Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.mal hatte er keinen Begriff von künstlerischer Composition, ja er verstockte sich Schon die Grundlage des Romans ist daher fehlerhaft, denn sie ver¬ Aber selbst dieser Fehler hätte noch ausgeglichen werden können, wenn Der zweite Theil sticht außerdem gegen den ersten noch dadurch sehr nach¬ mal hatte er keinen Begriff von künstlerischer Composition, ja er verstockte sich Schon die Grundlage des Romans ist daher fehlerhaft, denn sie ver¬ Aber selbst dieser Fehler hätte noch ausgeglichen werden können, wenn Der zweite Theil sticht außerdem gegen den ersten noch dadurch sehr nach¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0144" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98996"/> <p xml:id="ID_469" prev="#ID_468"> mal hatte er keinen Begriff von künstlerischer Composition, ja er verstockte sich<lb/> mit einem gewissen Eigensinn selbst gegen alle die kleinen Hilfsmittel, durch<lb/> welche die gewöhnlichen Naturalisten ihrem massenhaft durcheinandergeworfenen<lb/> Stoff wenigstens den Anschein eines idealen Zusammenhangs zu geben pflegen;<lb/> sodann hatte er trotz seines harten und derben Realismus stets die Neigung,<lb/> unvermuthet ins Uebersinnliche oder ins symbolische überzuspringen. Diese<lb/> Neigung hat bei ihm etwas Unheimliches, grade weil sein Talent eigentlich<lb/> so ganz realistischer Natur ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_470"> Schon die Grundlage des Romans ist daher fehlerhaft, denn sie ver¬<lb/> mischt die Realität mit der Allegorie. Er will in seinen Kronenwächtern das<lb/> Bestreben kritisiren, die Zukunft eines großen Volks auf historische Reminis¬<lb/> cenz zu gründen; an sich ein sehr löblicher Vorsatz. Aber daß er diese jedem<lb/> historischen Zeitalter immanente Neigung zur Reaction einem mystischen Ge¬<lb/> heimbund unterlegt, der nicht nur nie eristirt hat, sondern dessen Existenz allen<lb/> historischen -Voraussetzungen widerspricht, und dessen Handlungsweise um so<lb/> zweckwidriger und lächerlicher aussieht, je complicirter sie ist, das ist ein Mi߬<lb/> griff, den man nur aus seiner absolut falschen Theorie von der Kunst erklären<lb/> kann. Die Jdealisirung der Wirklichkeit kann nicht darin bestehen, daß man<lb/> ein der Wirklichkeit fremdes und widersprechendes Motiv in dieselbe einführt,<lb/> sondern daß man ihre wesentlichen und charakteristischen Motive, die im ge¬<lb/> meinen Leben sich zerstreuen und auseinanderfallen, zu einem harmonischen<lb/> Ganzen krystallistrt.</p><lb/> <p xml:id="ID_471"> Aber selbst dieser Fehler hätte noch ausgeglichen werden können, wenn<lb/> der Dichter seinem Stoff nur einigermaßen einen festen künstlerischen Willen<lb/> entgegengebracht hätte; statt dessen läßt er sich vom Stoff durchaus über¬<lb/> wältigen, und so fühlen wir nirgend die ordnende Hand des Künstlers, sondern<lb/> nur das blinde, zuweilen gradezu wahnsinnige Walten des Zufalls. Die<lb/> Geschichte ist ein so wüstes Durcheinander, daß man in einem Traum zu<lb/> schweben glaubt; aber dazu sind die Gestalten wieder viel zu wenig luftig<lb/> und phantastisch.</p><lb/> <p xml:id="ID_472" next="#ID_473"> Der zweite Theil sticht außerdem gegen den ersten noch dadurch sehr nach¬<lb/> theilig ab, daß sich in der Form wie im Inhalt zuweilen eine Rohheit der<lb/> Gesinnung zeigt, die uns wahrhaft erschreckt. S. 136 sagt eine der handelnden<lb/> Personen: „Es geht immer anders nach dem Tode, als die Alten meinen;<lb/> meinen Vater sollte ich recht reinlich begraben, das hat er mir befohlen; nun<lb/> hat er sich niemals gewaschen, ich zog ihm also die Haut ab und ließ mir<lb/> ein Paar Hosen daraus gerben; so war uns beiden gedient und geholfen."