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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Muttermilch zugleich den Gedanken aufgenommen, dereinst im Waffenhandwerk
ihren Beruf finden zu müssen. Alles dies ist in England wol hinsichtlich des
Seedienstcs, aber nicht beim Landheer der Fall und grade deshalb kann dieser
Staat wol seine Flotte, aber nicht seine Landtruppen so leicht bedeutend ver¬
mehren. Der Laie ahnt gar nicht, was eine allgemeine militärische Erziehung
in dieser Hinsicht ausmacht. Preußen z. B. bei -16 Millionen Einwohnern
kann (abgesehen von den Finanzen), leichter und schneller 300,000 Mann gut-
geschulte Truppen auf die Beine bringen, wie England 100,000 Mann.

Dies sind in kurzen Umrissen die Gründe, weshalb unsrer Ueberzeugung
nach England einer Fremdenlegion von möglichst bedeutender Stärke unum¬
gänglich nothwendig bedarf, wenn es an dem Landkrieg gegen Rußland aus
eine Weise theilnehmen will, wie es seinem Range als europäische Großmacht
würdig ist. Woher es diese fremden Truppen alle nehmen wird, ist eine andre
Sache, die wol die englischen Minister besser wie wir zu beantworten wissen
werden.

Was aber die Anwerbung in Deutschland anbelangt, so wird niemand
leugnen können, daß durch die vielen Verhandlungen im Parlamente die Sache
bei uns sehr erschwert worden ist. Mancher tüchtige Offizier (und grade diese
zu bekommen, dürfte nicht allein am wichtigsten, sondern auch am schwierigsten
sein), wird gerechtes Bedenken tragen, in ein Corps einzutreten, das schon vor
seiner Errichtung von einem Theil der Opposition und der Presse mit so gro¬
ben Schmähungen verunglimpft ward. Die englischen Opponenten haben bei
dieser Gelegenheit dem Kaiser von Nußland einen weit größeren Dienst wie
ihrem eignen Vaterlande geleistet, das steht fest.

Soll aber wirklich eine Anwerbung in Deutschland geschehen und wahr¬
scheinlich wird dies der Fall sein, so ist vor allem dringend darauf zu sehen,
daß England auch die feste Verpflichtung übernehme, alle Angeworbenen nach
beendigter Dienstzeit in seinen Colonien Kanada oder Australien mit Ländereien
zu versehen. Wer jetzt in englische Dienste gehen will, der muß auch für im¬
mer Deutschland entsagen und fest entschlossen sein, sein ferneres Leben in einem
anderen Welttheile zu verbringen. Den Offizieren gebührt dieselbe Pension,
die Gelder für Verwundungen, Verluste der Glieder u. s. w., wie England
seinen eignen Offizieren sehr freigebig zahlt, den Soldaten aber, die ihre Ka¬
pitulation (in England bei der Infanterie bisher zehn, bei der Cavalerie zwölf
Jahre) abgedient haben, die Gelegenheit, sich in einer Kolonie ansässig zu ma¬
chen. Wer erst lange Zeit in einer Fremdenlegion gedient hat, der ist fast im¬
mer für unsre deutschen bürgerlichen Verhältnisse verloren, dies beweisen uns
die vielen ehemaligen Soldaten der französischen, holländischen, belgischen Frem¬
denlegion, die fast immer in den trübseligster Verhältnissen bei uns herumirren
müssen. Will daher England vor Anwerbung einer deutschen Legion diese


Grenzboten. 1. -itW, Hz

Muttermilch zugleich den Gedanken aufgenommen, dereinst im Waffenhandwerk
ihren Beruf finden zu müssen. Alles dies ist in England wol hinsichtlich des
Seedienstcs, aber nicht beim Landheer der Fall und grade deshalb kann dieser
Staat wol seine Flotte, aber nicht seine Landtruppen so leicht bedeutend ver¬
mehren. Der Laie ahnt gar nicht, was eine allgemeine militärische Erziehung
in dieser Hinsicht ausmacht. Preußen z. B. bei -16 Millionen Einwohnern
kann (abgesehen von den Finanzen), leichter und schneller 300,000 Mann gut-
geschulte Truppen auf die Beine bringen, wie England 100,000 Mann.

Dies sind in kurzen Umrissen die Gründe, weshalb unsrer Ueberzeugung
nach England einer Fremdenlegion von möglichst bedeutender Stärke unum¬
gänglich nothwendig bedarf, wenn es an dem Landkrieg gegen Rußland aus
eine Weise theilnehmen will, wie es seinem Range als europäische Großmacht
würdig ist. Woher es diese fremden Truppen alle nehmen wird, ist eine andre
Sache, die wol die englischen Minister besser wie wir zu beantworten wissen
werden.

Was aber die Anwerbung in Deutschland anbelangt, so wird niemand
leugnen können, daß durch die vielen Verhandlungen im Parlamente die Sache
bei uns sehr erschwert worden ist. Mancher tüchtige Offizier (und grade diese
zu bekommen, dürfte nicht allein am wichtigsten, sondern auch am schwierigsten
sein), wird gerechtes Bedenken tragen, in ein Corps einzutreten, das schon vor
seiner Errichtung von einem Theil der Opposition und der Presse mit so gro¬
ben Schmähungen verunglimpft ward. Die englischen Opponenten haben bei
dieser Gelegenheit dem Kaiser von Nußland einen weit größeren Dienst wie
ihrem eignen Vaterlande geleistet, das steht fest.

Soll aber wirklich eine Anwerbung in Deutschland geschehen und wahr¬
scheinlich wird dies der Fall sein, so ist vor allem dringend darauf zu sehen,
daß England auch die feste Verpflichtung übernehme, alle Angeworbenen nach
beendigter Dienstzeit in seinen Colonien Kanada oder Australien mit Ländereien
zu versehen. Wer jetzt in englische Dienste gehen will, der muß auch für im¬
mer Deutschland entsagen und fest entschlossen sein, sein ferneres Leben in einem
anderen Welttheile zu verbringen. Den Offizieren gebührt dieselbe Pension,
die Gelder für Verwundungen, Verluste der Glieder u. s. w., wie England
seinen eignen Offizieren sehr freigebig zahlt, den Soldaten aber, die ihre Ka¬
pitulation (in England bei der Infanterie bisher zehn, bei der Cavalerie zwölf
Jahre) abgedient haben, die Gelegenheit, sich in einer Kolonie ansässig zu ma¬
chen. Wer erst lange Zeit in einer Fremdenlegion gedient hat, der ist fast im¬
mer für unsre deutschen bürgerlichen Verhältnisse verloren, dies beweisen uns
die vielen ehemaligen Soldaten der französischen, holländischen, belgischen Frem¬
denlegion, die fast immer in den trübseligster Verhältnissen bei uns herumirren
müssen. Will daher England vor Anwerbung einer deutschen Legion diese


Grenzboten. 1. -itW, Hz
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/185>, abgerufen am 23.07.2024.