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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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man wenig, sondern über den Hof und die Gärten die Längenansicht des Doms
und dann hinaus in die Lahnebene, Jetzt ist das Haus der.Stadtschule
eingeräumt."

"Nachdem ich dies Haus mit den in solchen Fällen herkömmlichen aus
Neugier und Rührung gemischten angenehmen Gefühlen durchaus betrachtet
und gezeichnet hatte, äußerte ein bis dahin meist schweigender Straßenjunge
mit der Miene voller Ueberlegenheit, das kleinere Haus links sei das Wohn¬
haus des Amtmanns Buff, dies große aber an einen 5i'ammergerichtSpräsidenten
vermiethet gewesen. Sogleich entspann sich ein Streit, leidenschaftlich geführt,
wie gelehrte Streite ja leider pflegen. Jener schweigsame aber wandte sich
schließlich zu mir, er habe diese Ueberlieferung aus seine.? jüngst verstorbenen
Großvaters Munde: Geschichte müsse doch wol auf Treu und Glauben an¬
genommen werden."

"Ich gestehe es, der Humor dieser Scene schlug bei mir nicht gleich durch,
ich war einen Augenblick verdrießlich. Zum Unglück war das Nebelthaus ver¬
schlossen und der Schlüssel nicht gleich zu bekommen. Was mir nun gleich
ahnte, bestätigte sich später bei genauerer Nachforschung: Amtmann Buff hat
wirklich in dem Nebenhause gewohnt -- wer es nicht auf Treu und Glauben
annehmen will, der kann mit Citaten überführt werden -- die Chorographie
desselben bleibt meinen Nachfahren überlassen."

"Nach Garbenheim. Es liegt Lahnaufwärts. Der Fußpfad zur Wild-
bacher Pforte hinaus führt "gleich vor dem Ort" zur Wildbacher Quelle.
"Lottes Brunnen," sagten hier einstimmig meine Gelehrten auf die Quelle links
vom Wege zeigend; denn es sind hier leider zwei Quellen unten im Grunde,
nur durch den Weg getrennt. Es stehen hier auch noch schöne Linden und
die Schilderung der Quelle im Werther spricht das Charakteristische der land¬
schaftlichen Einzelheit so treffend aus, daß man sich wundert, die Wirklichkeit
zu finden, wie man sie erwartet hatte! Nun steigt man in einem felsigen Hohl¬
wege den Deutschordenberg hinan, dessen Höhe einen malerischen Rückblick auf
die curiose alte Stadt gewährt. Ueber den Dom ragt noch die nahe Burg
KalSmunt hinaus mit ihrem mächtigen wohlerhaltenen Thurm. Dann geht
man oben weiter durch fruchtbare Felder und Olchbänme auf breiter sonniger
Halde, aus deren höchstem Punkt zur Rechten ein schlanker runder Wartthurm
steht, das Kennzeichen der freien Reichsstadt, während man links die Breite
der fruchtbaren Lahnebene mit dem schlängelnden Fluß überblickt bis zu den
jenseitigen bewaldeten Bergen. Der Blick reicht von den Burgruinen bei
Gießen bis gegen die Limburger Berge."

"Bald hat man Garbenheim vor. sich, ein hübsches Dorf in der Tiefe,
halb umschlossen von den Höhen, versteckt in Obstbäumen. "Der kleine Platz
vor der Kirche, ringsum mit Bauerhöfen, Scheuern und Höfen eingeschlossen"


man wenig, sondern über den Hof und die Gärten die Längenansicht des Doms
und dann hinaus in die Lahnebene, Jetzt ist das Haus der.Stadtschule
eingeräumt."

„Nachdem ich dies Haus mit den in solchen Fällen herkömmlichen aus
Neugier und Rührung gemischten angenehmen Gefühlen durchaus betrachtet
und gezeichnet hatte, äußerte ein bis dahin meist schweigender Straßenjunge
mit der Miene voller Ueberlegenheit, das kleinere Haus links sei das Wohn¬
haus des Amtmanns Buff, dies große aber an einen 5i'ammergerichtSpräsidenten
vermiethet gewesen. Sogleich entspann sich ein Streit, leidenschaftlich geführt,
wie gelehrte Streite ja leider pflegen. Jener schweigsame aber wandte sich
schließlich zu mir, er habe diese Ueberlieferung aus seine.? jüngst verstorbenen
Großvaters Munde: Geschichte müsse doch wol auf Treu und Glauben an¬
genommen werden."

„Ich gestehe es, der Humor dieser Scene schlug bei mir nicht gleich durch,
ich war einen Augenblick verdrießlich. Zum Unglück war das Nebelthaus ver¬
schlossen und der Schlüssel nicht gleich zu bekommen. Was mir nun gleich
ahnte, bestätigte sich später bei genauerer Nachforschung: Amtmann Buff hat
wirklich in dem Nebenhause gewohnt — wer es nicht auf Treu und Glauben
annehmen will, der kann mit Citaten überführt werden — die Chorographie
desselben bleibt meinen Nachfahren überlassen."

„Nach Garbenheim. Es liegt Lahnaufwärts. Der Fußpfad zur Wild-
bacher Pforte hinaus führt „gleich vor dem Ort" zur Wildbacher Quelle.
„Lottes Brunnen," sagten hier einstimmig meine Gelehrten auf die Quelle links
vom Wege zeigend; denn es sind hier leider zwei Quellen unten im Grunde,
nur durch den Weg getrennt. Es stehen hier auch noch schöne Linden und
die Schilderung der Quelle im Werther spricht das Charakteristische der land¬
schaftlichen Einzelheit so treffend aus, daß man sich wundert, die Wirklichkeit
zu finden, wie man sie erwartet hatte! Nun steigt man in einem felsigen Hohl¬
wege den Deutschordenberg hinan, dessen Höhe einen malerischen Rückblick auf
die curiose alte Stadt gewährt. Ueber den Dom ragt noch die nahe Burg
KalSmunt hinaus mit ihrem mächtigen wohlerhaltenen Thurm. Dann geht
man oben weiter durch fruchtbare Felder und Olchbänme auf breiter sonniger
Halde, aus deren höchstem Punkt zur Rechten ein schlanker runder Wartthurm
steht, das Kennzeichen der freien Reichsstadt, während man links die Breite
der fruchtbaren Lahnebene mit dem schlängelnden Fluß überblickt bis zu den
jenseitigen bewaldeten Bergen. Der Blick reicht von den Burgruinen bei
Gießen bis gegen die Limburger Berge."

„Bald hat man Garbenheim vor. sich, ein hübsches Dorf in der Tiefe,
halb umschlossen von den Höhen, versteckt in Obstbäumen. „Der kleine Platz
vor der Kirche, ringsum mit Bauerhöfen, Scheuern und Höfen eingeschlossen"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/175>, abgerufen am 25.08.2024.