<lb/> Das spricht zwar ein Bösewicht, aber was der Held des Stücks daraus er¬<lb/> widert, ist nicht viel tröstlicher; und dergleichen Rohheiten neben ganz unbe¬<lb/> greiflichen und räthselhaften Geschichten begegnen uns in diesem Bande so</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0144]
mal hatte er keinen Begriff von künstlerischer Composition, ja er verstockte sich
mit einem gewissen Eigensinn selbst gegen alle die kleinen Hilfsmittel, durch
welche die gewöhnlichen Naturalisten ihrem massenhaft durcheinandergeworfenen
Stoff wenigstens den Anschein eines idealen Zusammenhangs zu geben pflegen;
sodann hatte er trotz seines harten und derben Realismus stets die Neigung,
unvermuthet ins Uebersinnliche oder ins symbolische überzuspringen. Diese
Neigung hat bei ihm etwas Unheimliches, grade weil sein Talent eigentlich
so ganz realistischer Natur ist.
Schon die Grundlage des Romans ist daher fehlerhaft, denn sie ver¬
mischt die Realität mit der Allegorie. Er will in seinen Kronenwächtern das
Bestreben kritisiren, die Zukunft eines großen Volks auf historische Reminis¬
cenz zu gründen; an sich ein sehr löblicher Vorsatz. Aber daß er diese jedem
historischen Zeitalter immanente Neigung zur Reaction einem mystischen Ge¬
heimbund unterlegt, der nicht nur nie eristirt hat, sondern dessen Existenz allen
historischen -Voraussetzungen widerspricht, und dessen Handlungsweise um so
zweckwidriger und lächerlicher aussieht, je complicirter sie ist, das ist ein Mi߬
griff, den man nur aus seiner absolut falschen Theorie von der Kunst erklären
kann. Die Jdealisirung der Wirklichkeit kann nicht darin bestehen, daß man
ein der Wirklichkeit fremdes und widersprechendes Motiv in dieselbe einführt,
sondern daß man ihre wesentlichen und charakteristischen Motive, die im ge¬
meinen Leben sich zerstreuen und auseinanderfallen, zu einem harmonischen
Ganzen krystallistrt.
Aber selbst dieser Fehler hätte noch ausgeglichen werden können, wenn
der Dichter seinem Stoff nur einigermaßen einen festen künstlerischen Willen
entgegengebracht hätte; statt dessen läßt er sich vom Stoff durchaus über¬
wältigen, und so fühlen wir nirgend die ordnende Hand des Künstlers, sondern
nur das blinde, zuweilen gradezu wahnsinnige Walten des Zufalls. Die
Geschichte ist ein so wüstes Durcheinander, daß man in einem Traum zu
schweben glaubt; aber dazu sind die Gestalten wieder viel zu wenig luftig
und phantastisch.
Der zweite Theil sticht außerdem gegen den ersten noch dadurch sehr nach¬
theilig ab, daß sich in der Form wie im Inhalt zuweilen eine Rohheit der
Gesinnung zeigt, die uns wahrhaft erschreckt. S. 136 sagt eine der handelnden
Personen: „Es geht immer anders nach dem Tode, als die Alten meinen;
meinen Vater sollte ich recht reinlich begraben, das hat er mir befohlen; nun
hat er sich niemals gewaschen, ich zog ihm also die Haut ab und ließ mir
ein Paar Hosen daraus gerben; so war uns beiden gedient und geholfen."
Das spricht zwar ein Bösewicht, aber was der Held des Stücks daraus er¬
widert, ist nicht viel tröstlicher; und dergleichen Rohheiten neben ganz unbe¬
greiflichen und räthselhaften Geschichten begegnen uns in diesem Bande so
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |