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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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was dergleichen Unsinn mehr? Einen lächerlichen Eindruck müssen solche Rado-
montaden auf jeden Kenner militärischer Verhältnisse gemacht haben, gleichviel
welchem Heere er angehöre, oder welche politische Ueberzeugung er hege. Grade
das Gegentheil, das entschiedenste Gegentheil davon ist der Fall, und England
muß und wird noch gar viele fremde Bajonette sich sür schweres Geld erkau¬
fen müssen, wenn es diesen nun einmal begonnenen Krieg auch auf eine Weise
beendet sehen will, die seinem Ansehen als einer bedeutenden europäischen
Großmacht angemessen ist. Wir.sind überzeugt, daß Rußland gar viele schwache
Stellen hat, aber eine gewaltige Macht, die besonders in einem'Defensivkriege
von sehr großer Stärke ist, bleibt es immerhin und wie ein schwaches indisches
Königreich läßt es sich sicherlich nicht mit wenigen tausend Mann in einigen
Monaten zu einem demüthigen Frieden zwingen. Wir fürchten, man wird
darüber Noch manche unangenehme Erfahrungen machen müssen, unangenehmer
noch als man sie jetzt leider schon vor Sebastopol gemacht hat, was man
anfänglich auch mit einigen tausend Mann im Handumdrehen erobern zu können
glaubte. Seinen Feind allzugering anzuschlagen ist aber das Gefährlichste,
was man nur thun kann, und Rußland hat hinsichtlich der Türkei, wie Eng¬
land theilweise wieder hinsichtlich Rußlands schon bittere Erfahrungen hierin
machen müssen.

Um aber unsern Lesern zu zeigen, wie schwach die Landmacht Englands
ist und wie dies Land selbst beim besten Willen nicht im Stande sein wird,
solche aus seinem eignen Volke so zu vermehren, wie es für einen Krieg mit
Rußland nothwendig ist, wollen wir eine kurze Darstellung derselben hier
folgen lassen.

Englands Hauptkraft besteht außer seinem finanziellen Reichthum in seiner
Flotte. Es hat dieselbe schon jetzt zu einer großen sowol qualitativen wie
quantitativen Bedeutung gebracht und kann sie, wenn es sein muß, noch
ins Riesige vermehren. Nicht allein daß seine Werften mit ihren vielen Hilfs¬
mitteln ihm stets eine große Anzahl tüchtiger Schiffe liefern können, es besitzt
auch in seiner seegcwohnten Bevölkerung einen nachhaltigen Ersatz sür die
Bemannung und Führung derselben. Es ist ein solches Quantum seemän¬
nischer Intelligenz im englischen Volke (ebenso wie im französischen militä¬
rische) daß dasselbe nie verlegen sein wird, seine Flotten, und mögen dieselben
noch viel zahlreicher wie jetzt sein, zu bemannen. Kriegsflotten, von so
hoher Bedeutung sie auch sonst sind, nehmen aber in einem Kriege mit
einem großen Binnenreiche, das nur wenige und durch Kunst wie Natur
sehr starkbefestigte Häfen besitzt, wie Rußland, stets nur die zweite Stelle
ein; dies hat am besten der Svmmerfeldzug der großen und trefflichen
englisch-französischen Ostseeflotte gezeigt. So stark aber Englands Flotte, so
ungemein schwach für eine europäische Großmacht ist sein Lcmdheer, und es


was dergleichen Unsinn mehr? Einen lächerlichen Eindruck müssen solche Rado-
montaden auf jeden Kenner militärischer Verhältnisse gemacht haben, gleichviel
welchem Heere er angehöre, oder welche politische Ueberzeugung er hege. Grade
das Gegentheil, das entschiedenste Gegentheil davon ist der Fall, und England
muß und wird noch gar viele fremde Bajonette sich sür schweres Geld erkau¬
fen müssen, wenn es diesen nun einmal begonnenen Krieg auch auf eine Weise
beendet sehen will, die seinem Ansehen als einer bedeutenden europäischen
Großmacht angemessen ist. Wir.sind überzeugt, daß Rußland gar viele schwache
Stellen hat, aber eine gewaltige Macht, die besonders in einem'Defensivkriege
von sehr großer Stärke ist, bleibt es immerhin und wie ein schwaches indisches
Königreich läßt es sich sicherlich nicht mit wenigen tausend Mann in einigen
Monaten zu einem demüthigen Frieden zwingen. Wir fürchten, man wird
darüber Noch manche unangenehme Erfahrungen machen müssen, unangenehmer
noch als man sie jetzt leider schon vor Sebastopol gemacht hat, was man
anfänglich auch mit einigen tausend Mann im Handumdrehen erobern zu können
glaubte. Seinen Feind allzugering anzuschlagen ist aber das Gefährlichste,
was man nur thun kann, und Rußland hat hinsichtlich der Türkei, wie Eng¬
land theilweise wieder hinsichtlich Rußlands schon bittere Erfahrungen hierin
machen müssen.

Um aber unsern Lesern zu zeigen, wie schwach die Landmacht Englands
ist und wie dies Land selbst beim besten Willen nicht im Stande sein wird,
solche aus seinem eignen Volke so zu vermehren, wie es für einen Krieg mit
Rußland nothwendig ist, wollen wir eine kurze Darstellung derselben hier
folgen lassen.

Englands Hauptkraft besteht außer seinem finanziellen Reichthum in seiner
Flotte. Es hat dieselbe schon jetzt zu einer großen sowol qualitativen wie
quantitativen Bedeutung gebracht und kann sie, wenn es sein muß, noch
ins Riesige vermehren. Nicht allein daß seine Werften mit ihren vielen Hilfs¬
mitteln ihm stets eine große Anzahl tüchtiger Schiffe liefern können, es besitzt
auch in seiner seegcwohnten Bevölkerung einen nachhaltigen Ersatz sür die
Bemannung und Führung derselben. Es ist ein solches Quantum seemän¬
nischer Intelligenz im englischen Volke (ebenso wie im französischen militä¬
rische) daß dasselbe nie verlegen sein wird, seine Flotten, und mögen dieselben
noch viel zahlreicher wie jetzt sein, zu bemannen. Kriegsflotten, von so
hoher Bedeutung sie auch sonst sind, nehmen aber in einem Kriege mit
einem großen Binnenreiche, das nur wenige und durch Kunst wie Natur
sehr starkbefestigte Häfen besitzt, wie Rußland, stets nur die zweite Stelle
ein; dies hat am besten der Svmmerfeldzug der großen und trefflichen
englisch-französischen Ostseeflotte gezeigt. So stark aber Englands Flotte, so
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/180>, abgerufen am 23.07.2024.