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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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die vaterländische Gesinnung, die er in denselben seinen Lesern mit ebensoviel
Wärme als Verständniß einschärfte.

Was seine literarische und künstlerische Richtung betrifft, so stimmt sie mit
jenem Naturalismus überein, der im dritten Viertel des vorigen Jahrhunderts
uuter den deutschen Poeten vorherrschend war, bis er durch die Idealisten der
verschiedensten Schulen, durch die Classiker und Romantiker verdrängt wurde.
Usteri ist der ersten Neigung seiner Jugend treugeblicben und hat noch in einem
allerliebsten Gedicht, "der Maler" (III. S. 207) der Einfachheit und Natur in
den Künsten sehr lebhaft das Wort geredet, mit dem sehr verständigen Grunde,
daß jeder Idealismus in der Kunst, der nicht aus dem innern Drange des
Lebens, sondern aus dem äußerlichen Wohlgefallen an fremden Idealen her¬
vorgeht, zu leeren Spielereien führt, die das Herz nicht erwärmen und den
Verstand verwirren. Er ist aber bei dieser Polemik nicht stehen geblieben, son¬
dern hat in seinen Idyllen und Erzählungen positive Schöpfungen hervorge¬
bracht, die man als sehr bedeutende Vorläufer der gegenwärtigen Dorfliteratur
betrachten kann, die aber an Reinheit, Anmuth und Naivetät sehr vieles vor
den neuen Bestrebungen voraushaben.

Die Erzählungen, die übrigens zum großen Theil in sein späteres Alter
fallen, beziehen sich meistens auf das 16. Jahrhundert und sind im Stil und
Ton desselben gehalten; nur theilweise sind sie in der Orthographie dem Ver¬
ständniß etwas näher gebracht. Der Inhalt derselben ist sehr einfach, aber die
Form ist von einer bezaubernden Anmuth und zeigt eine Herrschaft über den
Stoff, die nicht blos dem gründlichen Studium, sondern auch der unmittelbaren
Begabung angehört.

Die Idyllen nähern sich am meisten den Vossischen; sie sind in Herametern
in der Züricher'Mundart geschrieben und stellen das moderne Stadt- und
Landleben dar. Freilich hat für uns der Dialekt seine Schwierigkeiten; da
wir aber doch das Schwäbische und das niederdeutsche in unsrer Poesie bereits
emancipirt haben, so hat gewiß auch das Schweizerische seine Berechtigung,
das uns ohnehin bei der großen Popularität Gotthelfs nicht mehr so fremd
ist. Durch eine Uebersetzung ins Hochdeutsche würden sie ihren hauptsächlichen
Reiz verlieren, und da der Herausgeber die fremdartigsten Ausdrücke in den
Anmerkungen erklärt hat, so treten die Schwierigkeiten der Lectüre weniger
hervor. Es ist in diesen kleinen Bildern ein schalkhafter Humor, der auch dem
Unbedeutenden eine höchst erfrischende Farbe gibt, und der selbst die Schilderungen
aus der Züricher Philisterwelt in das Gebiet der Poesie erhebt.

Die vortrefflich ausgestattete Ausgabe ist rook zunächst für die Schweiz
berechnet; aber wir sind überzeugt, daß sie auch in Deutschland lebhaften
Anklang finden wird.




die vaterländische Gesinnung, die er in denselben seinen Lesern mit ebensoviel
Wärme als Verständniß einschärfte.

Was seine literarische und künstlerische Richtung betrifft, so stimmt sie mit
jenem Naturalismus überein, der im dritten Viertel des vorigen Jahrhunderts
uuter den deutschen Poeten vorherrschend war, bis er durch die Idealisten der
verschiedensten Schulen, durch die Classiker und Romantiker verdrängt wurde.
Usteri ist der ersten Neigung seiner Jugend treugeblicben und hat noch in einem
allerliebsten Gedicht, „der Maler" (III. S. 207) der Einfachheit und Natur in
den Künsten sehr lebhaft das Wort geredet, mit dem sehr verständigen Grunde,
daß jeder Idealismus in der Kunst, der nicht aus dem innern Drange des
Lebens, sondern aus dem äußerlichen Wohlgefallen an fremden Idealen her¬
vorgeht, zu leeren Spielereien führt, die das Herz nicht erwärmen und den
Verstand verwirren. Er ist aber bei dieser Polemik nicht stehen geblieben, son¬
dern hat in seinen Idyllen und Erzählungen positive Schöpfungen hervorge¬
bracht, die man als sehr bedeutende Vorläufer der gegenwärtigen Dorfliteratur
betrachten kann, die aber an Reinheit, Anmuth und Naivetät sehr vieles vor
den neuen Bestrebungen voraushaben.

Die Erzählungen, die übrigens zum großen Theil in sein späteres Alter
fallen, beziehen sich meistens auf das 16. Jahrhundert und sind im Stil und
Ton desselben gehalten; nur theilweise sind sie in der Orthographie dem Ver¬
ständniß etwas näher gebracht. Der Inhalt derselben ist sehr einfach, aber die
Form ist von einer bezaubernden Anmuth und zeigt eine Herrschaft über den
Stoff, die nicht blos dem gründlichen Studium, sondern auch der unmittelbaren
Begabung angehört.

Die Idyllen nähern sich am meisten den Vossischen; sie sind in Herametern
in der Züricher'Mundart geschrieben und stellen das moderne Stadt- und
Landleben dar. Freilich hat für uns der Dialekt seine Schwierigkeiten; da
wir aber doch das Schwäbische und das niederdeutsche in unsrer Poesie bereits
emancipirt haben, so hat gewiß auch das Schweizerische seine Berechtigung,
das uns ohnehin bei der großen Popularität Gotthelfs nicht mehr so fremd
ist. Durch eine Uebersetzung ins Hochdeutsche würden sie ihren hauptsächlichen
Reiz verlieren, und da der Herausgeber die fremdartigsten Ausdrücke in den
Anmerkungen erklärt hat, so treten die Schwierigkeiten der Lectüre weniger
hervor. Es ist in diesen kleinen Bildern ein schalkhafter Humor, der auch dem
Unbedeutenden eine höchst erfrischende Farbe gibt, und der selbst die Schilderungen
aus der Züricher Philisterwelt in das Gebiet der Poesie erhebt.

Die vortrefflich ausgestattete Ausgabe ist rook zunächst für die Schweiz
berechnet; aber wir sind überzeugt, daß sie auch in Deutschland lebhaften
Anklang finden wird.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/142>, abgerufen am 23.07.2024.