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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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genug gedacht war, endlich ein Quartett von einem aus ihrer Mitte, Wendt,
(väur) zur Aufführung. Letzteres gehört zu den talentvollsten Arbeiten neuerer
Zeit, die wir kennen; es ist Erfindungskraft, edle Haltung und Kraft der
Empfindung darin, leider aber auch hier die Form nicht genug abgeklärt. --
Bei dieser Gelegenheit will ich auch noch kurz der Arbeiten einer Dame, des
Frl. Emilie Mayer erwähnen, die sich vorzugsweise in diesem Genre bewegt
haben. Dieselbe ist außerordentlich fleißig und hat namentlich viele Quartetten,
außerdem aber auch Trios, Symphonien und Gesangstücke geschrieben. Sie
veranstaltet alljährlich mehre Aufführungen vor eingeladenen Zuhörern und
macht mit aller ihrer Thätigkeit den einzigen Anspruch, daß darüber gesprochen
und geschrieben werde. Frl. Mayer ahmt den Stil von Haydn sehr glücklich
nach, ihre Arbeiten sind gefällig und natürlich, aber doch nur Studien, die
für denjenigen, der die Vorbilder kennt, ihren Werth verlieren.

Das Trio ist durch einen besonderen Concertcyklus der Herren Löschhorn und
Gebrüder Stahlknecht vertreten. Mit der Opposition, die sich bisweilen gegen
die Gattung selbst erhoben hat, können wir nicht gemeinsame Sache machen.
Denn wenn es auch nicht unrichtig ist, daß der Klang der Saiteninstrumente
und des Claviers sich nicht völlig verschmelzen, so liegt doch in der Verbin¬
dung eines gesangvollen Instruments mit einem beweglichen und für Fülle der
Harmonie geeigneten, ein großer Reiz. Daraus aber möchten wir eher unsrer
Zeit einen Vorwurf machen, daß sie überhaupt nicht mit mehr Freiheit und
Mannigfaltigkeit die Instrumente combinirt; der Reiz individueller Tongestalten
ist auch etwas werth und nicht stets brauchen wir das Ideale zu verlangen.
Unsre Musiker kleben ängstlicher an den hergebrachten Gewöhnungen, als die der
frühern Zeit, weil sie sofort immer die Aufführung, den Effect berechnen und
ihrer Phantasie, ihrem eigentlichen Schöpfungsdrange keinen freien Lauf lassen.
Im vorigen Jahrhundert bewegte man sich sowol in Gesang-, als in Jnstru-
mentalensembles mit viel größrer Freiheit, weil eben .die Ansprüche, welche die
Musiker an Aufführungen machten, viel geringer waren. Man sehe z. B.,
wie eigenthümlich combinirt die Jnstrumentation meist in Bachs Werken ist;
man sehe die ältern Italiener, die mitunter vierstimmige Sätze sür lauter Bässe
oder Sätze, in denen der Sopran oder der Alt fehlt oder eine Stimme zwei¬
fach, dreifach getheilt ist, während die andern nur einfach sind, geschrieben
haben; das sind freilich keine idealen Verhältnisse, die aber den Reiz eines
bestimmten, charakteristischen Ausdrucks haben. -- Wie nun aber auch die An¬
sicht über das Trio sei, jedenfalls würden wir viele meisterhafte Werke ver¬
lieren, wenn wir mit der Polemik dagegen Ernst machen wollten. Die Aus¬
führung, in der wir die hierher gehörigen Compositionen von Beethoven,
Schubert, Mendelssohn u. s. w. hören, zeichnet sich durch sehr feine Nüancen
aus, könnte aber energischer und männlicher sein. Die Unternehmer der


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genug gedacht war, endlich ein Quartett von einem aus ihrer Mitte, Wendt,
(väur) zur Aufführung. Letzteres gehört zu den talentvollsten Arbeiten neuerer
Zeit, die wir kennen; es ist Erfindungskraft, edle Haltung und Kraft der
Empfindung darin, leider aber auch hier die Form nicht genug abgeklärt. —
Bei dieser Gelegenheit will ich auch noch kurz der Arbeiten einer Dame, des
Frl. Emilie Mayer erwähnen, die sich vorzugsweise in diesem Genre bewegt
haben. Dieselbe ist außerordentlich fleißig und hat namentlich viele Quartetten,
außerdem aber auch Trios, Symphonien und Gesangstücke geschrieben. Sie
veranstaltet alljährlich mehre Aufführungen vor eingeladenen Zuhörern und
macht mit aller ihrer Thätigkeit den einzigen Anspruch, daß darüber gesprochen
und geschrieben werde. Frl. Mayer ahmt den Stil von Haydn sehr glücklich
nach, ihre Arbeiten sind gefällig und natürlich, aber doch nur Studien, die
für denjenigen, der die Vorbilder kennt, ihren Werth verlieren.

Das Trio ist durch einen besonderen Concertcyklus der Herren Löschhorn und
Gebrüder Stahlknecht vertreten. Mit der Opposition, die sich bisweilen gegen
die Gattung selbst erhoben hat, können wir nicht gemeinsame Sache machen.
Denn wenn es auch nicht unrichtig ist, daß der Klang der Saiteninstrumente
und des Claviers sich nicht völlig verschmelzen, so liegt doch in der Verbin¬
dung eines gesangvollen Instruments mit einem beweglichen und für Fülle der
Harmonie geeigneten, ein großer Reiz. Daraus aber möchten wir eher unsrer
Zeit einen Vorwurf machen, daß sie überhaupt nicht mit mehr Freiheit und
Mannigfaltigkeit die Instrumente combinirt; der Reiz individueller Tongestalten
ist auch etwas werth und nicht stets brauchen wir das Ideale zu verlangen.
Unsre Musiker kleben ängstlicher an den hergebrachten Gewöhnungen, als die der
frühern Zeit, weil sie sofort immer die Aufführung, den Effect berechnen und
ihrer Phantasie, ihrem eigentlichen Schöpfungsdrange keinen freien Lauf lassen.
Im vorigen Jahrhundert bewegte man sich sowol in Gesang-, als in Jnstru-
mentalensembles mit viel größrer Freiheit, weil eben .die Ansprüche, welche die
Musiker an Aufführungen machten, viel geringer waren. Man sehe z. B.,
wie eigenthümlich combinirt die Jnstrumentation meist in Bachs Werken ist;
man sehe die ältern Italiener, die mitunter vierstimmige Sätze sür lauter Bässe
oder Sätze, in denen der Sopran oder der Alt fehlt oder eine Stimme zwei¬
fach, dreifach getheilt ist, während die andern nur einfach sind, geschrieben
haben; das sind freilich keine idealen Verhältnisse, die aber den Reiz eines
bestimmten, charakteristischen Ausdrucks haben. — Wie nun aber auch die An¬
sicht über das Trio sei, jedenfalls würden wir viele meisterhafte Werke ver¬
lieren, wenn wir mit der Polemik dagegen Ernst machen wollten. Die Aus¬
führung, in der wir die hierher gehörigen Compositionen von Beethoven,
Schubert, Mendelssohn u. s. w. hören, zeichnet sich durch sehr feine Nüancen
aus, könnte aber energischer und männlicher sein. Die Unternehmer der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/91>, abgerufen am 24.08.2024.