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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Sohn zwischen die Gesänge des DomchorS eingeschoben, was wenigstens stets
einen ungleichmäßigen Eindruck hervorbringt. Doch hat auch diese Einrichtung
den Vortheil gehabt, daß manches selten gehörte Werk zur Ausführung kam,
so die chromatische Phantasie von Bach, die von Frl. Seyffert mit Fertigkeit
gespielt wurde, und Beethovens O clur-Sonate für Piano und Cello (0p. 102),
in deren Vortrag die Herren Vierung und Dr. Bruns eine außerordentliche Fein¬
heit der Auffassung bewiesen. Sehr groß war auch die Zahl auswärtiger
Künstler, die sich in Berlin in diesem Jahre hören ließen, doch gelang es nur
wenigen von ihnen, zahlreich besuchte Concerte zu Stande zu bringen.

Zuerst nenne ich einen ältern königsberger Componisten, Sämann, der ver¬
schiedene Instrumental- und Gesangsconcerte zur Aufführung brachte. Indeß
sprach sich wenig originelles Talent, mitunter auch nicht Geschmack darin aus.
Eine Sängerin, Sophie Förster, Schülerin von Teschner in Berlin und Böhme
in Dresden, zeichnete sich durch wohlklingenden, correcten Gesang, durch Fertig¬
keit und durch gute Bildung im Vortrag aus, aber eS fehlte ihr an Kraft der
Empfindung, an künstlerischer Phantasie. In Herrn Louis Ries lernten wir
einen jungen Violinisten und in Herrn Hildebrand Romberg einen Violoncel¬
listen von guter Schule kennen; Herr Julius Stern trug mehre Violinstücke
mit warmem musikalischen Gefühl vor. Frl. Nanette Falk zeigte sich als
eine talentvolle Clavierspielerin, der es weder an bedeutender Fertigkeit,
noch an Auffassungstalent fehlt, aber sie versteht noch nicht, ihr Spiel bis
in die einzelnen Theile hin zu vergeistigen, manches verflüchtigt und ver¬
wischt sich; einzelnes läßt sie hervortreten, anderes behandelt sie gedanken¬
los. Frl. Harder, deren edle Auffassung- sehr ansprach, hatte nur in
-Pn'vatmatinöen Gelegenheit sich hören zu lassen. Miß Gaddard, die durch
Fülle deS Tons, große Fertigkeit und Ruhe des Spiels sich auszeichnet,
brachte es mehrmals zu öffentlichem Auftreten; sie war die erste, die in Berlin
Beethovens Sonate für das Hammerclavier gespielr hat, mit technischer Voll¬
endung, aber nicht mit voller geistiger Beherrschung. Der kleine Arthur Na¬
poleon, der in Krolls Local eine Reihe von Concerten gab, erregte auch hier
durch sein Talent allgemeines Aufsehen; es ist erstaunlich, welche Feinheit oft
in seinem Vortrag liegt, und grade hierin zeigte sich eine von aller Einschu¬
lung ganz unabhängige Kraft; auch in der äußern Erscheinung des Knaben
verrieth sich feurige Lebendigkeit und liebenswürdige Anmuth; dennoch waren
seine Concerte, die in eine Zeil fielen, da das Publicum schon übersättigt war,
nur schwach besucht. In demselben Local spielte auch die Violinistin Neruda,
die vor einer Reihe von Jahren als Kind Concerte gab und trotz der Mila-
nollo Glück machte; sie ist eine sehr gute Spielerin, sowol durch ihre Fertigkeit
und Correctheit, als durch den gesunden und natürlichen Vortrag; doch auch sie
verschwand in dem Virtuosengetümmel. Von der Harfe ist es zweifelhaft, ob


Sohn zwischen die Gesänge des DomchorS eingeschoben, was wenigstens stets
einen ungleichmäßigen Eindruck hervorbringt. Doch hat auch diese Einrichtung
den Vortheil gehabt, daß manches selten gehörte Werk zur Ausführung kam,
so die chromatische Phantasie von Bach, die von Frl. Seyffert mit Fertigkeit
gespielt wurde, und Beethovens O clur-Sonate für Piano und Cello (0p. 102),
in deren Vortrag die Herren Vierung und Dr. Bruns eine außerordentliche Fein¬
heit der Auffassung bewiesen. Sehr groß war auch die Zahl auswärtiger
Künstler, die sich in Berlin in diesem Jahre hören ließen, doch gelang es nur
wenigen von ihnen, zahlreich besuchte Concerte zu Stande zu bringen.

Zuerst nenne ich einen ältern königsberger Componisten, Sämann, der ver¬
schiedene Instrumental- und Gesangsconcerte zur Aufführung brachte. Indeß
sprach sich wenig originelles Talent, mitunter auch nicht Geschmack darin aus.
Eine Sängerin, Sophie Förster, Schülerin von Teschner in Berlin und Böhme
in Dresden, zeichnete sich durch wohlklingenden, correcten Gesang, durch Fertig¬
keit und durch gute Bildung im Vortrag aus, aber eS fehlte ihr an Kraft der
Empfindung, an künstlerischer Phantasie. In Herrn Louis Ries lernten wir
einen jungen Violinisten und in Herrn Hildebrand Romberg einen Violoncel¬
listen von guter Schule kennen; Herr Julius Stern trug mehre Violinstücke
mit warmem musikalischen Gefühl vor. Frl. Nanette Falk zeigte sich als
eine talentvolle Clavierspielerin, der es weder an bedeutender Fertigkeit,
noch an Auffassungstalent fehlt, aber sie versteht noch nicht, ihr Spiel bis
in die einzelnen Theile hin zu vergeistigen, manches verflüchtigt und ver¬
wischt sich; einzelnes läßt sie hervortreten, anderes behandelt sie gedanken¬
los. Frl. Harder, deren edle Auffassung- sehr ansprach, hatte nur in
-Pn'vatmatinöen Gelegenheit sich hören zu lassen. Miß Gaddard, die durch
Fülle deS Tons, große Fertigkeit und Ruhe des Spiels sich auszeichnet,
brachte es mehrmals zu öffentlichem Auftreten; sie war die erste, die in Berlin
Beethovens Sonate für das Hammerclavier gespielr hat, mit technischer Voll¬
endung, aber nicht mit voller geistiger Beherrschung. Der kleine Arthur Na¬
poleon, der in Krolls Local eine Reihe von Concerten gab, erregte auch hier
durch sein Talent allgemeines Aufsehen; es ist erstaunlich, welche Feinheit oft
in seinem Vortrag liegt, und grade hierin zeigte sich eine von aller Einschu¬
lung ganz unabhängige Kraft; auch in der äußern Erscheinung des Knaben
verrieth sich feurige Lebendigkeit und liebenswürdige Anmuth; dennoch waren
seine Concerte, die in eine Zeil fielen, da das Publicum schon übersättigt war,
nur schwach besucht. In demselben Local spielte auch die Violinistin Neruda,
die vor einer Reihe von Jahren als Kind Concerte gab und trotz der Mila-
nollo Glück machte; sie ist eine sehr gute Spielerin, sowol durch ihre Fertigkeit
und Correctheit, als durch den gesunden und natürlichen Vortrag; doch auch sie
verschwand in dem Virtuosengetümmel. Von der Harfe ist es zweifelhaft, ob


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/98>, abgerufen am 25.08.2024.