-


Das Bild innerhalb der Windungen des Bospors ist unendlich kleiner,
begrenzter; wenn dort das Auge Hunderte von Geviertmeilen mit einem Blicke
durchschweift, reicht es hier an wenigen Stellen nur über tausend Schritte in
den Umkreis hinein, so nahe liegen die Ufer, so schroff und steil sind sie zu¬
meist, so selten tritt der Fall ein, wo wir noch einen Blick auf das obere
Plateau hinauswerfen können, dessen unmittelbaren seewärtigen Rand sie
bilden. Indeß verlieren wir nichts dabei. Der Bosp^r und seine Schönhei¬
ten stehen in unmittelbarem Bezug zum flutenden Element. Seine Ufer sind,
den Bedingungen nach, welche hier eine unvergleichliche Vegeianon sprießen
läßt, der Oase zu vergleichen inmitten der Wüste; denn wüste beinahe sind
die binnenwärtigen Gegenden sowol auf dem asiatischen als auf dem euro¬
päischen Ufer, mehr freilich noch auf diesem wie auf jenem. Es ist der Hauch
des Meeres, das hier an dieser Stelle in einer ausnahmsweise», strömenden
Action auftritt, was in der Seeenge selbst alles belebt; aber die Sphäre, in
welcher das wunderbare Fluidum wirkt, ist nur klein.

Unser Schiff hat die Anker gelichtet und treibt abwärts der letzten jener
drei parallellaufenden Brücken, welche über das goldene Horn hinfuhren, dem
eigentlichen Flutenbereich der Meerenge entgegen, dem brausenden „singenden
Sunde", wie ihn Fallmerayr nennt. Wir haben auf dem letzten Ausläufer
des Perahügrls, da wo das Terrain sich schroffer zum Niveau des Hafens hin
abzubuchen beginnt, den hohen Thurm von Galata zu unsrer linken Seite
und rechts die Spitze des Serails. Eine Reihe dicht am Nordufer des Hafens
geankerter griechischer Kauffahrer trennt uns nur von den schmucken Häusern,
mit denen der Strand von Toppana, besetzt ist. Es sino zumeist Frauen -
Wohnungen, die Fenster hat türkische Eifersucht mit feinen, Licht und Sonne
aber keinen Männerblick hindurchstrahlen lassenden Holzgittern zartester Arbeit
verwahrt. Aber schon ist der Ausgang des goldnen Horns erreicht; der rasch
von Norden kommenden Strömung wendet sich unser Dampfer mit scharfer
Rechtsschwenkung entgegen. Welches rasche Kreisfliegcn der Ufer, als das
Schiff sich dreht! Vom Dorfe Kadikoj an bis zum Palaste Beglerbey wechseln
wir in Minutenfrist tausend Perspectiven. Endlich greifen wiederum die Räder
mit gleicher Macht in die Flut ein und treiben das Fahrzeug langsam und
feierlich der starken Strömung entgegen. Links haben wir Toppana, rechts
den Kiß Kulessi (Leanderthurm). Auf Steinwurfsweite fahren wir an den
Geschützmündungen der türkischen Batterie vorüber, passiren einen hier nahebei
geankerten Dreidecker auf der Backbordseite und befinden uns einige Augen¬
blicke danach gegenüber dem ebenfalls aus dem europäischen oder rumelischen
Ufer gelegenen Dolma Bagdsche Serai lSemi des ausgefüllten Gartens). Es
ist dies das neue Schloß, dessen Bau vor einer Reihe von Jahren begonnen
ward und nun nahezu vollendet ist. Der Stil ist arabisch-byzantinisch. Bau-


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[0191] Das Bild innerhalb der Windungen des Bospors ist unendlich kleiner, begrenzter; wenn dort das Auge Hunderte von Geviertmeilen mit einem Blicke durchschweift, reicht es hier an wenigen Stellen nur über tausend Schritte in den Umkreis hinein, so nahe liegen die Ufer, so schroff und steil sind sie zu¬ meist, so selten tritt der Fall ein, wo wir noch einen Blick auf das obere Plateau hinauswerfen können, dessen unmittelbaren seewärtigen Rand sie bilden. Indeß verlieren wir nichts dabei. Der Bosp^r und seine Schönhei¬ ten stehen in unmittelbarem Bezug zum flutenden Element. Seine Ufer sind, den Bedingungen nach, welche hier eine unvergleichliche Vegeianon sprießen läßt, der Oase zu vergleichen inmitten der Wüste; denn wüste beinahe sind die binnenwärtigen Gegenden sowol auf dem asiatischen als auf dem euro¬ päischen Ufer, mehr freilich noch auf diesem wie auf jenem. Es ist der Hauch des Meeres, das hier an dieser Stelle in einer ausnahmsweise», strömenden Action auftritt, was in der Seeenge selbst alles belebt; aber die Sphäre, in welcher das wunderbare Fluidum wirkt, ist nur klein. Unser Schiff hat die Anker gelichtet und treibt abwärts der letzten jener drei parallellaufenden Brücken, welche über das goldene Horn hinfuhren, dem eigentlichen Flutenbereich der Meerenge entgegen, dem brausenden „singenden Sunde", wie ihn Fallmerayr nennt. Wir haben auf dem letzten Ausläufer des Perahügrls, da wo das Terrain sich schroffer zum Niveau des Hafens hin abzubuchen beginnt, den hohen Thurm von Galata zu unsrer linken Seite und rechts die Spitze des Serails. Eine Reihe dicht am Nordufer des Hafens geankerter griechischer Kauffahrer trennt uns nur von den schmucken Häusern, mit denen der Strand von Toppana, besetzt ist. Es sino zumeist Frauen - Wohnungen, die Fenster hat türkische Eifersucht mit feinen, Licht und Sonne aber keinen Männerblick hindurchstrahlen lassenden Holzgittern zartester Arbeit verwahrt. Aber schon ist der Ausgang des goldnen Horns erreicht; der rasch von Norden kommenden Strömung wendet sich unser Dampfer mit scharfer Rechtsschwenkung entgegen. Welches rasche Kreisfliegcn der Ufer, als das Schiff sich dreht! Vom Dorfe Kadikoj an bis zum Palaste Beglerbey wechseln wir in Minutenfrist tausend Perspectiven. Endlich greifen wiederum die Räder mit gleicher Macht in die Flut ein und treiben das Fahrzeug langsam und feierlich der starken Strömung entgegen. Links haben wir Toppana, rechts den Kiß Kulessi (Leanderthurm). Auf Steinwurfsweite fahren wir an den Geschützmündungen der türkischen Batterie vorüber, passiren einen hier nahebei geankerten Dreidecker auf der Backbordseite und befinden uns einige Augen¬ blicke danach gegenüber dem ebenfalls aus dem europäischen oder rumelischen Ufer gelegenen Dolma Bagdsche Serai lSemi des ausgefüllten Gartens). Es ist dies das neue Schloß, dessen Bau vor einer Reihe von Jahren begonnen ward und nun nahezu vollendet ist. Der Stil ist arabisch-byzantinisch. Bau-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/191>, abgerufen am 23.07.2024.